Recklinghausen. Manche waren Huren, andere wurden in der Familie missbraucht. Das Ikonen-Museum Recklinghausen erzählt von außergewöhnlichen „Heiligen Frauen“.

Sie wird zum Freiwild ihrer eigenen Familie: Aber die junge F. setzt sich zur Wehr, als ihr Schwiegervater ihr an die Brüste grabscht und noch mehr von ihr will. Einsichtig ist er nicht: „Ich bin der Älteste. Ich bin der Herr im Haus. Du musst mir gehorchen!“ Ihr Leidensgenossin T. rebelliert als junge Frau gegen ihre Zwangsverheiratung. Eine arrangierte Ehe? Nie! Ihr wird mit dem Tod gedroht. T. bleibt standhaft.

#MeToo-News? Nein, so litten der Legende nach Frauen, die zu Heiligen werden sollten. F. ist Fomaida, die der rachsüchtige Alte ermordet; aber an ihrem Grab werden Wunder geschehen. T. ist Thekla. Sie will sich nur einem Mann schenken: Jesus. Ihre heidnische Umwelt verfolgt das Mädchen, das sogar den männlichen Mumm besitzt, sich selbst christlich zu taufen. Thekla überlebt den Scheiterhaufen, die hungrigen Löwen in der Arena, die Schlangengrube…

Legenden, von denen Bilder oder Bildgeschichten erzählen. „Comics ihrer Zeit“, nennt sogar ein Kenner und Bewunderer wie Lutz Rickelt diese visuellen Erzählungen für ein Publikum, das nicht lesen konnte. Der Leiter des Ikonen-Museums Recklinghausen gibt diesen Erzählungen 70-fach ein Gesicht in der neuen Schau „Heilige Frauen in der orthodoxen Kunst“: eine halbe Etage nur im Museum, aber ein (teils weit angereister) Schatz von mindestens einer halben Million Euro.

„Heilige Frauen in der orthodoxen Kunst“ ab jetzt in Recklinghausen

Frauen – war da mehr als eine in der Kunst der Ostkirche? Wer an Ikone denkt, sieht er nicht die immergleiche Muttergottes vor sich?: eine Frau im Heiligenschein, güldener Hintergrund, das Haar bedeckt, dazu ein entrückter Blick melancholischer Spiritualität.

Aber wie viele mehr es neben ihr gab, das zeigen nun Kunstwerke mit ganz anderen Motiven. Am Anfang steht Evas Sündenfall – ihr Gegenspieler ist keine Schlange, sondern Satan, der wirklich als gefallener Engel auftritt. Und dann kommt eine große Reihe von Helferinnen, Heilerinnen. Es gibt auch die Tapferen am Rand der heidnischen Gesellschaft und die gnadenlos Machtbewussten, oft Herrscherwitwen.

Eine Art Heiligen-„Comic“ zu Zeiten, in denen kaum jemand lesen konnte. Fomaïda mit Szenen aus ihrem Leben, eine russische Ikone aus dem 18. Jahrhundert.
Eine Art Heiligen-„Comic“ zu Zeiten, in denen kaum jemand lesen konnte. Fomaïda mit Szenen aus ihrem Leben, eine russische Ikone aus dem 18. Jahrhundert. © Artefakt Kulturkonzepte | Juergen Spiler

Die Frömmsten eint ein gewisses Vorleben. Maria von Ägypten etwa, der es als Märtyrerin gelang, mit drei durch ihre Bußfertigkeit erhaltenen Münzen drei Brote zu erwerben, um davon stolze 47 Jahre in der Wüste ein Eremitinnenleben zu führen. Vor dieser Großtat des Glaubens war sie Prostituierte. Sie ist mit diesem Beruf nicht die einzige unter den Heiligen. Lutz Rickelt erinnert in diesem Zusammenhang gern an das Philippusevangelium, das es nicht in unsere Bibel-Ausgaben geschafft hat. Dort nennt Jesus Maria Magdalena ihm lieber als alle männlichen Jünger. Ein gefallenes Mädchen auch sie.

Ikonenmuseum Recklinghausen erzählt von „Heiligen Frauen“. Eintritt 6 Euro

So stehen die Heldinnen von Anfang an (Jungfräulichkeit und/oder Glauben verteidigend) in Recklinghausen neben denen, die ihre Zeit brauchten, den rechten Weg zu finden. Gerade ihnen sprach man als Heiligen auch im Alten Russland die größte Wirkmacht zu, allen voran Evdokia. Was für ein wildes Leben lag hinter der hübschen Sünderin, ehe sie Gott diente – als Heilige betet man sie darum besonders gern an, Spezialgebiet: Umkehr.