Düsseldorf. Freizeittipp: Die Show „Kurios“ kommt nach Düsseldorf. Unsere Autorin war bei der Premiere. Lohnt sich ein Besuch des Spektakels?
Tief am Grund der See, im azurblauen Halbdunkel, ruht eine gigantische Hand aus Metall. Auch das Wesen, das sich darauf niedergelassen hat, ist regungslos. Aber ist es nur eins? Oder sind es viele? Das schimmernde Knäuel aus Leibern erwacht zum Leben, entwirrt sich mit langsamen, fließenden Bewegungen und offenbart seine wahre Gestalt. Trotz des Wissens, dass es vier Artistinnen sind, die sich da, scheinbar knochenlos, umwinden und umschlängeln, in schnellem Wechsel immer neue Formationen bildend, ist die Illusion perfekt, dass es sich hier um farbenprächtige Flossenträger handelt.
Die Tür in die Tiefsee ist eine von vielen Türen, die sich in der Wunderkammer auftun, die der Cirque du Soleil vom 8. März bis zum 14. April in Düsseldorf präsentiert. Die Show „KURIOS – Kabinett der Kuriositäten“ nimmt das mit dem Kabinett wörtlich. Sobald man das große blaugelb gestreifte Zelt auf der Münchener Theresienwiese betritt, ist man mitten drin in der Werkstatt eines Wissenschaftlers (David Garcia), der Zeit seines Lebens geforscht, Dinge gesammelt und sie für seine skurrilen Erfindungen verwendet hat. Wie die aus Schrott gebastelten Roboter mit den kindlichen Strichmännchengesichtern, die gerade die Manege fegen.
Da gibt es Kessel, Kolben und Zylinder, Ventile, Rohre und Schläuche, Leitern, Handräder und Glasstürze, in denen Glühlampen auf Kerzenleuchtern das milde gelb-goldene Licht von Gaslaternen verströmen. Zwei hohe Türme wirken wie aus Strandgut gefertigt, offenbaren auf den zweiten Blick aber Bestandteile wie Schreibmaschinen, Zahnräder, Grammophone und Turbinen. Im Hintergrund wölbt sich ein Bogen, der aussieht wie ein Eisenbahntunnel.
Ein Blick in die Zukunft, wie sie hätte anders und besser verlaufen können
Requisiten, Maschinen und Apparaturen sind von einer Patina überzogen, die dem Sepiabraun historischer Fotografien ähnelt, die Rost imitiert oder oxidiertes Kupferblech. Die nostalgische Anmutung kommt nicht von ungefähr. „KURIOS spielt in einer futuristischen Vergangenheit“, erläutert Olivier Fillion, der beim Cirque du Soleil in der Öffentlichkeitsabteilung arbeitet, „es ist inspiriert von der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert, einer Zeit, als bahnbrechende Erfindungen gemacht wurden, versetzt uns zurück in die Viktorianische Ära.“ Für das futuristische Element, im Sinne einer Zukunft, die hätte anders und besser verlaufen können, steht der Forscher.
Der Mann im weißen Kittel mit der Spitztolle von Comic-Held Tim ist einer, der sich eine kindliche Neugier (im Englischen heißt neugierig „curious“) bewahrt hat und sich in das imaginäre Land Kuriosistan hineinträumt. An dieser Stelle öffnet sich die zweite Ebene des Kuriositätenkabinetts.
Für eine Show, die eine Hommage an Jules Vernes Klassiker „20 000 Meilen unter dem Meer“ sein könnte, die überbordende Steampunk-Fantasie von Jean-Pierre Jeunets und Marc Caros Film „Die Stadt der verlorenen Kinder“ atmet (ohne dabei so düster zu sein) und musikalisch eine Verzauberung auslöst, wie man sie bisher nur aus „Die fabelhafte Welt der Amélie“ kannte. Dargeboten von fünf Musikern, die nicht minder fabelhaft sind und ihrer souveränen Sängerin Sophie Guay.
Artistik-Nummer: Kopfüber mit dem Fahrrad durch die Luft
Die Bewohner des Landes Kuriosistan machen ihrem Landesnamen alle Ehre. Angeführt vom taucherglockenbauchigen Mr Microcosmos (Mathieu Hubener), dem faltbaren Akkordeonmann Nico (Nicolas Baixas) und Telegrafin Klara (Kazuha Ikeda), deren Antennenrock elektromagnetische Wellen empfangen kann, verfügen sie über eine Vielzahl besonderer Fähigkeiten. Etwa über die, kopfüber mit dem Fahrrad durch die Lüfte zu fahren wie Anne Weissbecker. Mit Hilfe von Taschenuhren die Zeit anzuhalten wie Chih-Min Tuan. Oder dafür zu sorgen, dass dem Publikum ein Licht aufgeht, indem sie wie Facundo Giminez eine auf der Stirn balancierte Glühlampe zum Leuchten bringen.
135 Minuten (mit Pause) dauert die poetische, atemberaubende und amüsante Retro-Reise, die Erfindern wie Thomas Alva Edison und James Watt oder dem Luftfahrtpionier Otto Lilienthal die Ehre erweist. Wobei man am Ende glaubt, dass Kuriosistan mitsamt seiner Bevölkerung tatsächlich existiert.
Gigantisch: 130 Zirkusleute, darunter 50 Artistinnen und Artisten
Dafür, dass das auch demnächst in Düsseldorf der Fall sein wird, sorgen 130 Zirkusleute, darunter 50 Artistinnen und Artisten, 150 örtliche Hilfskräfte, 85 Lastwagen, die beinahe 2000 Tonnen Ausrüstung von Spielort zu Spielort transportieren, über 450 Requisiten und 800 Kostüme.
Für letztere, zu denen noch unzählige Perücken, Hüte und Kappen, Koteletten, Schnurr- und Backenbärte, Fliegen, Halskrausen und Krawatten hinzukommen, sind Gaya Mugnai und ihre sieben Kolleginnen und Kollegen verantwortlich, vier weitere helfen beim Um- und Anziehen hinter der Manege. „Die Kleider sehen zwar viktorianisch aus, sind aber aus modernen, sehr dehnbaren Stoffen“, sagt sie, „bei den Robotern kommt Fiberglas zum Einsatz, das viel leichter als Metall ist, aber trotzdem so wirkt.“
Salti schlagen, Schrauben drehen
Wenn er seinen Taucherkugelbauch vor sich herträgt, bringt Mathie Hubener trotzdem 20 Kilo mehr Gewicht auf die Waage. Der 36-jährige stammt aus dem Elsaß, war früher Kunstturner: „Mit 13 habe ich aufs Trampolin gewechselt.“ Das kommt ihm bei seinem Zweitjob in „KURIOS“ zugute, wo er zusammen mit sieben anderen Artisten ein 13 mal 11 Meter großes Netz nutzt, um sich empor zu schnellen, Salti zu schlagen, Schrauben zu drehen. Dass er dabei fast 14 Meter hoch fliegt und bis zu 60 Stundenkilometern schnell wird, macht ihm keine Angst: „Ich liebe es, meine Grenzen auszutesten.“ In die Wiege gelegt wurde ihm diese Lust am Risiko nicht: „Meine Mutter ist Sekretärin, mein Vater Agraringenieur.“
Artistin Anne Weissbecker ist ähnlich aus der Art geschlagen: „Meine Eltern unterrichten beide Mathematik.“ Mit zehn Jahren entdeckte die Französin das Trapez für sich. An ihrer Über-Kopf-Luftakrobatik mit Fahrrad hat sie mit dem KURIOS-Team fünf Monate gefeilt: „Das Fahrrad ist ein ganz normales Fahrrad für Kunstfahrer, das man auch am Boden verwenden könnte.“ In ihrer Rolle als „Telegram Girl“ tut sie etwas, was heute niemand mehr tut: Sie überbringt Botschaften persönlich. Per Luftpost.
Die zierliche blonde Frau, die schon seit 2008 beim Cirque du Soleil ist, möchte nirgendwo anders arbeiten: „Ich liebe den Mix aus Artistik, Theater, Musik und Comedy. Jeder einzelne, der hier arbeitet, hat ein Herz, das leidenschaftlich für den Zirkus schlägt. Es sind Menschen mit ganz unterschiedlichem Background. Das macht es so spannend.“ Künstler und Crewmitglieder stammen aus 27 Nationen von drei Kontinenten. Darunter sind auch solche aus Russland und der Ukraine. Im Cirque du Soleil sind sie keine Gegner, sondern Kollegen. Die in einer Bodenakrobatik-Nummer als menschliche Pyramide aufeinander bauen, sich stützen und Halt geben.
=> Hier geht‘s zum Cirque du Soleil: KURIOS – Kabinett der Kuriositäten
8. März bis 14. April in Düsseldorf Gerresheim auf dem Gelände Glasmacherviertel.
Vorstellungen: Fr. (8.3: 19.30 Uhr, ab 15.3: 16 Uhr und 19.30 Uhr, 29.3. spielfrei), Sa. (16 und 19.30 Uhr, 23.3. und 6.4, auch 12.30 Uhr ), So. (13.30 und 17 Uhr), Mi. und Do. (19.30 Uhr, 28.3. und 11.4. auch 16 Uhr).
Mo. und Di. spielfrei (außer: 19.3., 19.30 Uhr und 1.4, 13.30 und 17 Uhr).
Tickets: ab 55 Euro