Kalkriese. Die Ausstellung „Cold Case – Tod eines Legionärs“ in Kalkriese zeigt den Fund eines römischen Panzers. Und umkreist das Rätsel vom toten Legionär.

Am Anfang war da eine Mischung aus Sirren und Ticken. Am Ende hatte die Wissenschaft, die so gern etwas zur „Sensation“ erklärt, wirklich eine: der Schildpanzer eines römischen Legionärs, weitestgehend erhalten. Europaweit einzigartig. Mit überraschend großer Ähnlichkeit zu den Schildpanzern, die auch Laien jenseits der Altertumswissenschaft kennen – weil Asterix und Obelix die römischen Soldaten gern aus selbigen herausprügelten. An diesem Bodenschatz sind sogar noch die Schnallen zu erkennen, mit denen die lebensrettenden Metallringe enger oder auch, je nach Ernährungslage, weiter geschnallt werden konnten.

Museum Kalkriese: Was macht die „Halsgeige“ da neben dem Schienenpanzer?

Blick auf einen römischen Schienenpanzer  aus dem Jahr 9 n. Chr. 30 Jahre zuvor war er erfunden worden – neueste Militärtechnik also zur Zeit der Varusschlacht.
Blick auf einen römischen Schienenpanzer aus dem Jahr 9 n. Chr. 30 Jahre zuvor war er erfunden worden – neueste Militärtechnik also zur Zeit der Varusschlacht. © dpa | Friso Gentsch

Aber wie kam dieser Schildpanzer an den Fuß des Kalkrieser Bergs, einem Ausläufer des Wiehengebirges nördlich von Osnabrück, zehn Minuten von der A1, Abfahrt Brahmsche entfernt? Warum lag noch eine Sichel daneben, eine Maultierkette, eine Dolch-Scheide und ein „Pilum“? Das war eine Mischung aus Florett und Pfeil, die sich nach der ersten Benutzung sofort verbog, damit der Gegner, im Falle seines unbeabsichtigten Überlebens, nicht als Waffe gegen den Legionär wenden konnte. Und was machte schließlich noch eine „Halsgeige“ da? Eine Art antiker Handschelle, die neben den beiden Öffnungen für die Handgelenke auch noch eine für den Hals vorsah – damit wurden in aller Wehrlosigkeit Sklaven abgeführt. Ist das nun der Beweis dafür, dass die Varusschlacht, mit der die „frech gewordenen“ Römer von den Germanen hinter den Rhein zurückgescheucht wurden.

All diesen Fragen geht nun eine höchst anschauliche, spannend geführte Ausstellung im 2002 eröffneten Museum Kalkriese nach. Ringsum viel Gegend, von der man sich gut vorstellen kann, dass sich die Römer hier verlaufen haben. Heute heißt sogar der Golfclub hier „Varus“, nach dem Kommandeur, der verantwortlich war für die Abschlachtung der 17., 18. und 19. römischen Legion im Herbst des Jahres 9 nach Christi Geburt durch germanische Krieger unter Führung des in Rom ausgebildeten Arminius, den man später auch Hermann nennen sollte.

403 Bruchstücke eines Schienenpanzers lagen im Boden und wurden geklebt

Auch in Kalkriese gefunden: Die brutale „Halsgeige“ (9 n. Chr.), mit der für gewöhlich Sklaven der Römer gefesselt wurden. Vielleicht wurde sie hier für einemnanderen Zweck benutzt…
Auch in Kalkriese gefunden: Die brutale „Halsgeige“ (9 n. Chr.), mit der für gewöhlich Sklaven der Römer gefesselt wurden. Vielleicht wurde sie hier für einemnanderen Zweck benutzt… © dpa | Friso Gentsch

Auch am Anfang der Ausstellung steht das sirrende Ticken – den ersten Hinweis auf den Schienenpanzer lieferte ein Metallsuchgerät am 3. April 2018. Das Geräusch war so laut, da musste mehr im Boden stecken als eine Münze oder ein Schleuderblei, deren massenhafte Funde Ende der 80er-Jahre dafür sorgten, dass man Kalkriese als Ort der national­mythenbildenden Schlacht im Teutoburger Wald (und künftigen Tourismus-Standort) in Betracht zog. Der neue Fund wurde mit der umgebenden Erde in einem zentnerschweren Block geborgen. Ein erster Versuch, ihn mit dem Personen-Scanner am Flughafen Münster-Osnabrück zu röntgen, misslang. Der Block war zu gewaltig. Erst der größte zivile Computer-Tomograf der Welt im Fraunhofer-Institut in Fürth brachte die Erkenntnis: Es lohnt sich, den Block Schicht für Schicht freizulegen.

Zum Vorschein kamen 403 Bruchstücke, die man zunächst mit Zwei-Komponenten-Kleber zusammenpappte (übrigens ungeeignet für Klima-Kämpfer: Der braucht eine Woche zum Aushärten). Der Panzer, modernste Waffentechnik der Zeit, war eine ärmellose Weste, die trotz ihrer 30 Eisenteile zwei Kilo leichter war als ein Kettenhemd, das von den Römern zuvor getragen wurde und mit seinen abertausenden Einzel-Gliedern von fünf Millimetern Größe viel aufwendiger zu fertigen war. Die Nachbildung des Kalkrieser Panzers durch einen Kunstschmied fand übrigens in der Netflix-Serie „Barbaren“ Verwendung, die ja ebenfalls die Niederlage des Varus und seiner Legionen vor Augen führte.

Ein Opferritual? Bloßer Zufall? Am Ende dürfen die Besucher sich entscheiden

In der Ausstellung kann das Publikum selbst en bisschen forschen.
In der Ausstellung kann das Publikum selbst en bisschen forschen. © Osnabrücker Land | Manfred Pollert

Am Ende der mit digitalen Medien wie mit imposanten Vergleichsstücken (etwa einem Brustpanzer) arbeitenden Ausstellung stehen zwei Theorien: Entweder könnte der Fund von einem grausamen Sieges- und Opferritual zeugen, bei dem ein Legionär als Trophäe ausgestellt und zurückgelassen wurde. Klingt faszinierend, doch die Schau fragt auch danach, warum uns solche gewalttätigen Erklärungen immer schneller faszinieren als eine vergleichsweise banale: Vielleicht hatten die Germanen beim Plündern der getöteten Legionäre schon so viel zusammengerafft, dass sie gar nicht mehr tragen konnten – oder sie könnten den Ort fluchtartig verlassen haben aus Angst, Opfer von Legionären zu werden, die bis dahin die Schlacht überlebt hatten.

Entschieden ist das so wenig wie die Frage, ob die Schlacht in Kalkriese stattgefunden hat. Der Fund scheint das wahrscheinlicher gemacht zu haben. Aber warum wurde dann bislang nur ein einziger Panzer gefunden? Oder lagern vielleicht noch mehr davon im Boden? In Kalkriese sirrticken wieder die Metallsuchgeräte.

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Info: Die Ausstellung „Cold Case – Tod eines Legionärs“ im Varusschlacht-Museum (Venner Straße 69, 49565 Bramsche/Kalkriese) läuft bis 5. November. Eintritt: 12 €, erm. 9 €, Familien: 25 €. Geöffnet: tgl. 10-18 Uhr. Führungen: So, 16 Uhr; für Gruppen/Schulklassen: Tel. 05468/9204-200 oder