Berlin. Ob Leinwand oder Konzertbühne: Jared Leto elektrisiert Millionen. Bei uns spricht er über Gegengewichte zu Hollywood und die Rolle Karl Lagerfeld.
Jared Leto ist ein Mann mit vielen Begabungen. Der 51-jährige US-Amerikaner zählt als Oscar-Preisträger zu den herausragenden Schauspielern seiner Generation. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder Shannon hat er 1998 „Thirty Seconds To Mars“ gegründet. Der wirkungsvolle Mix aus Rock, Pop, und Electro erklingt auch auf dem neuen Album „It’s The End Of The World But It’s A Beautiful Day“. Steffen Rüth traf Leto in Berlin.
Steht der Titel des Albums für eine Lebensdevise: „Die Welt geht vor die Hunde, also genieße ich mein Leben, so lange es noch geht?“
Leto: Ich finde, dass der Titel die vollkommen verrückten Zeiten, in denen wir leben, ziemlich gut reflektiert. Ich meine, wir feiern, wir haben Spaß, aber wir tanzen ganz schön nah an der Klippe.
Wobei der Mensch das Chaos, in dem er sich zurechtfinden muss, natürlich selbst verursacht hat
Absolut. Das Irre ist doch, dass wir allesamt in einer total friedlichen und total harmonischen Welt leben könnten, aber wir uns ständig wieder neue Probleme schaffen. Das ist wirklich bizarr. Abgesehen von Naturkatastrophen, und selbst für die tragen wir oft eine Mitverantwortung, sind wir diejenigen, die uns das Leben selbst schwer machen. Ganz grundsätzlich macht es mich fertig, wie viel Schmerz der Mensch anderen Menschen zuzufügen imstande ist.
Das Album klingt überwiegend bombastisch, elektronisch und episch. Es wirkt wie der Soundtrack zu einem monumentalen Katastrophenfilm, in dem am Ende alles gut wird.
In unserer Welt gibt es sehr viel Dunkelheit. Manchmal singe auch ich im Chor der Pessimisten mit. Aber was mich dann doch immer wieder zuversichtlich stimmt und ermutigt, ist meine Überzeugung, dass wir die Werkzeuge, die Kreativität und das Know-how haben, um erfolgreich an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Auch wenn die Zeiten düster erscheinen, kann die Zukunft trotzdem hell erstrahlen. Wir haben alle Möglichkeiten, um unseren Untergang abzuwenden, wir müssen sie nur nutzen.
Sind die neuen Lieder auch aus einer Vielzahl verschiedener Gefühle heraus entstanden?
Total. Mein Bruder und ich fingen in der Frühphase von Corona mit dem Songschreiben an, er saß in Seattle, ich in Kalifornien. Ich war noch nie so lange an ein und demselben Ort und ahnte, dass ich diese Zeit nutzen sollte. Und so konnte ich selbst diesen schwierigen und für viele tragischen Umständen etwas Positives abgewinnen – indem ich mich hinsetzte, zur Ruhe kam und zweihundert Songs schrieb. Auch Shannon war sehr produktiv, wir durchlebten eine fast schon magische Zeit. Und während wir naturgemäß mit Songs über Isolation begannen, schälten sich nach und nach andere Inhalte heraus, kamen andere Emotionen zum Vorschein, der Drang nach Befreiung und Loslösung von Zwängen zum Beispiel.
Freiheit ist ein zentrales Thema auf dem Album. Was bedeutet Ihnen der Begriff der Freiheit persönlich, was ist Ihre Definition eines freien, selbstbestimmten Lebens?
Freiheit ist für mich die Fähigkeit, meinen wildesten Träumen zu folgen und meinen verrücktesten Leidenschaften zu frönen. Außerdem heißt ein freies Leben für mich ein Leben, in dem ich ganz ich selbst sein kann. In dem mir nicht die ganze Welt vorschreiben will, was ich zu tun und wer ich zu sein habe.
Als Musiker wie auch als Schauspieler sind Sie extrem verwandlungsfreudig. Sie legen sich nicht auf ein Genre fest, nicht auf eine bestimmte Art von Rolle. Fällt es Ihnen leicht, immer Sie selbst zu bleiben, wenn Sie bei der Arbeit immer wieder in die Person von jemandem anderem schlüpfen?
Die Herausforderung liebt darin, bei mir zu bleiben und auf meine innere, kreative Stimme zu hören. Und natürlich die beste Arbeit abzuliefern, die ich zu leisten imstande bin. Ich will, dass die Leute, die in meine Filme gehen, zu unseren Konzerten oder die sich unsere Platte anhören, ein hohes Level an Qualität bekommen. Und vielleicht finden sie nicht alles gleichermaßen überzeugend, was ich mache, aber es soll sie mindestens überraschen. Menschen zu langweilen wäre mir ein Grauen. Und ich gebe ein Versprechen ab: Wenn du zu einer Show von Thirty Seconds To Mars kommst, werden mein Bruder und ich alles in unserer Macht Stehende dafür tun, dass du diesen Abend niemals vergessen wirst.
Im Video zu Ihrer aktuellen Single „Stuck“ spielen sehr viele, sehr unterschiedliche Menschen mit. Nicht alle entsprechen dem typischen Schönheitsideal. Aber alle tragen fantastische Outfits. Geht es auch hier um das Feiern der Freiheit?
Ja, das denke ich. Wir kommen immer wieder auf die Freiheit zurück, und das gefällt mir. Freiheit ist so wichtig – emotional, körperlich, psychisch und kreativ. Ganz ehrlich, schon das Wort „Freiheit“ ist wundervoll.
Sie bringen in dem Clip Musik, Mode, Schauspiel, Kunst und Design zusammen. Macht es Spaß, quasi alle Talente gleichzeitig auszuleben?
Oh ja, total. Und ich liebe es auch, der Regisseur meiner Videos zu sein, meine eigene Vision umzusetzen. Ein Video zu drehen ist für mich so ähnlich wie ein Bild zu malen. Du kannst tun und lassen, was du willst, es gibt kein Richtig und kein Falsch, und du hast, da sind wir schon wieder, die vollständige Freiheit, dich künstlerisch auszutoben.
Sie haben 2014 einen Oscar bekommen für die Rolle als eine Transgender-Person im Film „Dallas Buyers Club“. Beeindruckt es Sie, wie weit die Gesellschaft in Sachen Diversität vorangekommen ist in den vergangenen zehn Jahren?
Für mich ist jeder Mensch ein Faszinosum. Ich denke, Vielfalt, nicht zuletzt menschliche Vielfalt, macht die Welt zu einem interessanteren Ort. Wir sind nicht alle gleich, und das ist großartig. Unterschiede bereichern uns. Und speziell dieses Video feiert Menschen, die ein bisschen anders sind als die Norm, oder die vielleicht auf andere Art schön sind.
Sind Sie auch ein bisschen anders?
So habe ich mich immer empfunden. Ich bin mit kreativen Menschen aufgewachsen. Seit ich klein war, wurde ich ermutigt, meine eigene Trommel zu schlagen und meinen ganz individuellen Weg zu gehen. Mein Bruder und ich, wir haben schon früh eine eigene künstlerische Sprache entwickelt, ohne uns groß an anderen zu orientieren.
Sie sind mit Ihrer alleinerziehenden Mutter viel umhergezogen und haben eine Art Hippie-Kindheit erlebt. Wie wichtig war Ihre Mutter?
Unsere Mutter hat eine riesengroße Rolle dabei gespielt, dass wir unsere Kreativität entdecken konnten. Wir waren eine Vagabundenfamilie, ohne wirkliche materielle Stabilität, aber mit viel Liebe und Zuneigung. Kunst und Musik waren immer Teil unseres Lebens. Ich war ein kleiner Junge, als mir einer unserer Freunde ein paar Akkorde auf der Gitarre beibrachte, und an diese Akkorde erinnere ich mich heute noch. Später fanden wir ein altes Klavier am Straßenrand, das jemand weggeworfen hatte. Wir behielten und stimmten es, und ich lernte zu spielen. Mein Bruder haute auf sämtliche Kisten und Pfannen, die er in die Hände bekam, so fing seine Karriere als Schlagzeuger an.
Was ist von diesem Hippie-Geist heute noch präsent in Ihrem Leben?
Ich bin absolut davon überzeugt, dass zum Leben mehr gehört, als einfach nur viel Geld zu verdienen und Erfolg zu haben. In der Hippie-Ära wurde das Fundament gelebt für vieles, was wir heute schätzen. Freies Denken, Selbstliebe, Achtsamkeit, Gemeinschaftssinn – das ist der Geist jener Zeit gewesen. Und diese Werte werden immer wichtiger. Ich hoffe, dass auch ich sie bis zu einem guten Grad leben und vermitteln kann.
Sie machen einen recht gut ausbalancierten Eindruck. Erleichtert, dass Sie in Hollywood nicht verrückt geworden sind?
Und ob! Ich versuche wirklich, einigermaßen intakt zu bleiben. Ich bin zum Beispiel total nüchtern, ich nehme keine Drogen, trinke keinen Alkohol, rauche nicht, lebe seit langem vegan. Das alles hilft ungemein. Ich kann mich sehr gut fokussieren. Mein größtes Laster ist wahrscheinlich, dass ich ein bisschen zu viel arbeite.
Wenn das Ihre übelste Angewohnheit ist, können Sie sich nicht beklagen. Was tun Sie, um sich zu entspannen?
Yoga, Meditation, lange Spaziergänge und Klettern. Klettern ist toll, du bist in der Natur, es ist absolut anstrengend und um den Kopf freizukriegen, gibt es nichts Besseres.
Alles andere als frei war Ihr Kopf unlängst bei der Met-Gala in New York. Sie sind im Ganzkörperkostüm gekommen, verkleidet als Karl Lagerfelds Katze Choupette. War es nicht ziemlich heiß unter dem Fell?
Es war sogar höllisch heiß (lacht). Aber auch lustig. Ich wollte Karl mit dem Kostüm ehren, er hatte einen herrlichen Humor und hätte sicher auch gelacht.
Kannten Sie einander?
Ich habe Karl einige Male getroffen. Einmal sagte ich zu ihm „Karl, eines Tages werde ich dich in einem Film darstellen.“ Und er meinte nur: „Wenn das einer macht, dann du, Darling“. Wir waren uns in gegenseitiger Zuneigung verbunden. Und natürlich bewunderte ich sein Schaffen zutiefst, und auch er sagte immer wieder sehr nette Dinge über meine Arbeit. Wir hatten eine warmherzige Beziehung.
Tatsächlich werden Sie nun in der Verfilmung von Lagerfelds Leben die Hauptrolle spielen. Wie weit ist das Projekt gediehen?
Wir arbeiten aktuell am Drehbuch, ein bisschen wird es also noch dauern. Mein Gott, ich freue mich so. Was für einen Jahrhundertcharakter ich spielen werde – ich bin unendlich dankbar über diese Rolle.