Essen. Auch schwierige Themen können bester Kino-Stoff sein: „Morgen ist auch noch ein Tag“, „Ich Capitano“ und „Andrea lässt sich scheiden“.

„Ich Capitano“

Zwei halbwüchsige Cousins aus dem Senegal wagen die Flucht nach Europa. Der Weg führt durch die Sahara nach Libyen und von dort über das Mittelmeer. Unterwegs bedrohen Schlepper und Hehler, Diebes- und Mordbanden Leib und Leben.

Nach seinen hochgelobten Mafiadramen „Gomorrha“ und „Dogman“ legt Matteo Garrone nun den Finger in eine schwelende Wunde moderner Zivilisation. Er inszeniert den Traum von Europa als gelobtem Land als aktuelle Passionsgeschichte, in der es aber auch um die Selbstfindung und das Erwachsenenwerden eines Jugendlichen geht. Die wuchtige Bildgebung gerade in den Wüstenszenen stellt aber auch den Wunsch nach echten, großen Kinobildern zufrieden. Das Konzept des exotisch unterfütterten Bildungsromans macht das universelle Sozialproblem zu einem individuellen Drama, in das wir uns umstandslos einfählen. Dafür gab es dieses Jahr die Oscar-Nominierung für den besten Auslandsfilm – zu Recht.

Paola Cortellesi als Delia in dem Film „Morgen ist auch noch ein Tag“: eine Frauengeschichte im Nachkriegsitalien. Delia leidet unter ihrem gewalttätigen Mann Ivano. Als sie einen geheimnisvollen Brief an sie persönlich erhält, ist klar: Keiner darf vom Inhalt erfahren – vor allem nicht ihr Mann.
Paola Cortellesi als Delia in dem Film „Morgen ist auch noch ein Tag“: eine Frauengeschichte im Nachkriegsitalien. Delia leidet unter ihrem gewalttätigen Mann Ivano. Als sie einen geheimnisvollen Brief an sie persönlich erhält, ist klar: Keiner darf vom Inhalt erfahren – vor allem nicht ihr Mann. © epd | Peter Mountain/SquareOne Enterta

„Morgen ist auch noch ein Tag“

In guten wie in schlechten Zeiten, so heißt es im Versprechen vor dem Altar. Für Delia sind mit Ende 30 die guten Zeiten schon vorbei. Die Wohnung liegt im Keller und das Haushaltsgeld ist knapp bemessen, weil Ehemann Ivano es sich gern bei Spiel und Huren gut gehen lässt, seinem Vater ein eigenes Zimmer reserviert, ansonsten aber nur meckert und auch bei nichtigsten Anlässen feste zuschlägt. Für Delia steht fest: Tochter Marcella soll es einmal besser haben, und ein geheimnisvoller Brief kann der Schlüssel dafür sein.

Ein außerordentliches Melodram, angesiedelt im Rom des Jahres 1946, ist die neue Regiearbeit von Paola Cortellesi, die mit viel Entschlusskraft hinter einem zarten Äußeren die Hauptrolle spielt. Auffallend ist die intensive Bildgebung im Schwarzweißstil des Neorealismus aus den 40er-Jahren, verblüffend der Kunstgriff, mit dem Gewalt in der Ehe im Stil einer Musical-Choreografie umgesetzt ist, weil es sonst nicht zu ertragen wäre. Der Film positioniert sich gegen Patriarchat und Italo-Machismo und verfällt doch nie ins Muster eines Flugblatts. Die Pointe, auf die alles zusteuert, ist nicht abzusehen und sollte bloß nicht verraten werden. Nur dieses kann man gar nicht genug posaunen: Dies ist schon jetzt einer der besten Filme des Jahres!

„Andrea lässt sich scheiden“

Provinzpolizistin Andrea steht unmittelbar vor dem Wechsel zur Kripo in der Großstadt. Dann überfährt sie spät in der Nacht ihren Noch-Ehemann. Sie meldet den Unfall zunächst nicht, als sie doch zum Tatort zurückkommt, hat noch jemand anderes die Leiche überfahren und erklärt sich nur zu gerne schuldig. Andrea kann das nicht auf sich sitzen lassen und versucht der Sache nachzugehen.

Birgit Minichmayr (rechts) glänzt in „Andrea lässt sich scheiden“.
Birgit Minichmayr (rechts) glänzt in „Andrea lässt sich scheiden“. © David Pichler | www.dapic.rocks DAVID PICHLER

In seiner neuen Regiearbeit setzt sich der begnadete Kabarettist und Satiriker Josef Hader mit gewohnt viel Wiener Schmäh mit dem ewigen Spannungsverhältnis von Schuld und Sühne auseinander. Weiter als andere vor ihm kommt er nicht, und sein Erzähltempo treibt arg temperamentsarm dahin. Aber Birgit Minichmayr tariert die Titelrolle brillant zwischen Stärke und Verletzlichkeit aus. Gewinnwarnung: Der Film hat trotz extremen Ösi-Dialekts leider keine Untertitel.