Bochum. 2024 beginnt der Belgier als Intendant der Ruhrtriennale. Uns verriet er, was ihn antreibt. Es begann mit Disney-Tränen.
Die Programm-Katze aus dem Sack lässt Ivo Van Hofe (65) erst im April. Aber ein Interview gibt der neue Intendant der Ruhrtriennale unserer Redaktion schon. Eine schöne Möglichkeit über ihn selbst, den Macher des NRW-Theaterfestes, ein bisschen mehr zu erfahren. Lars von der Gönna traf den international gefeierten Regisseur zum Gespräch.
Wenn Sie schon über die Ruhrtriennale-Zukunft und die Knaller Ihrer ersten Saison noch nichts verraten, reisen wir jetzt mal einfach ganz weit in die Vergangenheit. Wann tritt das erste Mal Kunst in Ihr Leben als Kind?
Ivo Van Hove: Sie werden’s nicht glauben: mit „Bambi“! Wir lebten in einem Dorf, ein Teil der 2000 Bewohner war Bauern, der andere Bergleute. Meine Mutter nahm mich mit nach Antwerpen ins Kino. Auf dem Heimweg liefen mir die Tränen nur so herunter. Bambi hatte ja seine Mutter verloren – und ich war mit meiner im Kino! Ich hatte erlebt, was Kunst besitzt: die Kraft, in Menschen etwas auszulösen!
War Ihnen Kultur an der Wiege gesungen?
Gar nicht! Mein Vater war Apotheker, er stellte die Medikamente noch selbst her. Echte Kultur habe ich ab elf erlebt, als ich ins Internat kam. Da hatte man Mittwochnachmittag die Wahl: Man ging an Sportgeräte oder nach draußen oder eben in die Theatergruppe. Keine Ahnung warum, aber ich wollte zum Theater. Intuitiv. Und es hat mich total gepackt.
Was daran genau?
Erstens: Dass in einem Ort etwas Geheimes entsteht, wovon sonst niemand weiß, ein Ort, an dem alles möglich ist. Und zweitens: Der Applaus nach der Aufführung. Das fand ich genauso toll.
Was davon haben Sie in Ihr Leben als Regisseur gerettet?
Besonders die Liebe zur Freiheit von Gedanken und Gefühlen. Du betrittst den Probenraum: Du darfst hier alles, du darfst sogar die Gedanken eines Mörders haben. Es gibt keine Tabus, keine Grenzen. Und Kunst muss auch nicht unbedingt politisch korrekt sein.
Damit sind Sie großzügiger als aktuelle Theatertrends, die lauter Verbotsschilder aufstellen...
Auf der Bühne dürfen auch unsere Dämonen und Albträume heraus. Warum gehen wir denn ins Theater? Doch auch um zu begreifen, was wir nicht tun wollen. Nehmen Sie Rassismus: Shakespeares Stücke sind voll davon. Aber das würde ich nie streichen, sondern damit arbeiten. Sie verhandeln doch in „Othello“ oder dem „Kaufmann von Venedig“ den Rassismus als Thema. Schonungslos!
Wie sehen Sie das Publikum?
Mein größter Wunsch ist, dass es sich völlig frei fühlt in dem, was es aus einem Abend mitnimmt. Ich mache kein Aktivisten-Theater mit Zeigefinger. Theater ist für mich die Freiheit all das zu zeigen, was Menschen sind – im Guten wie im Schlechten. Beim Publikum liegt die Freiheit, dazu eigene Empfindungen zu haben. Ich fände es absurd, wenn ich die Zuschauer in ihren Reaktionen steuern wollte.
Ihr Lebenswerk als Regisseur hat eine enorme Bandbreite, von Wagners „Ring des Nibelungen“ bis zur „West Side Story“. Was muss ein Stoff haben, damit Sie Lust auf ihn bekommen?
Ich muss genau wissen, warum ich dieses Stück machen will. Wenn ich eine Viertelstunde brauche, um zu erklären, was ich damit soll, ist es kein gutes Zeichen. Ich verstehe auch Kollegen nicht, die sagen „Ich inszeniere da ein Stück, das ist nicht besonders gut.“ Dann sollen sie es nicht machen! Oder so oft lesen, bis sie es besser verstehen. Man muss erkennen, was der Kern ist.
Haben Sie ein Beispiel?
Gerade habe ich das Musical „Jesus Christ Superstar“ gemacht. Mir war wichtig, die Geschichte einer Bewegung zu zeigen, in der alle für eine Sache stehen. Aber auch: Am Beispiel Jesu sehen wir, wie jemand einen enormen Aufstieg erlebt, dem sie zujubeln – und 100 Minuten später keifen sie „Kreuzigt ihn!“. Hier geht es um die Willkür der Massen! Und ich muss ihnen nicht sagen, dass so etwas deutlich mit Phänomenen unserer Zeit korrespondiert.
Suchen Sie stets das Aktuelle?
Auf jeden Fall gehe ich im Theater nicht in ein Museum. Was ich erzähle, das muss für mich etwas mit unserem Zeitalter zu tun haben.
Sie sind ein freundlicher, nicht dominant wirkender Mensch. Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Ich bin immer gut vorbereitet, aber auch offen während der Proben für das, was ich noch nicht weiß.
Aber ein Regisseur muss doch sagen, wo‘s langgeht...
Das stimmt: Es gibt ein Ziel und es gibt für mich auf der Reise durch ein Stück zentrale Punkte. Aber den Weg gehe ich mit dem Team gemeinsam und sehr offen.
Sie arbeiten für die Metropolitan Opera, die Salzburger Festspiele: Werden angesichts von derart viel Erfolg die Zweifel kleiner oder größer?
Sie bleiben. Aber das ist gut so. Zweifel sind für mich positiv besetzt. Immer wieder zu fragen: „Ist es gut, was ich mache?“, das ist für einen Künstler unerlässlich.
Mussten Sie lange überlegen, als die Ruhrtriennale rief?
Nein, einerseits kenne ich dieses Festival gut. Aber mehr noch ist es eine Rückkehr zu meinen Wurzeln. Als ich anfing, war das belgische Theater für uns unmöglich, viel zu altmodisch. Meine erste Inszenierung habe ich in einem leeren Waschsalon gemacht. Die nächsten in riesigen Fabrikhallen. Da bin ich jetzt wieder, mit etwas mehr Wissen über das Theater als mit 20 (lacht).
Mancher findet, die Triennale habe sich über die Jahre eine Kultur-Schickeria herangezogen...
Ehrlich: Ich mache kein Festival nur für die „happy few“ („kleine Schar von Auserwählten“). Mehr junge und kulturell diverse Zuschauer wären großartig. Ich denke etwa über Konzeptalben aus Rock und Pop als Inszenierung nach.
Kleines Ping-Pong zum Schluss: Vollenden Sie bitte diese Sätze:
Als Belgiens König mir den Ritterorden verliehen hat...
...nahm ich ihn gerne an, trage ihn aber nicht (lacht).
In den Minuten vor einer Premiere...
...bin ich entspannt, weil ich ja doch nichts mehr ändern kann.
Wenn ich ein Tier wäre...
... wäre ich ein Igel! Wissen Sie, dass Igel immer dieselben Wege gehen?! So bin ich auch. Im Theater tobe ich mich aus, Zuhause bin ich ein totales Gewohnheitstier.
Meine Musik für die einsame Insel...
...wäre alles von David Bowie.