Oberhausen. Sex-Ratgeber, Foto-Love-Storys und Fake News: Musikjournalist Linus Volkmann tritt mit dem Programm „Na, Bravo!“ im Druckluft auf.
Von den 80ern bis in die frühen 2000er-Jahre kauften Hunderttausende Teenager und Junggebliebene jede Woche Jugendmagazine wie Bravo, Poprocky, Popcorn oder Yam. Wiederkehrende Elemente wie Starschnitte, Foto-Love-Storys oder Sex-Ratgeber wie das „Dr. Sommer Team“ erfreuten sich größter Beliebtheit, regten aber auch zu herzlichem Gelächter oder Stirnrunzeln an. Musikjournalist Linus Volkmann, unter anderem für den „Musikexpress“ tätig, hat unterhaltsame Stilblüten aus verschiedenen Jahrzehnten gesammelt und stellt diese am 20. März im Soloprogramm „Na Bravo!“ im Oberhausener Druckluft vor. Im Interview spricht der 51-Jährige über die Motivation dahinter, eigene Erinnerungen, aber auch Probleme, die die Arbeitsweise bei Bravo & Co. mit sich brachte.
Herr Volkmann, woher kam die Idee für dieses Programm?
Ich habe eines Abends mal bei Ebay geschaut, was ich denn so gebrauchen könnte und bin auf einen Stapel der Poprocky gestoßen. Nach und nach ist die Sammlung dann gewachsen. Mich als Musikjournalisten interessiert eben, wie über Musik geschrieben wird, auch eben in solchen Magazinen. Ich habe regelmäßig mal in die Ausgaben reingeschaut und dann siehst du eben immer wieder bestimmte Passagen und Stilblüten, die urkomisch sind, zum Beispiel in einer Foto-Love-Story. Dann stellte ich einzelne Bilder davon auf Social Media und die Leute fanden es super. Irgendwann dachte ich: Wenn man alle diese Skurrilitäten extrahiert und auf eine Bühne bringt, müsste es doch jedem gefallen.
Linus Volkmann: „Jugendmagazine waren das Fenster in eine buntere Welt“
Seit wann sind Sie mit dem Programm unterwegs?
Ich hatte eine Probeveranstaltung gemacht, 2022 in Hamburg. Da war ich eingeladen, einen Vortrag zu halten, wusste aber nicht so recht, worüber ich reden sollte, und kam dann auf die Idee, aus einer alten und einer neueren Bravo vorzutragen. Das kam sehr gut an. So habe ich das im vergangenen Herbst in Serie gemacht, mit zehn Großstädten, wo klar ist, dass es da läuft. Und es lief tatsächlich so gut, dass ich jetzt auch in kleinere Großstädte wie Oberhausen oder Erfurt komme.
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Wie ist die Altersstruktur der Leute, die ins Programm kommen?
Sehr unterschiedlich, „ungefähr zwischen 30 und 50“ ist wohl die Antwort, die am besten passt. Da ist das Thema dankbar für. Bei einer Grunge-Lesung kämen wohl nur diejenigen, die damals jung waren, als die große Grunge-Phase war. Hier gehe ich durch Jugendmagazine der 80er, 90er und 2000er, danach haben sie durch Digitalisierung ihre Relevanz verloren. So kann ich viele Leute gleichermaßen ansprechen, obwohl bei ihnen zwei Jahrzehnte dazwischen liegen.
Woher kommt die Leidenschaft für Jugendmagazine?
Ich bin in eher ländlichen Verhältnissen aufgewachsen, war schon im Jugendalter sehr interessiert an Popkultur und Popmusik. Im Fernsehen gab es eher wenig davon. Die Jugendmagazine waren also eines der wenigen Fenster in diese buntere Welt. Du hattest darüber die Möglichkeit, Bands und Songs kennenzulernen, auf die du auf dem Dorf eher nicht stößt. Auch Acts wie Culture Club oder Kajagoogoo, mit anderen Männerrollen. Und: Es steht eben viel Spannendes über den Mainstream in einer sehr skurrilen Form dort drin, wovon man sich als Musikjournalist ja sohst gerne abgrenzt. In dem Job interessierst du dich halt meist für das zweite Nebenprojekt des Radiohead-Schlagzeugers und nicht für die Kelly Family. Ist wie im Politischen: Wenn du dir einen „Spiegel“ von 1988 durchliest und dann ein Jugendmagazin aus dem Jahr, erhältst du zwei völlig verschiedene Blickwinkel auf das Zeitgeschehen.
Welche Starschnitte hatten Sie an der Zimmerwand?
Ich hatte nie einen Ganzen. Ich war oft zu unkonzentriert, Bravo erschien ja wöchentlich und ich habe immer wieder Ausgaben verpasst. Auch jetzt in der Retrospektive kriege ich keinen zusammen, wobei ich bei E.T. jetzt recht nah dran bin. Und bei der Kelly Family, die in den 90ern ständig in der Poprocky drin war. Ein riesiges Schlachtengemälde.
Gibt’s denn bei Ihnen musikalische „Guilty Pleasures“ aus den 80ern und 90ern?
Ja. Ich finde dieses geschmäcklerische Musikjournalistentum gar nicht so toll und trashige Sachen immer schon interessant. Den Veranstaltern sage ich auch immer ‚Lasst vor Lesungsbeginn eine Playlist laufen mit 90er-Hits‘. Da kommt dann natürlich auch viel Scheiße, aber alle haben direkt gute Laune. Was ich sehr mag, ist Eurodance. Ich höre zum Beispiel O-Zone oder Blümchen immer noch gerne, ich muss mir das nicht schön saufen und habe keine Berührungsängste.
Haben Sie Unterschiede zwischen den einzelnen Magazinen feststellen können?
Bei einigen Heften, die nicht Bravo waren, wurde noch schlechter gearbeitet. Bei der Poprocky kam mir beim heutigen Lesen der Eindruck, dass es da etwas preiswerter zuging, mit kleinerer Redaktion als beim großen Player Bravo. Und das liest du dann auch. Da gab es oft keine Recherche, viele News waren offensichtlich einfach erfunden. Nur damals, ohne Social Media, hat das kaum wen interessiert, ob da Falsches über Johnny Depp drinstand. Mit dem heutigen Wissen sieht man, dass viele Dinge, die da drin waren, gar nicht stimmen konnten.
Ich führte vor zwei Jahren ein Gespräch mit der damaligen Teenieband Nevada Tan, die Dauergast in entsprechenden Magazinen war. Die Mitglieder erzählten von „abgedruckten Interviews, die nie stattgefunden haben“ und „gefälschten oder auf 200 Prozent gedrehten Zitaten“. Beleuchten Sie diese Arbeitsweisen in Ihrem Vortrag?
Das kommt sicherlich zur Sprache. Tatsächlich kam das Thema für mich jetzt auch durch die Echt-Doku auf. Ich hatte Kontakt zu Sänger Kim Frank, konnte mir zunächst gar nicht vorstellen, dass die wirklich Interviews gefälscht haben, da was von Terminen stand, die nie stattgefunden haben. Heutzutage ist es ja so, dass Interviews vor der Veröffentlichung oft gegengelesen werden. Damals hatte die Bravo offenbar so eine Macht, dass den Leuten das Recht nicht eingeräumt wurde. Das finde ich schon happig. Ich hole da schon im Vortrag ein paar Fake News raus, das wird kein affirmatives Abgefeier.
Linus Volkmann: „Ich werde das Unangenehme nicht aussparen“
Kritisch zu sehen sind auch gewisse Schönheitsideale, die in Jugendmagazinen vermittelt wurden. Kommt das zur Sprache?
Auch das kommt vor. Als Journalist habe ich eine recht feministische Agenda und da kann man leicht etwas anhand von Beispielen erzählen. Es gibt zum Beispiel eine Foto-Love-Story, die heißt „Monika – zu dick für die Liebe?“. So was gab es in der Bravo früher viel. Bodyshaming möchte ich nicht auslassen. Mir ist schon wichtig, dass das Programm nicht zu beliebig ist und alles Unangenehme ausspart. Man kann das jetzt auch aus einem anderen Blickwinkel machen, ohne das man direkt denkt ‚Wir müssen das jetzt alles canceln‘. So in der Form gibt es das ja heute nicht mehr.
Ein weiteres großes Thema: das Dr. Sommer-Team. Hätten Sie nicht einfach nur damit ein Programm füllen können?
So ist es eigentlich. Es ist ein dankbares Thema. Man sagt ‚Dr. Sommer‘ oder auch ‚Foto-Love-Story‘ und jeder hat da sofort Bilder und Texte vor Augen. Das wäre mir aber zu einfach gewesen und vielleicht in der Gesamtheit auch etwas zu schlüpfrig. Aber die zwei Rubriken tragen das Ganze schon stark.
Einmal im Monat gibt es die Bravo ja noch. Wann hatten Sie letztmals eine in der Hand?
Das war tatsächlich ein Ausgangspunkt, da habe ich was ausprobiert. Auf der Bühne habe ich den Leuten eine alte und eine neue Bravo gezeigt. Es ist ein absolutes Trauerspiel. Es spricht eine Generation junger Leute an, die mit dem Medium Print nichts mehr anfangen kann. Da stehen Artikel drin wie ‚Das hat Rihanna gepostet‘. In einem Monatsmagazin, die Posts sind fünf Wochen alt. Das kann es nicht sein. Es gibt zudem fast nur noch Stock-Photos, absolut unattraktiv. Früher sahst du da echte Jugendliche, auch aus anderen Teilen der Welt. Das Letzte, was sie noch hatten, war die Foto-Love-Story, aber die ist jetzt offenbar auch zu teuer geworden. War schon zuletzt sehr billig produziert. Ein Café, ein Fotograf, die eine Person schüttet der anderen Cola übers Hemd und am Ende sind sie zusammen, mehr war da nicht mehr.
Ein Thema, was davon weggeht, aber in der Ankündigung der Tour erwähnt wird: Sie arbeiteten mal für Jan Böhmermann. Wie kam das und ist das Arbeitsverhältnis noch aktuell?
Seine Redaktion hatte mich damals angeschrieben, weil ich gerade einen Artikel über Acts wie Max Giesinger oder Tim Bendzko schrieb, über diesen ganzen neuen deutschen Schlager. Die Redaktion wollte was zu dem Thema für die ZDFNeo-Magazin-Rubrik „Eier aus Stahl“ machen. Dann habe ich denen was geschrieben und war überrascht, was das für einen Impact hatte. Wo noch der Song „Menschen Leben Tanzen Welt“ entstand. Ich habe danach noch zwei, drei Mal was für die als freier Mitarbeiter gemacht. Wenn ich gerade ein richtig geiles Thema hätte, wüsste ich jedenfalls noch, wo ich es anbieten könnte. Aber die machen natürlich viel im Haus. Finanziell hat es sich aber schon gelohnt.
Linus Volkmann live: Na, Bravo!, 20.3., 20 Uhr, Druckluft Oberhausen. Karten ca. 15 €.