Essen. In den 60ern und 70ern war er DER Bestseller-Autor: Johannes Mario Simmels Romane fanden ein Millionenpublikum. Vor 100 Jahren wurde er geboren.

Er war jahrzehntelang Deutschlands populärster Schriftsteller. Seine rund 35 Romane und Erzählungen erschienen weltweit in einer Auflage von mehr als 73 Millionen in 33 Sprachen, Millionen Menschen sahen die Verfilmungen. Titel wie „Es muss nicht immer Kaviar sein“, „Niemand ist eine Insel“, „Hurra, wir leben noch“ oder „Der Stoff, aus dem die „Träume sind“ gingen als geflügelte Worte in unsere Alltagssprache ein. Und doch: Johannes Mario Simmel, der am 7. April 1924, vor nunmehr 100 Jahren, geboren wurde, blieb die literarische Anerkennung seines Werks bis zu seinem Lebensende versagt.

„Bestenfalls gehobene Trivialliteratur“, so beurteilten die meisten Kritiker seine Romane. Eine Einschätzung, die den erfolgreichen Journalisten – wie er später einmal bekannte – bei allem Erfolg als Bestseller-Autor kränkte: „In Deutschland bedeutet Erfolg das Abonnement auf schlechte Kritiken.“ Immerhin attestierte ihm einst der Kritiker-Papst Marcel Reich-Ranicki: „Simmel hat wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor einen fabelhaften Blick für Themen, Probleme, Motive.“

Fast 60 Jahre lang schrieb Simmel, was der Zeitgeist ihm vorgab; und seine Leser verschlangen förmlich, was sein Verlag – meist in der für Simmel-Romane üblichen grellen Aufmachung und Hunderte Seiten stark – in die Buchhandlungen stellte. Nachkriegsdeutschland, Berliner Mauer, Wirtschaftswunder, Alkohol, Drogen, Genmanipulation oder Organspenden.

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Simmel ließ kein Thema aus, das die Menschen beschäftigte. „Die raffinierte Unterhaltungsdramaturgie war das Lasso dafür, dass das Publikum in den Geschichten seine elementaren Lebensfragen wiederfinden konnte“, schrieb einmal die „Weltwoche“.

„Johannes Mario Simmel ist immer noch ein wichtiger Autor“

Johannes Mario Simmel 1976 am Schreibtisch mit Ehefrau Helena in Cannes, Frankreich.
Johannes Mario Simmel 1976 am Schreibtisch mit Ehefrau Helena in Cannes, Frankreich. © imago images/United Archives | United Archives / Wolfgang Kühn via www.imago-images.de

Und heute? Liest man Simmels Romane heute, so ist das wie eine Zeitreise in die 60er- und 70er-Jahre. „Man kann sein Werk auch als eine politische Skandalgeschichte der versunkenen Bundesrepublik lesen“, schrieb die FAZ einmal. Aus den Schaufenstern der Buchläden sind Simmels Werke längst verschwunden. Gleichwohl heißt es beim Verlag Droemer Knaur, wo Simmels Bücher erscheinen: „Für uns ist Simmel nach wie vor ein wichtiger Autor, da er natürlich auch einer der ersten absoluten Bestsellerautoren für uns war. Eine Menge der Simmel-Titel sind noch lieferbar.“

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Zum 100. Geburtstag bringt der Verlag nicht nur die Simmel-Biografie von Claudia Graf-Grossmann, heraus, die einen neuen, differenzierten Blick auf den vermeintlichen Trivial-Autor wirft; es erscheint auch eine Neuauflage von Simmels wohl bekanntestem Buchs: der Agentenroman „Es muss nicht immer Kaviar sein.“

Stets bis ins Detail sehr gut recherchiert und nicht selten angereichert mit einer Portion Erotik, rissen sich seine Leser jahrzehntelang förmlich nach jedem „neuen Simmel“. Insgesamt stand er mit elf seiner Romane erheblich länger auf der Bestsellerliste des „Spiegel“ als die Nobelpreisträger Heinrich Böll oder Günter Grass.

Simmel: Der Sozialist und das süße Leben

Siegfried Rauch und Nadja Tiller in der Simmel-Verfilmung „Es muss nicht immer Kaviar sein“.
Siegfried Rauch und Nadja Tiller in der Simmel-Verfilmung „Es muss nicht immer Kaviar sein“. © picture-alliance / KPA Copyright | dpa Picture-Alliance /

Dabei hatte die schriftstellerische Arbeit des gebürtigen Wieners ein Konzept. Sein Ziel war es, Menschen aufzuklären. „Schönschreiberei“, so gestand er, führe letztlich zu Nichts. Ursprünglich, so erzählte Simmel, habe er „gedacht, man müsse so schön schreiben wie Rimbaud, Verlaine und Rilke zusammen“, doch dann sei ihm bewusstgeworden: „Man muss den Leuten erzählen, was geschehen ist, verpackt in Romane.“ Er schreibe „eine Mischung aus Fiktion und Fakten“. Vor allem politische Aufklärung war sein Ziel: „Die Welt kann man als Schriftsteller nicht verändern. Aber gewisse Sauereien kann man abstellen.“ Dafür erhielt er letztlich 1991 auch einen Preis der Vereinten Nationen.

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Simmel war auch ein Mann der Gegensätze. Er nannte sich selbst einen Sozialisten, was ihn nicht daran hinderte, steuersparend in Monte Carlo zu residieren und das süße Leben in Cannes und Nizza zu genießen.

Sein ganzer Eifer richtete sich bis ins hohe Alter vor allem gegen den wiederaufkommenden Rechtsradikalismus. Sein Hass auf Neonazis schien mit jedem Lebensjahr zuzunehmen. Man fragt sich, was Simmel zu den aktuellen Debatten über Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit oder über den Rechtspopulismus gesagt – oder geschrieben – hätte.

Simmels schwieriges Verhältnis zu seiner Heimatstadt

Simmel wurde am 7. April 1924 in Wien geboren, einer Stadt, zu der er bis zu seinem Tod ein zwiespältiges Verhältnis hatte. Sein aus Hamburg stammender Vater, ein Chemiker, war Jude, der im letzten Moment vor den Nazis nach London fliehen konnte, wo er kurz vor Kriegsende starb. Fast alle Verwandten väterlicherseits wurden von den Nazis ermordet. Simmel selbst blieb mit seiner Mutter, die als Lektorin in einem Filmverleih war, während des Kriegs in Wien. Hier arbeitete er noch kurz vor Kriegsende in einem kleinen Chemiebetrieb an der Entwicklung von Batterien, die angeblich in deutschen Raketen zum Einsatz kommen sollten.

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Doch schon während dieser Jahre begann der junge Simmel zu schreiben: Bereits mit 17 veröffentlichte er seinen ersten Novellenband. Nach dem Krieg führte der Journalismus Simmel durch die ganze Welt. Als gut bezahlter Reportagenschreiber für die Illustrierte „Quick“ sammelte er Eindrücke, die er später in seinen Romanen verwerten würde. Er habe in dieser Zeit „viel Unrecht, Gemeinheit und Niedertracht gesehen“, schrieb er später über diese Wanderjahre. Schon damals galt Simmel als absoluter Vielschreiber, der seine erfolgreichen Artikel gleich unter mehreren Synonymen veröffentlichte. „Ist der neue Simmel da?“, sollte zum geflügelten Wort im Buchhandel werden.

In ihrer sehr lesenswerten Biografie beschreibt Claudia Graf-Grossmann eine Anekdote, die Günter Prinz, langjähriger Kollege Simmels aus den „Quick“-Zeiten, einmal erzählte. „Jeden Donnerstag war bei der Quick Simmel-Tag, damals in den frühen 60er-Jahren. Dann kam Johannes Mario Simmel nachmittags gegen fünf in die Redaktion mit einer Flasche Whisky (immer VAT 69) und schrieb die Fortsetzung von ,Es muss nicht immer Kaviar’ sein. Es wurde viel getrunken, viel gelacht.“

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Irgendwann dann sei Simmel von der Steuerfahndung gesucht worden, und er sei über die österreichische Grenze nach Salzburg geflohen. Prinz: „Nun schrieb er von dort weiter am ,Kaviar’, und jeden Donnerstag fuhr ein Redakteur zur Grenze. Dann stand Simmel um 11 Uhr am Schlagbaum, übergab die neue Fortsetzung und bekam ein Kuvert mit 1500 DM, sein Honorar. Irgendwann löste Mario dann seinen Streit mit der Steuer. Und die lustigen Donnerstage in der Redaktion lebten wieder auf.“

Simmel schrieb: „Der Tod ist allgegenwärtig“

War Simmels Moral in den ersten Jahrzehnten seines Schaffens von Optimismus geprägt, so verdüsterte sich sein Weltbild zunehmend in den 90er-Jahren. Sein ursprüngliches Motto „Tun wir unser Möglichstes, mehr als Scheitern kann der Mensch nicht“ wich mit jedem neuen Roman immer mehr offenerem Pessimismus. „Ich habe das Empfinden, dass es nur mehr eine Eiseskälte zwischen den Menschen gibt“, meinte er im Jahr 2001 in einem Interview mit einer Wiener Zeitung. „Ich will gar nicht von Liebe reden, aber von Nächstenliebe ist keine Spur mehr vorhanden. Es herrscht wirklich eine Ich-Bezogenheit, wie sie noch nie da war, die zu einer Katastrophe führen muss.“

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Produzierte der im schweizerischen Zug lebende Bestseller-Autor in den 60er- und 70er-Jahren fast jährlich einen Bestseller, so wurden die Abstände zwischen seinen neuen Romanen ab 1990 immer größer. Dabei behinderte ihn auch eine Verletzung, die er sich bei einem Sturz in seinem Garten zuzog. Simmel zog sich in der Folge immer mehr zurück, empfing nur noch wenige Besucher. Biografin Graf-Grossmann schreibt, in Simmels letztem Roman 1999, „Liebe ist die letzte Brücke“, sei „der Tod allgegenwärtig. Man spürt ihn zwischen den Zeilen, manchmal bedrohlich, dann wieder diskret wie ein fernes Gewittergrollen“.

Johannes Mario Simmel starb am Neujahrstag 2009 im Alter von 84 Jahren in der Schweiz.

Claudia Graf-Grossmann: Johannes Mario Simmel - Die Biografie. Droemer 368 Seiten, 28 €.J. M. Simmel: Es muss nicht immer Kaviar sein (Neuauflage). Droemer, 752 Seiten, ca. 15 €.


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