Dortmund. Wagner-Festspiele in Dortmund: Wie Yannik Nézet-Séguin und ein Spitzen-Ensemble das Publikum von den Sitzen rissen. Unsere Kritik

Wenn es bei diesem Komponisten nicht so furchtbar unüblich wäre, das „Da capo“ in den Opern Richard Wagners: Dieses Publikum hatte das Zeug, nach fünf Stunden eine Zugabe herbeizujubeln. Es war der 1. Mai, fast 23h, der Saal toste samt Fußtrampeln und Jubelpfiffen, da die Hundertschaft an Musikern im Konzerthaus Dortmund zum Schlussapplaus antrat.

„Die Walküre“ im Konzerthaus Dortmund. Wagner-Gala erster Güte

Man hätte es wissen können. „Die Walküre“, Liebling der Wagnerfreunde, und der amtierende Musikdirektor der Metropolitan Opera New York am Dirigentenpult: Geht mehr planbarer Erfolg auf der Klassik-Bühne? Yannick Nezét-Séguin (49) habe, warben die westfälischen Gastgeber, seine Besetzung in New York handverlesen. Wo immer er verlas, es wurde zu Gold. „Hojotoho“-Rufe wie die Tamara Wilsons können schon jetzt konkurrieren mit den größten „Brünnhilden“ der letzten 100 Jahre von Varnay über Nilsson bis Polasky. Aber laut, das ist eben nur ein Bruchteil eines Könnens, das so viele überragt. Der Sopran der US-Amerikanerin ist schlichtweg wunderschön, nie metallisch und bei alle Fanfaren-Anforderungen, die Wagner Wotans Lieblingstochter auf den Leib geschrieben hat, zu den zartesten Nuancen fähig.

Tamara Wilson, hier ein Bild von der Verleihung der   „Olivier Awards“ in London, sang jetzt in Dortmund Wagners „Brünnhilde“ - ein Ereignis!
Tamara Wilson, hier ein Bild von der Verleihung der „Olivier Awards“ in London, sang jetzt in Dortmund Wagners „Brünnhilde“ - ein Ereignis! © IMAGO/Avalon.red | imago stock

Apropos zart. Natürlich kostet Nezét-Séguin die emotionalen Stürme der liebesgesättigsten aller „Ring“-Opern zupackend theatralisch aus, legt mit raffiniert gestaffelter Dynamik einen umwerfenden Walkürenritt hin - aber wie er mit den fabelhaften Rotterdamer Philharmonikern die großen lyrischen Szenen gestaltet (allen voran die Todesverkündung als nachtschwarzes Pastell), da lässt der Kanadier, viele große Kollegen hinter sich.

Im Ensemble: kein Ausreißer, lauter vokale Höhenflüge. Wer die Ehegespräche der abgenutzten Paarbeziehung bei Götterns daheim oft als dramatische Durststrecke empfand, dem empfehlen wir die Begegnung mit einer Fricka vom Schlage Karen Cargills mit der gefährlichen Glut einer stimmgewaltigen Schlange. Brian Mulligan zeichnet den Wotan als von Grenzen eingekesselte Größe, als Gott mit zutiefst menschlichen Zügen. Einen Bilderbuch-Siegmund, in dessen bronzeschimmerndem Tenor kerniges Heldentum empfänglich für die Lyrismen der Verletzlichkeit ist, singt Stanislas de Barbeyrac. Seine Sieglinde ist Elza van den Heever, die die heiklen Rollenanforderung des Mädchens, in dessen Kehle auch eine große Tragödin wohnt, zutiefst anrührend erfüllt, nein übertrifft.

Fantastisch:  Elza van den Heevers Sieglinde in „Die Walküre“ . Der Abend im Konzerthaus Dortmund am 1. Mai wurde frenetisch gefeiert.
Fantastisch: Elza van den Heevers Sieglinde in „Die Walküre“ . Der Abend im Konzerthaus Dortmund am 1. Mai wurde frenetisch gefeiert. © Holger Jacoby / Konzerthaus Dortmund | Holger Jacoby

Soloman Howard - Bass und Bodybuilder in Person - glänzte mit Mordsdekolleté (kein Hemd unterm Sakko!) als raumgreifend finsterer Hunding. Der Auftritt der Walküren: acht junge, stimmlich bis an die Zähne bewaffnete Hochbegabungen. Sie waren das reine Opium fürs Wagner-Volk.

Ein Hunding mit Sex-Appeal, das ist selten in Wagner-Opern: Der Bass Soloman Howard ließ für Wagners Finsterling das Oberhemd in der Garderobe.
Ein Hunding mit Sex-Appeal, das ist selten in Wagner-Opern: Der Bass Soloman Howard ließ für Wagners Finsterling das Oberhemd in der Garderobe. © Holger Jacoby / Konzerthaus Dortmund | Holger Jacoby

Vor dem rauschenden Beifall übrigens: eine lange Stille nach den letzten Takten des Feuerzaubers, den Wotan über seine Lieblingstochter legt. Vielleicht war sie das größte Kompliment für einen noch größeren Abend.