Dortmund. Mit Architektur bessere Menschen schaffen? In Kunst-Welten zu sich kommen? Niklas Goldbachs Videos im Dortmunder U-Turm sind skeptisch.
Aus dem berühmten Bonmots Heinrich Zilles, man könne einen Menschen mit einer Axt erschlagen, aber auch mit einer Wohnung, zogen nicht wenige Planer, Architekten und Baumeister einen trügerischen Umkehrschluss: Mit Hilfe von Architektur könne ein neuer, besserer und besser lebender Mensch hervorgebracht werden. Und nicht selten haben ausgerechnet diese Architekten am Ende mit viel Beton und Rationalität, mit der Diktatur von geraden Linien und rechten Winkeln für die früh beklagte „Unwirtlichkeit unserer Städte“ gesorgt. Aber wie verhält es sich eigentlich mit jenen Bauten, die von vornherein als künstliche Paradiese angelegt wurden? Wie versuchen eigentlich Urlaubs- und Ferien-Resorts, ihre Glücksversprechen einzulösen? Und gelingt das?
Niklas Goldbach ist 1973 in Witten geboren
Der Video- und Fotokünstler Niklas Goldbach, geboren 1973 in Witten, geht diesen Fragen mit den Mitteln seiner Kunst nach. Und nahm etwa die „Center-Parcs“ des niederländischen Unternehmers Piet Derksen (1913-1996) unter die Lupe. Zu seinen ruhigen, gelassenen Langzeit-Beobachtungen der kleinen, fast quadratisch-praktischen Ferienhäuser in gestaffelten Reihen (heute würden sie glatt als „Tiny Houses“ durchgehen) unterlegte er mit Notizen des niederländischen Architekten Jacob Bakema aus seiner deutschen Kriegsgefangenschaft.
Bakema, der nach dem Krieg mit der Lijnbaan in Rotterdam die erste Fußgängerzone Europas entwarf und gemeinsam mit seinem Büropartner Johannes Hendrik van den Broek Mitte bis Ende der 60er-Jahre den Rathaus-Doppelturm von Marl samt Skulpturenmuseum Glaskasten zu ihren Füßen baute, war auch maßgeblich für die Kleinbungalows der ersten Center Parcs verantwortlich. Seine Reflexionen in der Kriegsgefangenschaft (in der er zu den privilegierten Häftlingen zählte und von einer Deportation ins KZ verschont blieb) offenbaren einen durch und durch humanen Charakter. Bakema schätzte gutes Handwerk –und doch sah er später das Heil in der seriellen, industriellen Fertigung von Ferienhäusern, in denen Menschen sich wohlfühlen sollten.
Der Hartware Medienkunstverein im Dortmunder U-Turm bietet die erste große Niklas-Goldbach-Ausstellung
Kommentiert werden die aufgereihten Lagerstätten für Ferienträume in dem gut einstündigen Video zudem von melancholisch wirkenden Männern in weißem Hemd und schwarzer Hose (wie man sie auch vom Bildhauer Stephan Balkenhol in Holz kennt): Sie verkörpern einen Typus zwischen urlaubsreifem Großstädter und einsam-romantischem Wanderer. Oder die trist-traurige Realität neben den Idealen und Heilsversprechen. Und sie ziehen sich wie ein Leitmotiv durch die Videos, die jetzt in der ersten großen Goldbach-Ausstellung hierzulande beim Hartware Medienkunstverein im Dortmunder U-Turm zu sehen sind.
Die Videos werden dort auf Leinwand-bestückte Bauzäune projiziert. Oder sind in Kabinen zu sehen, die mit Holzrahmen und Schlicht-Betten den Räumen der Center-Parcs nachempfunden sind. So ist hier auch zu erfahren, dass Center Parc-Besitzer Piet Derksen, der zu einem der reichsten Niederländer wurde, mit seinen Millionen fundamentalistisch-konservative katholische Projekte und Einrichtungen unterstützt hat.
Goldbach begleitet und durchstreift mit seiner Kamera Resorts in aller Welt: Etwa das 2003 vor der Küste von Dubai angelegte künstliche Archipel von 300 weiß glänzenden Inseln im türkisfarbenen Wasser: „The World“ sollte ab 2003 ein Luxus-Resort werden, dass nur mit Boot oder Hubschrauber zu erreichen ist. Die globale Finanzkrise ab 2007 machte jedoch einen Strich durch die Rechnung – und heute drohen die künstlichen Inseln wieder ganz allmählich im Meer zu versinken. Paradiesisch wurden sie ausgerechnet durch das Scheitern des Tourismus-Projekts: natürlich abbaubare Investitionsruinen.
„Paradise Now“ nähert sich sarkastisch gescheiterten Tourismus-Resorts in Vietnam und Kambodscha
In Vietnam und Kambodscha sucht Goldbach unter dem sarkastischen Titel „Paradise Now“ etwa den 50 Hektar großen Wasserpark von Ho Thuy Tien auf, der 2004 eröffnt wurde und heute verlassen dasteht. Skurriler Weise steht in dem millionenschweren Ruinen-Projekt eine riesige begehbare Drachenskulptur – eine permanent rotierende Disco-Kugel gibt den passenden Kommentar zu den Traumfabriken neuerer Zeitrechnung.
Ebenfalls Teil der Ausstellung sind Fotos, deren Kern realistische Abbildungen von Center-Parc-Pools und anderen Tropen-Simulationen bilden – zu den Rändern hin aber wurden sie durch Künstliche Intelligenz verlängert. Und seltsam: Man sieht auf gleich auf den ersten Blick den Unterschied zwischen der eher dilettantischen Paradies-Simulation aus Menschenhand und dem Gegenstück in Perfektion aus digitalen Maschine.
Niklas Goldbachs Besuch im Thomas-Mann-Haus an den Pacific Palisades in Kalifornien vor dem Ankauf und der Restaurierung durch die Bundesrepublik hat schließlich nicht nur dokumentarischen Wert: Tagebuch-Auszüge Thomas Manns sprechen aus, mit welchen Sorgen sich dieser Luxus-Emigrant bei der Hausgestaltung herumschlug. Aber kaufen, das bleibt die so bittere wie befreiende Erkenntnis dieser Ausstellung, lässt sich das Paradies genauso wenig wie bauen.