Köln. Die wilde Show „Berlin Berlin“ eröffnete das Kölner Sommerfestival. Und reißt das Publikum zum Mitsingen hin. Noch bis zum Anfang Juli.

Zum Schluss singen alle zusammen: „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück, und ich träum davon in jedem Augenblick“. Der Schlager von Werner Richard Heymann transportiert die gleiche wehmütige Sehnsucht nach einer heileren Welt wie das später auch „Over The Rainbow“ in „Der Zauberer von Oz“ und „Somewhere“ in der „West Side Story“ taten. Die Revue „Berlin Berlin“, die jetzt das 34. Kölner Sommerfestival in der Philharmonie eröffnete, endet mit dieser Glückshoffnung und schlägt zugleich den Bogen ins Jahr 2020, als die Welt um uns herum sehr dunkel wurde.

Damals war die Show von Martin Flor (Konzept), Christoph Biermeier (Buch und Regie) schon einmal in Köln zu sehen, im Musical Dome, und sollte danach auf Welttournee gehen. Corona setzte diesen Plänen ein Ende. Nun ist die Hommage an die goldenen Zwanziger zurück. Umfänglich überarbeitet, mit neuen Liedern und Choreografien, und in einer (fast) komplett ausgetauschter Besetzung.

„Berlin Berlin“ zeigt die brodelnde Metropole des Vergnügens

Schon vor drei Jahren begeisterte in dem szenisch-musikalischen Potpourri rund um den Berliner Admiralspalast das frech-frivole Plädoyer für die Freiheit, die jedem und jeder zugestanden werden sollte. Als Tanz auf dem Vulkan, der kurz davor ist, auszubrechen. Und als ganz und gar magische Wiedererweckung eines Lebensgefühls, das in der Vergnügungsmetropole brodelte und brauste – bis es zerbarst, als die Nazis kamen.

Jetzt, nach der Pandemie, hat man den Eindruck, dass die Begeisterung noch größer geworden ist. Wenn die im Publikum bei „Ich wollt’ ich wär ein Huhn“ Tränen lachen, wenn sie bei „Es ist so schön, am Abend bummeln zu gehn“ lauthals mitsingen und hinterher gar nicht mehr aufhören wollen zu applaudieren, dann liegt darin Hingabe. Und die Lust, das Leben (sowie sich selbst) zu feiern. Und Gier nach Gesellschaft, nach Befreiung, danach sich endlich, endlich, wieder fallenlassen zu können in Bühnenkunst. Und zugleich, für 150 Minuten (mit Pause), alles zu vergessen, was sich an neuen Bedrohlichkeiten aufgetürmt hat.

Marlene Dietrich mit Kodderschnauze, Josephine Baker göttlich – aber Anita Berber spielt sie an die Wand

Deshalb müsste es die über 30 Darstellerinnen und Darsteller und die Musiker des „Berlin Berlin-Orchesters“ eigentlich auf Rezept geben. Sie singen, tanzen und spielen sich leidenschaftlich und authentisch durch ein Repertoire aus mehr als 30 Songs, Schlagern und Medleys. Es gibt mehr deutsche und eingedeutschte Stücke als vorher, mit Charleston, Lindy Hop, Tango, Foxtrott und Swing sind jetzt alle Tanzstile der 1920er vertreten.

Und erst die Mode! Möchte man glatt tragen. Und einige im Publikum tun es sogar

Federn und Fransen, Pailletten und Perlen, Strass und Seide wippen und funkeln und glitzern im Licht der Scheinwerfer um die Wette. So eine tolle Mode! Die möchte man selbst gerne tragen. Und einige im Publikum tun das auch, am liebsten paarweise. Die Hauptdarsteller – allen voran „der Admiral“ (Simon Stockinger), der seinen Vergnügungspalast wie ein mokant-süffisanterer, aber auch empathischer Zirkusdirektor leitet – sind perfekt für die jeweiligen Rollen ausgewählt. Jeder und jede für sich: Lena Müller spielt Marlene Dietrich mit viel Frauenpower und Berliner Kodderschnauze; Sebastian Prange gibt den Kutte, das Mädchen für alles im Club, so putzig, dass man ihn ständig knuddeln möchte, Page Fenlon als Josephine Baker ist die Baker: eine Kämpferin gegen Rassismus mit dem Körper einer Gottheit.

„Cabaret“ als ein gesungener Seelenaufriss

Jil Clesse als trunk- und drogensüchtige Tänzerin Anita Berber spielt und singt sie trotzdem alle an die Wand. Ihr „Cabaret“ ist ein gesungener Seelenaufriss. Und die sechs Darsteller der Comedian Harmonists erwecken die Illusion, dass die Vorbilder tatsächlich auf der Bühne stünden. Rundum großartig!

Bis 2.7., Philharmonie Köln, Fr. 20 Uhr, Sa. 15 u. 20 Uhr, So. 14 u. 19 Uhr, Karten ab 49,50 €. Gebühren. Mehr unter:www.koelnersommerfestival.de