Essen. Erst kündigte das Folkwang seine Zusammenarbeit mit dem Kurator Anaïs Duplan wegen Antisemitismus, dann zog er die Werke seines Studios ab.

Leere Wände. Das Grauen für ein Museum. Aber hier sprechen sie Bände: Eine Ausstellungskoje der neuen Folkwang-Schau „Wir ist Zukunft“ ist komplett ohne Kunstwerke. Ausgerechnet bei der Ausstellung, die künstlerische Visionen einer einigen, friedlichen, neuen Menschheit Revue passieren lässt, zeigt sich, wie tief zerrissen, gespalten, unfriedliche eben diese Menschheit doch ist. Der amerikanische Kurator Anaïs Duplan hatte nach dem Beginn des neue Nahost-Kriegs antiisraelische Kommentare auf Twitter veröffentlicht und sich mit dem israelfeindlichen Netzwerk BDS (Boykotte, De-Investitionen, Sanktionen) solidarisiert. Als das Museum Folkwang daraufhin die Zusammenarbeit mit Duplan aufkündigte, reagierte der Literaturfachmann, Kurator und Künstler mit einem Boykott der Ausstellung und zog die von ihm ausgesuchten Werke aus seinem Studio AGD aus der Ausstellung ab.

„Wir ist Zukunft“: Ludwig von Hofmanns Gemälde „Das verlorene Paradies (Adam und Eva)“ von 1893, eine Leihgabe des Hessischen Landesmuseums Darmstadt im Museum Folkwang.  Folkwang Museum Essen.
„Wir ist Zukunft“: Ludwig von Hofmanns Gemälde „Das verlorene Paradies (Adam und Eva)“ von 1893, eine Leihgabe des Hessischen Landesmuseums Darmstadt im Museum Folkwang. Folkwang Museum Essen. © Folkwang Essen | Linda Breidert

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Museumsdirektor Peter Gorschlüter verweigerte bei der Vorabbesichtigung der Ausstellung, die am Freitag öffnet, jeden weiteren Kommentar zu dem Vorgang, er betonte nur, dass die Entscheidung nicht wegen Duplans Thema „Afrofuturismus“ gefallen sei, sondern wegen seiner israelfeindlichen Äußerungen in sozialen Netzwerken. Kuratorin Anna Fricke zeigte sich „sehr traurig, dass wir diese notwendige Entscheidung treffen mussten und die Werke nicht zu sehen sind.“ Als Ersatz sind auf einem riesigen runden Tisch Kataloge, Sachbücher und Romane zum nun ausgesparten Thema „Afrofuturismus“ ausgelegt, die das Museum zum großen Teil eilends angeschafft hat. Mit ihnen soll sich das Ausstellungspublikum wenigstens lesend und blätternd auf die Utopie einer einigen und gleichen Menschheit einlassen können, wie sie von schwarzen Künstlerinnen und Künstlern vorausgedacht worden ist.

Folkwang-Ausstellung „Wir ist Zukunft“ beginnt mit Hodlers „Frühling“

Überhaupt gibt es in dieser Ausstellung, wenn man mag, viel zu lesen. Längere Wandtexte werden auf Monitoren vorangeblättert. Eine Seh-Reise ist „Wir ist Zukunft“ aber auch, die mit Ferdinand Hodlers „Frühling“ und zwei Nackten in paradiesischer Umgebung beginnt, einem Statement des Folkwang-Gründers Karl Ernst Osthaus von 1905, sagt Anna Fricke: „Er bekannte sich damit zum Aufbruch, zu neuen Lebensformen“. Es geht ähnlich sehenswert mit Georg Kolbes Bronze-„Tänzerin“ von 1911 weiter: Sie versetzte mit ihrer beglückenden Entrückung schon die Zeitgenossen in helles Entzücken, die Gemälde des auch bei Fachleuten eher unbekannten Ludwig von Hofmann oder die farbstarken und schwulen Visionen eines Elisàr von Kupffer, der sich gleich als Religionsgründer sah.

Der „Hangende sector“ von 1961, ein futuristisches Modell des niederländischen Cobra-Künstlers Constant. So sollte es seiner Vorstellung nach auch über dem Ruhrgebiet aussehen.
Der „Hangende sector“ von 1961, ein futuristisches Modell des niederländischen Cobra-Künstlers Constant. So sollte es seiner Vorstellung nach auch über dem Ruhrgebiet aussehen. © FFs | Lars Heidrich

Wenig später entwickelte Bruno Taut seine „Kristalline Architektur“, mit der er etwa zum Wohle der Menschheit und ihres friedlichen Zusammenlebens die Alpen überbauen wollte. Er plante mit „kristallinen“ Elementen aber auch 1919 eine Folkwang-Reformschule (in Hagen). Sie wurde nach dem frühen Tod von Karl Ernst Osthaus nicht mehr gebaut.

Folkwang: Constant plante für ein „New Babylon“ auf Stelzen – auch überm Ruhrgebiet

Faszinierend sind die Idealwelten-Pläne des niederländischen Malers und Bildhauers Constant, der als Mitbegründer der Künstlergruppe „Cobra“ bekannt wurde. Er entwarf ab den 50er-Jahren Pläne, um ganze Regionen, etwa rund um Amsterdam oder auch das Ruhrgebiet mit Plattformen auf Stelzen zu überbauen. Darauf sollte „New Babylon“ entstehen, ein „Sozial-Raum“ für spielerische Menschen entstehen sollte, die durch technischen Fortschritt von jeder Erwerbsarbeit befreit sind. Der Vietnamkrieg und die offensichtliche Uneinigkeit der Menschen ließen Constant allerdings immer mehr an seinem ernst gemeinten Projekt zweifeln – 1974 beendete er seine Arbeit an „New Babylon“. Die Sache mit den menschheits-einigenden Utopien ist nicht erst seit heute eine schöne Träumerei. Sie kann bestenfalls dazu motivieren, den Zustand der Gegenwart nicht nur hinzunehmen. Sondern wenigstens zu korrigieren, wo es möglich ist.

Yussef Agbo-Ola vor seiner Installation „Oriji: 12 Stone Frog Temple“, die eigens für die Ausstellung „Wir ist Zukunft“ im Museum Folkwang erarbeitet wurde. Der Pavillon ist dem vom Aussterben bedrohten Pfeilgiftfrosch gewidmet. „Oriji“ heißt in Agbo-Olas Muttersprache
Yussef Agbo-Ola vor seiner Installation „Oriji: 12 Stone Frog Temple“, die eigens für die Ausstellung „Wir ist Zukunft“ im Museum Folkwang erarbeitet wurde. Der Pavillon ist dem vom Aussterben bedrohten Pfeilgiftfrosch gewidmet. „Oriji“ heißt in Agbo-Olas Muttersprache © FFs | Lars Heidrich

Im Mittelpunkt der Ausstellung wartet ein eigens für die Schau geschaffenes Werk: Eine große Hütte mit gehäkeltem und gesticktem Camouflage-Muster, untermalt von einem meditativen Klang in einem gebetsartigen Takt. Der britische Künstler und Architekt Yussef Agbo-Ola hat ihn dem vom Aussterben Pfeilgiftfrosch gewidmet, der Titel „Oriji“ bedeutet in seiner Muttersprache Yoruba so viel wie „Vergebung“. Denn so viel ist gewiss: Das Wir der Zukunft wird nur tragen, wenn Tiere und Pflanzen, wenn die Natur mit eingeschlossen ist. Sonst bleibt es beim Ich, das vom Untergang bedroht ist.

Laufzeit – Öffnungszeiten – Eintritt – Begleitprogramm

Wir ist Zukunft. Visionen neuer Gemeinschaften“. Museum Folkwang, Museumsplatz 1, 45128 Essen. Bis 17. März 2024. Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr, Do/Fr bis 20 Uhr. Eintritt: 10 €, erm. 6 €. Karten: https://museum-folkwang.ticketfritz.de Begleitprogramm unter www.museum-folkwang.de