Essen. Ferdinand von Schirach lässt einen Schriftsteller über Liebe und Tod sinnieren. Vielleicht kann er seinen Monolog auf der Bühne noch retten.
Man muss sich Ferdinand von Schirach (59) als romantischen Menschen vorstellen. Seine bisherigen Veröffentlichungen drängen allerdings eher nicht dahin. Mit 45 Jahren veröffentlichte von Schirach nach einer durchaus erfolgreichen Anwaltskarriere, in der er unter anderem den SED-Bonzen Günter Schabowski und DDR-Grenzschützer verteidigte, die als „Mauerschützen“ angeklagt waren, sein erstes Buch. Der Sammelband „Verbrechen“, der Geschichten über Fälle enthielt, die von Schirach als Strafverteidiger erlebt hatte, wurde ein Bestseller. Die Kurve ging mit dem Nachfolger „Schuld“ noch einmal nach oben – erst recht, als beide Bände auch noch fürs Fernsehen verfilmt wurden.
Der literarische Erfolg rührte nur zum Teil daher, dass die Geschichten vor allem unfassbare Gewaltverbrechen in einem sehr normalen Alltags-Umfeld beschrieben und davon profitierten, dass man sich den Grusel als echte Wirklichkeit vorzustellen hatte; auch von Schirachs lakonische, nüchtern-kühle Sprache, bei der die einen an Kafka, die anderen an Hemingway denken mussten, ließen die Storys und Kurzgeschichten funkeln. Literarhistorisch reichte die Traditionslinie zurück bis zu den Anekdoten eines Heinrich von Kleist.
„Der Fall Collini“, „Gott“ und „Terror“ – Politik und Menschenrechte
Auch sein Nachfolge-Projekt „Der Fall Collini“ (2011), ebenfalls verfilmt, nun aber fürs Kino, hatte wenig Romantisches an sich: Es ging um den (wiederum historisch verbürgten) Mordfall, in dem ein italienischer Gastarbeiter einen deutschen Fabrikanten ermordete – aus Rache für die Hinrichtung von italienischen Partisanen, die eben dieser Fabrikant als SS-Sturmbannführer während des Zweiten Weltkriegs befohlen hatte.
Der Roman umkreist aber nicht nur diesen Fall, sondern auch den Umgang der Politik mit solchen Verbrechen, vor allem das „Verjährungsgesetz“ von 1968, das ihre juristische Verfolgung verhinderte. Damit war der Jurist von Schirach auf einem Feld angekommen, das er dann als Theater-Autor weiter beackerte: „Terror“ behandelt das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit am Fall einer Passagiermaschine, die abgeschossen wurde, um ein vollbesetztes Stadion vor ihrem Absturz zu schützen, „Gott“ das vom Verfassungsgericht festgestellte Recht auf einen assistierten Freitod. Die Ausstrahlung beider Stoffe im TV waren echte Quotenbringer.
Ferdinand von Schirachs „Regen“ ist der Monolog eines Schriftststellers
Und nun das: von Schirachs neues Buch „Regen“, der Monolog eines Schriftstellers, setzt zwar die Reihe der Ein-Wort-Titel fort. Doch das Gerichtsverfahren um ein Tötungsverbrechen, das darin vorkommt, bleibt eine Kulisse im Hintergrund. Davor erleben wir einen Schriftsteller mit einer 17 Jahre währenden Schreibblockade, die sich gerade lockert. Ausgelöst wurde sie vom Tod der geliebten Frau, von der Unfähigkeit, sich abzufinden. Die Worte „für immer“ bewirken eine Lähmung.
Es geht um die Liebe und den Tod. Dabei sagt der Schriftsteller irgendwann: „Ich mag die Romantik nicht, zu viele Felder und Wälder, zu viele Monde.“ Zitiert aber den Romantiker Novalis mit dem berühmten Satz „Wir wollen immer nur nach Hause“. Immerhin wissend: „Zu Hause ist ja kein Ort, es ist unsere Erinnerung.“ Der Autor glaubt aber, und das ist ja nun erz-romantisch, über die Liebe zu wissen: „Sie wissen um den Lebensmenschen, lange bevor Sie ihn zum ersten Mal sehen.“
„Es ist besser, wenn alles ein kleines bisschen weiter weg ist“
Dieses Büchlein auf knapp 50 locker bedruckten Seiten (den Rest füllt ein Interview von Schirachs mit dem Journalisten Sven Michaelsen aus dem Magazin der Süddeutschen Zeitung) hat immerhin einige schöne, gewitzte Sätze. „Mit der Natur ist es beben wie mit den Menschen: Es ist besser, wenn alles ein kleines bisschen weiter weg ist“ sind so welche. Oder: „Das ist aber genau das, was Schriftsteller tun – sie stehen sich und anderen im Weg herum.“ Oder: „Bücher sind oft klüger als ihre Autoren.“
Aber ausgerechnet mit diesem Buch ist es nicht so. Es stellt diese Sätze in den Raum – und die Handlung tut nichts weiter als sie zu beglaubigen. Da bleibt kein Rätsel und nur wenig Raum für Widerhaken, Ambivalenzen, Parallelen, sprechende Bilder. Und manchmal wird es gar ein wenig geschwätzig, die schlanke, knappe Sprache leistet sich Überflüssiges und Umständlichkeiten.
Vielleicht ist dieser Monolog auch das Gegenteil von einem Lesedrama und wirkt nur auf der Bühne gut. Wir werden es erfahren: Seine „Welturaufführung“ durch den Autor am 10. Oktober in der Berliner Philharmonie ist hoffnungslos ausverkauft; für die Aufführung in der Düsseldorfer Tonhalle sechs Tage später und in der Essener Philharmonie am 25. Oktober gibt es noch Karten ab 46,65 Euro.
Ferdinand von Schirach: Regen. Eine Liebeserklärung. Luchterhand Verlag, 110 S., 20 €.