Essen. Er hatte noch so viel vor. Aus dem Leben gerissen wurde am Dienstag Franz Xaver Ohnesorg. Jahrzehnte prägte er das Klavier-Festival Ruhr.
Unser letztes Gespräch liegt erst ein paar Monate zurück: Abschieds-Interview. Da traf man einen Mann, der auf ein Lebenswerk blickte und – wer hätte das Gedacht bei diesem Menschen, der immer auch machtbewusster Macher sein konnte – dem Ruhestand in glücklicher Gelassenheit entgegensah. Er hatte ja so viel vor: mehr Zeit für seine Familie, dicke Bücher, endlich mal ins Kino. Aber das Leben hat anders entschieden. Ganz und gar plötzlich ist Franz Xaver Ohnesorg am Dienstagabend gestorben. Sein Werk für unsere Region: Jahrzehnte stand er als Intendant dem Klavier-Festival vor, reformierte es, festigte es, ließ es glänzen weit über das titelgebende Ruhrgebiet hinaus.
Drei stark besetzte Benefizkonzerte markierten den Abschied dieser fast 30 Jahre währenden Ära an der Ruhr, der Erlös aller ging an die Stiftung des Klavierfestivals. Sprach Ohnesorg von ihr, da leuchteten seine Augen nicht weniger stolz als wenn er die Ankunft flügelstürmender Superstars von Martha Argerich bis Evgeny Kissin verkündete. Kindern in Duisburg-Marxloh Klassik nahe zu bringen, denen Mozart und Beethoven nicht an der Wiege gesungen waren, das ließ ihn strahlen. Nun aber wird der letzte Benefiz-Abend dieser drei am 25. November einem Requiem gleichen. Ohnesorgs Platz bleibt leer beim großen Konzert in der Essener Philharmonie, dessen Zusatz „Abschied von...“ etwas brutal Endgültiges hat.
Franz Xaver Ohnesorg ist tot. Fast 30 Jahre Intendant des Klavier-Festivals Ruhr
Wem begegnete man, wenn man Franz Xaver Ohnesorg traf? Einem Vielgesichtigen. Er führte jene Klaviatur eben mit, die einer brauchte, der ganz oben ist und der die Besten will – und bekommt. Das innige Verhältnis zu Klassik-Größen wie Daniel Barenboim oder Gidon Kremer war über ein halbes Jahrhundert gewachsen (Ohnesorgs Telefonbuch galt als Promi-Bibel, weil er Drähte wirklich überall hin hatte). Da war der harte Verhandler, der sich die Butter nicht vom Brot nehmen ließ. Da war der kluge (studierte) Betriebswirt, der Mäzene noch und nöcher um das nicht öffentlich subventionierte Klavier-Festival zu scharen verstand. Da war der Fuchs, der das Festival mit dem Namen Ruhr auch ungeniert an den Rhein oder die Wupper exportierte. Da war der unermüdliche Kämpfer, der listige Strippenzieher, der Detailversessene auch, der in vielen Fällen selbst zum Hörer griff, wo andere einfach ihre Leute vorgeschickt hätten. Da konnte es schon sein, dass in der Kulturredaktion kurz vor Andruck das Telefon klingelte und „FXO“, dessen bayerische Herkunft nur noch als sachte Ahnung in der Stimme durchklang, einem sagte: „Aber das ist doch wirklich ein ganz besonderes Konzert. Können Sie nicht vielleicht doch...?“ Meistens konnten wir, auch weil er meistens Recht hatte.
Der Sohn eines Bäckermeisters blickte auf eine große Karriere zurück, als er 1996 beim größten Pianistentreffen der Welt antrat. Da war zuvor die Carnegie-Hall, da waren die Münchner und Berliner Philharmoniker und da war vor allem die Zeit als Intendant der frisch gegründeten Kölner Philharmonie. Anfangs haben sie ihn, den ausgebildeten Flötisten, dort belächelt, als er sagte: „Wenn Riccardo Muti mit seinen Leuten aus Chicago auf Tournee ist, dann wird er in Köln spielen!“ Aber so kam es. Jessye Norman feierte Triumphe, die besten Klangkörper der Welt wurden umjubelt, das gab es plötzlich Woche für Woche am Rhein.
Rückblickend gewinnt eine Begegnung, die sich als die letzte herausstellen wird, immer besondere Bedeutung. Ich konfrontierte den scheidenden Intendanten diesen Sommer mit der Frage, was denn ausgerechnet bei Musik von tausenden Konzerten überhaupt bliebe, wo doch Klang einfach nur etwas komplett Flüchtiges sei. Ohnesorg sah das ganz genauso. „Es ist halt eine ,Luftkunst’, sagte er lächelnd. „Das Verklingen liegt in der Natur der Sache! Es führt aber auch dazu, dass man den Augenblick noch bewusster erleben kann – bei mir in Form von großer Dankbarkeit und lustvollen Erinnerungen. Ganz nach dem Nietzsche-Wort: „Doch alle Lust will Ewigkeit.“
Franz Xaver Ohnesorg: Sein letztes Benefiz-Konzert wird nun zum Requiem
Als er uns verriet, dass nun, mit dem Ruhestand, wohl auch die Zeit für Memoiren gekommen sei, bot das Grund zu schönster Hoffnung. Die eigenwilligen Dirigenten von Celibidache bis Rattle, die kapriziösen Geiger und Pianistinnen: Ein halbes Jahrhundert hatte er im Olymp der Hochkultur Studien treiben können. Nun nimmt Xaver Ohnesorg sie mit in eine andere Welt: „Doch alle Lust will Ewigkeit“.