Essen. Eine Große verlässt die Bühne: Vicky Leandros bezaubert ihr Publikum in der Philharmonie Essen. „Wir hatten eine besondere Beziehung“.

Aufhören, wenn‘s am schönsten ist. Das sagt sich so leicht. Aber auch wenn Vicky Leandros auf einer langen Tour mit ihren größten Hits derzeit Adieu sagt, zeugt die lange Liste der Zusatzkonzerte davon, dass dieser Abschiedsprozess noch eine Weile dauern kann. Ihre Fans wollen sie ja auch nicht ziehen lassen. Jeder Konzertsaal, in dem sie auftritt, ist restlos ausverkauft. So auch die Philharmonie Essen, wo man die griechische Sängerin am Mittwochabend (13. März) schon mit Ovationen begrüßte.

Über 70 und doch noch immer mädchenhaft: Vicky Leandros freut sich über die Publikumsresonanz.
Über 70 und doch noch immer mädchenhaft: Vicky Leandros freut sich über die Publikumsresonanz. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Wer will von Rente reden, wenn die 71-jährige Künstlerin die Bühne betritt. Im körperbetonten, goldschimmernden Abendkleid: Eine griechische Schlagergöttin, deren Platz auf dem Musik-Olymp mit über 55 Millionen Alben und unzähligen Welthits längst gesichert ist. Doch irgendwo in dieser eleganten Wahlhamburgerin blinzelt auch noch die kleine Vicky auf, die mit zehn davon träumt, auf der Bühne zu stehen. Und noch heute wackelt sie glücklich wie ein junges Mädchen mit den Hüften, wenn der Applaus nach einem ihrer unzähligen Erfolgssongs besonders herzlich ausfällt.

Ein Abend voller Musik- und Lebensgeschichten

Und der Jubel will an diesem Abend gar nicht enden. „Après toi“, ihr Grand Prix-Gewinner-Titel für Luxemburg aus dem Jahr 1972, stimmt gleich ein auf einen Abend voller Musik- und Lebensgeschichten, die sie in charmante Überleitungen packt. Sie erzählt von der Kindheit in Hamburg, der Bäckerei auf der Wandsbeker Chaussee mit der verlockenden Rumkugel ohne Rum, der ersten Teenager-Single „Messer, Gabel, Schere, Licht“ und musikalischen Vorbildern wie Frank Sinatra und Ella Fitzgerald.

Dass Vicky Leandros seit Jahrzehnten zu den international erfolgreichsten Künstlerinnen zählt und trotzdem sympathisch nahbar geblieben ist, gehört wohl zu ihrem Erfolgsrezept. Sie singt englisch, französisch, griechisch, sogar japanisch. Sie hätte Amerika erobern können, doch auf dem Flughafen von New York ist sie einfach wieder in den Flieger Richtung Hamburger Heimat gestiegen, erzählt sie ihrem Publikum im vertraulichen Plauderton.

Von großartigen Musikern begleitet: Vicky Leandros in der Essener Philharmonie.
Von großartigen Musikern begleitet: Vicky Leandros in der Essener Philharmonie. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Sie liebt eben die europäische Kultur, Familie, Heimat – und ihr Publikum. „Wir hatten eine besondere Beziehung“, sagt Vicky Leandros. „Ich möchte nicht an den Punkt kommen, wo ich Sie mit meiner Stimme nicht mehr erreichen kann. Dafür war die Zeit zu wertvoll.“ Wer sie an diesem Abend hört, sieht den Zeitpunkt aber noch lange nicht gekommen. „Free Again“ wird zur soulstarken Erinnerung an die 1970er und betont die Bandbreite ihres Repertoires, das von Soul und Chanson über Schlager und Folklore reicht.

Karaoke mit dem Publikum in der Essener Philharmonie

„L‘amour est bleu“ (Blau wie das Meer) singt sie zusammen mit ihren Fans, die den Text nach Karaoke-Vorbild auf großen Papier vorgehalten bekommt. Immer wieder mal darf das Publikum einstimmen, bei „Ich liebe das Leben“, dieser Zuversichts-Hymne für beseelte Partynächte, hält es sowieso niemanden auf den Sitzen. Und natürlich darf auch der wohl lauteste Aufruf der Schlagerwelt nicht fehlen: „Theo, wir fahr’n nach Lodz“. Der durchdringende Mitklatsch-Ohrwurm, von dem die Plattenfirma damals so dringend abgeraten hat, wird auf ihrer Abschiedstournee mit einem furiosen Schlagzeugsolo eingetrommelt.

Die fabelhafte, neunköpfige Band sorgt für das musikalische Gerüst der Leandros-Hits von „Ich bin wie ich bin“ bis „Tango d‘amour“ oder „Verlorenes Paradies“, dieser in tanzbare Rhythmen getauchten Umweltmahnung aus den 1980ern. Sie machen aus „Valentin“ einen effektvoll arrangierten A-Cappella-Song und geben dem „schlauen Peter“ mit einem Bouzouki-Intro ordentlich Schmiss. Am Ende singen alle im Saal gemeinsam „Hallelujah“, im Original von Leonard Cohen. Und mancher mag damit wohl die stille Hoffnung verbunden haben, dass dieser Leandros-Abend doch noch nicht der letzte war.