Essen. Karl Ove Knausgård umkreist und durchdringt die Kunst des Malers und Bildhauers. „Der Wald und der Fluss“ erzählt vom Schwelgen und Staunen.

Im Sommer 2017 wurde im Osloer Munch-Museum eine von Karl Ove Knausgård kuratierte Ausstellung eröffnet. Er hatte dafür Gemälde, Grafiken und Skulpturen ausgewählt, die vorher noch nicht zu sehen gewesen waren. Natürlich hat der viel schreibende Großschriftsteller dazu auch eine Publikation über seine Annäherung an den wichtigsten Maler Norwegens veröffentlicht: „So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche“.

Wenig später hat sich der in London lebende Knausgård knapp zwei Jahre lang auch mit Anselm Kiefer und seiner Kunst beschäftigt. Er hatte ihn um Bilder für sein nächstes Buch gebeten und nach einem halben Jahr nicht nur eine Abbildungs-Datei, sondern auch eine Einladung zum Mittagessen erhalten. Alles begann dann mit einem Besuch im Schwarzwald und in Freiburg kurz vor Weihnachten 2017, wo der von manchen „als größter lebender Künstler der Welt“ Gefeierte ein paar Semester Jura studiert hatte und nun zum Ehrendoktor ernannt wurde.

Kiefer und Knausgård müssen sich gemocht haben

Ein schöner Anlass, dem Gast tags darauf in der Heidegger-Gegend den Ort seines Aufwachsens zu zeigen. Die beiden müssen sich sehr bald gemocht haben, denn weitere Besuche folgten an Orten, wo Kiefer lebt und arbeitet, weil das für ihn nicht zu trennen ist.

Knausgård fuhr ins Atelier bei Paris in einer ehemaligen Kaufhauslagerhalle inklusive Parkplatz, wo zwei Jagdflugzeuge stehen mit getrockneten Mohnblumen im Cockpit, fuhr zu einer Ausstellung nach Kopenhagen, zu einem Galadinner für den Künstler nach New York, ins 40 Hektar große Anwesen mit Türmen, Tunneln und unterirdischen Räumen im südfranzösischen Barjac, als Laurie Anderson bei Anwesenheit der Kiefer-Freunde Peter Sloterdijk und Christoph Ransmayr eine Installation einweihte.

Der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer, hier im Juni bei er Verleihung des Deutschen Nationalpreises in Berlin.
Der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer, hier im Juni bei er Verleihung des Deutschen Nationalpreises in Berlin. © dpa | Jens Kalaene

Hier wie überall sucht, gestaltet und befriedigt Kiefer mit seinen Assistenten, Kränen und Feuer in einem Kampf mit dem Material seine Gier nach Raum und Arbeit. So viel Kunst auf so großer Fläche.

Die Schönheit von Kiefers opulenten Werken ist brutal. Monumental und geschichtsbeladen, ernst überwältigt sie den Betrachter emotional. Bibliotheken aus Blei, schrundige Containerburgen, archaische Architekturen, größtformatige Bilder aus Asche, Holz und Stroh heben die Differenz von Gegenwart und Mythos auf. Wie ein Alchimist schöpft und erschöpft sich Kiefer an unüberschaubar vielen parallelen Projekten.

„Vor Anselm Kiefers Bildern wurde man still“

Einen „Wald aus Kunstwerken“ nennt Knausgård das und erläutert das intuitive Begreifen dieser mit Essenziellem aufgeladenen, ironiefreien Mammutarbeiten: „vor Anselm Kiefers Bildern wurde man still“. Und er weiß um die Problematik, die Kraft dieser Arbeiten wahrzunehmen, aber nicht beschreiben zu können. Das ist eine ihrer vielen bezwingenden Qualitäten.

Kann man Wim Wenders‘ Kiefer-Film „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ auch als das Scheitern eines Großen vor einem noch Größeren sehen, dringt Knausgård in seinen Annäherungen in vorsichtig aus Faszination wachsenden Interpretationen tiefer ein, indem er die Beschreibung persönlicher Begegnungen mit einem, der die Leute in solchen Kreisen auch unterhalten will, mit der Deutung seiner Werke verschränkt.

„Der Wald und der Fluss“ erzählt von der Kraft der Kunst

So macht einer der am meisten missverstandenen Autoren unserer Tage Türen auf zu einem gern missverstandenen bildenden Großkünstler. Knausgård weiß dabei um die Schwierigkeit, eine solche Person in ein Porträt zu zwängen, denn: „Das ist es, was uns die Kunst zeigt. Nicht die Antwort auf das Mysterium, sondern das Mysterium.“ In der Kunst Anselm Kiefers sieht er gleichermaßen die Offenbarung wie das Behüten von Geheimnissen.

So kann man fasziniert kapitulieren vor Kiefers Tiefe. So öffnet eben diese Vieldeutigkeit in einer Zeit der viel zu simplen Wahrheiten Räume für ein Mehr, vor dem man angeregt staunt und schweigt. Diese Kraft der Kunst zu vergegenwärtigen hilft dieses großartige und aufgeschlossen machende Buch, das vom Staunen vor etwas Großen erzählt.