Essen. Die Kneipe ist die privateste Form von Öffentlichkeit. Gesellschaft ist nirgendwo so gesellig wie hier. Ein Loblied - und 16 Empfehlungen.
Was so ein „p“ doch ausmachen kann: Pfarrer Sebastian Kneipp verordnete seinen Schäfchen viel Wasser, gesunde Ernährung, Bewegung, Kräuter und innere Ordnung. So ziemlich das Gegenteil also von dem, was einen in der Kneipe erwartet: Hier stehen eher Bier und andere genuss- wie geschmacksintensive Getränke im Vordergrund, die Lebensmittel überzeugen eher mit Kalorienpracht, die Menschen sitzen oder haben einen sitzen und Kräuter werden vor allem in hochprozentiger Form dargereicht. Die Ordnung freilich hängt hier in irgendeiner abseitigen Ecke, ungelesen wie sonst nur die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ oder der „Ulysses“ von James Joyce: die „Verordnung zur Ausführung des Gaststättengesetzes“ samt „Jugendschutzgesetz“.
Dabei kann man in einer guten Kneipe gut alt werden. Und das heute sogar besser noch als in den Zeiten, in denen man dort sorgfältiger geräuchert wurde als jeder Schwarzwälder Schinken. Gegen die Kneipen von früher sind die heutigen der reinste Luftkurort. Und doch hat diese höchst zivile Luftschutzmaßnahme nicht verhindern können, dass Kneipen reihenweise dahingerafft wurden. Dass der „Internationale Frühschoppen“ heute nicht mehr so heißt, hat ja durchaus etwas damit zu tun, dass es den lokalen kaum noch gibt, Sonntagsvormittags nach der Kirche. Da wurde man als Kind angelernt für die Kneipe, mit Limonade und manchmal einer Mark für den Spielautomaten. Den drei Zahlen-Kreisen mit den Glückssymbolen darauf guckte man aber sogar ohne Kleingeld gerne beim Kreiseln zu, hielt selbst ohne Gewinnchance den Atem an. Und brauchte eine Weile, um sich über ein Wort wie „Thekenturner“ nicht mehr zu wundern. Da begriff man Ironie, ohne das Wort zu kennen.
Ob wir den Stammtisch als Überdruckventil unterschätzt haben?
Die Kneipe ist die privateste Form von Öffentlichkeit. Nirgendwo sonst ist Gesellschaft so gesellig. Manche sortieren auch ihre Lebensgeschichte am besten, wenn sie am Tresen einem wildfremden Menschen davon erzählen. Und auch die Stammtische sind völlig zu Unrecht in Verruf geraten: Die nach ihnen benannten Parolen spielten früher außerhalb der Kneipe keine Rolle, schon gar nicht politisch. Seit es aber immer weniger Stammtische gibt, spielt die AfD eine immer größere Rolle bei Wahlen. Ob wir den Stammtisch als Überdruckventil unterschätzt haben?
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Die Kneipen aber, die es verstehen, die Menschen hinterm Bildschirm hervorzulocken, sind heute geselliger denn je: „Rudelsingen“ ist so ein Trend, der seit Jahren anhält. Gesellschaftsspiele, die ja nicht von ungefähr diesen doppelsinnigen Namen haben, werden hier ausgepackt, und nur konsequent ist die Fortsetzung der unzähligen Quizformate im Fernsehen unter lauter (und gern auch lauten, manchmal sogar vorlauten) echten Menschen. Auch so pflegt man Gemeinsamkeiten und kommt einander näher – es gibt Sprachkundler, die glauben: „Kneipe“ sagten die Leute früher, weil hier fast so eng beieinandersaßen, dass es schon kniff. Die andere Variante kommt aus der Studentensprache, von „kneipen“ im Sinne von „klemmen“ – weil es den gründlich angeheiterten Nachwuchsakademikern so schwerfiel, diesen Ort zugunsten des Hörsaals zu verlassen.
Vor dem Zapfhahn sind zwar nicht alle gleich, aber Unterschiede zählen hier nicht so
Nie hat man sich in der Kneipe gewundert über Menschen, die hier Trost in flüssiger Form tanken. Immer wusste man, dass diese Trostbedürftigen auch Redebedarf haben – sonst hätten sie auch es auch daheim am eigenen Wohnzimmertisch tun können. Die Kneipe aber ist eine Verlängerung des Wohnzimmers auf die Straße: Vertraute, bekannte Gesichter werden ergänzt von Überraschungsgästen, gerade diese Mischung macht den Reiz aus. Und: Vor dem Zapfhahn sind zwar nicht alle gleich, aber Standes-, Rang- und sonstige Unterschiede zählen hier nicht so. Es kommt darauf an, Sprüche zu klopfen, großartige Geschichten zu erzählen und auch mal einen Null-Ouvert zu gewinnen. Meinungsstärke, Geltenlassenkönnen und ab und zu mal eine Lokalrunde sind hier wichtiger als Kontostand und Maßanzug. Zumal man in Kneipen ja meist auch anschreiben lassen kann.
Gute Kneipen sind eine Kur fürs Gemüt, ungemütliche Kneipen dagegen Auslaufmodelle mit Ansage. Wichtiger als die Zahl der Biersorten ist nämlich die Seele einer Kneipe. Und ein Tresen als Beichtstuhl mit offenem Visier. Damit müsste sich eigentlich auch Pfarrer Kneipp anfreunden können.
Diese 16 Kultkneipen im Ruhrgebiet muss man kennen
Obwohl etliche Eckkneipen in den vergangenen zwei Jahrzehnten geschlossen haben, ist die Kultkneipe noch lange nicht tot: Wir haben die Community unseres Freizeit- und Ausgehauftritts „Pottlust“ auf Instagram nach ihren Lieblings-Kultkneipen gefragt und etliche Antworten bekommen. Die meistgenannten Empfehlungen wollen wir hier weitergeben - in Form eines Kneipen-Quartetts. (Mitarbeit: Theresa Althaus und Lea Röhrig)