Essen. Rafael Sanchez inszeniert die Gesellschaftssatire am Grillo-Theater. Für Lacher und Lokalkolorit ist gesorgt. Willkommen in der Opferwüste.

Kommt eine Frau zu Amt und muss den Behörden-Jungs erst mal zeigen, wie man eine Glühbirne auswechselt. So sind sie halt, diese stoischen Bürokraten. Packen keine Leiter an, ziehen der armen Maude aber noch ihr mühsam eingesammeltes Flaschenpfand vom Bürgergeld ab – ist eben ein Zusatzeinkommen. In Nora Abdel-Maksouds rasanter Gesellschaftsgroteske „Jeeps“ werden Regelsatz-Erhöhungen aber nur am Rande diskutiert. Denn hier entscheidet das Los nun über Haben und Sein.

Wer in der „Eierstock-Lotterie“ kein Glück hatte, sprich nicht Erbe reicher Eltern ist, kann trotzdem ein fettes Vermögen absahnen. In dem von Abdel-Maksoud kühn erdachten Stück werden alle zu vererbenden Vermögen staatlich konfisziert und dann per Losverfahren neu vergeben. Wer dabei sein will, muss ins Jobcenter kommen, wo sie alle versammelt sind: die Entlassenen, Enterbten und alle anderen „Opferwürste“. Regisseur Rafael Sanchez schickt sie im Essener Grillo-Theater in einen ebenso komischen wie gesellschaftskritischen Clinch.

„Jeeps“ in Essen: Hier wird gestritten und gezickt, gefordert und gedroht

Umverteilungsdebatte mal anders. In der bundesdeutschen Theaterlandschaft ist „Jeeps“ derzeit das Stück der Stunde. Denn hier werden Diskussionen über soziale Ungleichheit nicht in leere Worthülsen verpackt. Hier wird gestritten und gezickt, gefordert und gedroht bis es knallt. „Jeeps“ steigt mit Vollgas ein in die Neiddebatte. Verhandelt wird das alles aber ohne Schaum vorm Mund, sondern mit bitterbösem Witz, satter Ironie und oft auch mit ganzem Körpereinsatz.

  • Erbschaftslotterie im Schauspiel Essen: Jeder kann gewinnen

Mansur Ajangs Armin präsentiert sich da gleich mit großer Pose als altgedienter Abteilungsleiter am Rande des Nervenzusammenbruchs. Christopher Heislers Sachbearbeiter Gabor tänzelt als personifiziertes Bollwerk der Unbestechlichkeit mit musikalischer Leichtfüßigkeit durch die Szenerie. Während ihm die staatlich enterbte Start-up-Gründerin Silke (mit grandioser Wucht und beißender Ironie: Bettina Engelhardt) sein liebstes Spielzeug, den titelgebenden „Jeep“, auf dem Parkplatz wegsprengen will. Und Floriane Kleinpass‘ in Würde verarmte Groschenroman-Autorin Maude verteidigt ihre Ansprüche nicht nur mit Worten, sondern auch mit der Waffe; die am Ende aber nur eine Spielzeugknarre der Rü-Rabauken ist.

Hier wird nicht nur mit Worten verhandelt: Mansur Ajang (Armin), Bettina Engelhardt (Silke), Floriane Kleinpaß (Maude) in „Jeeps“ .
Hier wird nicht nur mit Worten verhandelt: Mansur Ajang (Armin), Bettina Engelhardt (Silke), Floriane Kleinpaß (Maude) in „Jeeps“ . © TuP | Nils Heck

Mit eingebautem Essener Lokalkolorit, Slapstick und Lust am Absurden hat Sanchez seine Inszenierung gewürzt. Die setzt nicht nur auf schnelle Wortwechsel, die die Autorin mit ihren Ping-Pong-Dialogen, Rückblenden und Erklärpassagen zu einem kunstvoll-komplexen Textgefüge verwoben hat. Auch auf Thomas Dreissigackers Drehbühne ist immer was los. Zwischen dem luftigen, von Amtsstubenenge weit entfernten Kulissensaal mit Kronleuchter und einer Art TV-Aufnahmestudio steigen die Figuren immer mal wieder kommentierend aus ihrer Rolle aus. Viel Überzeichnung, viele eingebaute Brüche. Doch das gut aufgelegte Ensemble meistert den Wechsel zwischen aufrechter Gerechtigkeitsdebatte und lustvollem Chargieren souverän.

„Jeeps“ in Essen: Im Jobcenter eskaliert die Situation

Irgendwann mutieren sie in aufwendigen pinken Roben (Kostüme: Maria Roers) sogar zu grell überzeichneten Kunstfiguren. Und singen in schräger Musical-Harmonie ein rosarotes Finale herbei, während die Situation im beschriebenen Jobcenter blutig eskaliert. Weil sich die vom Erbe abgehängten „Konstantins“ und alle anderen Wohlstandswesen ihre als völlig verdient verstandenen Privilegien auf archaische Weise zurückholen wollen. Wunsch und Wirklichkeit: Sanchez weiß wohl zu gut um das Beharrungsvermögen der Besitzenden als dass er allzu viel Hoffnung auf einen Systemwechsel aufkeimen lassen könnte.

Großer Premieren-Applaus für eine starke Ensembleleistung.

Tickets und Termine: Tel. 0201-8122-200 und online

www.theater-essen.de

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]