Essen. Der Soziologe und Sozialphilosoph, der zu einem Thinktank der Gewerkschaftsbewegung wurde, starb mit 89 Jahren in Hannover.

Oskar Negt hat sich nie damit begnügt, daran zu erinnern, dass „Demokratie die einzige Staatsform ist, die gelernt werden muss“. Er hat, nur folgerichtig, Demokratie auch gelehrt, in der politischen Erwachsenenbildung zumal und in der Gewerkschaftsbewegung. Und er hat Demokratie praktiziert, mit einer spürbaren Freude an der Einmischung. Nicht nur als Berater des damaligen Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder.

Als einer der bedeutendsten Soziologen und Sozialphilosophen des Landes hatte der in Ostpreußen geborene Negt bei Max Horkheimer Philosophie studiert, wurde von Theodor W. Adorno promoviert und legte zusätzlich sein Diplom in Soziologie ab. Während er von 1962 bis 1970 als Assistent von Jürgen Habermas arbeitete, wurde Negt mehr und mehr zu einem Mentor der Studentenbewegung. Ab 1970 lehrte er einflussreich an der Universität Hannover bis zu seiner Emeritierung 2002.

Oskar Negt schrieb mit Alexander Kluge „„Öffentlichkeit und Erfahrung“ sowie „Geschichte und Eigensinn“

Stets war Negt auch gewerkschaftlich engagiert, sein frühes Buch „Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen“ wurde über die DGB-Bundesschule hinaus, für die es entstand, ein Standardwerk – genau wie der Band „Lebendige Arbeit, enteignete Zeit“, mit dem er den Kampf der Gewerkschaften für eine 35-Stunden-Woche unterstützte. Zusammen mit dem vielseitigen Schriftsteller Alexander Kluge schrieb Negt die kritischen, ebenfalls einflussreichen Werke „Öffentlichkeit und Erfahrung“ sowie „Geschichte und Eigensinn“.

Negts kritischer Geist und der Umfang seiner Reflexion zeigte sich beispielhaft in dem Grundsatzwerk „Wozu noch Gewerkschaften?“, indem er die Probleme des Engagements für Arbeitnehmer in Zeiten der Globalisierung, in Zeiten des extrem flexiblen Kapitals thematisierte, das den Konflikten aus dem Weg gehen kann statt sie auszutragen.

Am Freitag ist Oskar Negt nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 89 Jahren in Hannover gestorben, wie der Göttinger Steidl Verlag meldet, in dem viele seiner Bücher erschienen. Die deutsche Gewerkschaftsbewegung und die Demokratie sind um einen klugen Kopf und ein großes Engagement ärmer.