Gelsenkirchen. Jubelndes Publikum, eine Opernrarität, herrlich komisch inszeniert. Warum man Verdis „un giorno di regno“ in Gelsenkirchen sehen sollte.
Premierenpublikum im falschen Film: Karten für vergessene Verdi-Komödie gekauft, Orchester trumpft aber mit „Falstaff“ auf. Doch ehe noch das Parkett des Musiktheaters im Revier protestieren kann, greift der Meister ein: Verdi (Georg Hansen) höchstselbst scheint (samt schwarzem Zylinder und weißem Schal) Boldinis berühmten Altersporträt entstiegen.
Und dieser Mann bequatscht die Musiker, von denen selbst der Dirigent noch nie was von „un giorno di regno“ gehört hat, zu seinem total in Vergessenheit geratenen Werk: Los geht’s per mitreißender Potpourri-Ouvertüre. Alles anders, alles verrückt, alles sehr liebevoll inszeniert. Auftakt für ein komödiantisches Kleinod der Saison – eine musikalische und szenische Frischzellenkur nach einer schwerblütigen Opernsaison an Rhein und Ruhr.
Rare Oper in Gelsenkirchen - und Verdi spielt in „un giorno di regno“ selbst mit
Da sei erst einmal Roman Hovenbitzer gepriesen. Gottseidank nicht die Sorte Regisseur, die im Angesicht einer deftigen Typenkomödie ins depressive Fach wechseln. Nein, Hovenbitzer langt richtig zu, ist albern, listig, deftig, clownesk. Er umarmt pointensatt jene Story um einen falschen König und mindestens zwei verwickelte Liebesbande, die das Zeug für 38 Folgen „Verbotene Liebe“ hätten. Und er hält zwei doppelte Inszenierungsböden bereit, die diesen Wirrwar um einen „König für einen Tag“ (Verdis zweite Oper und damals in Mailand gnadenlos gefloppt) zwar nicht glätten, aber zu absolut süffig vorbeischnurrendem Musiktheater machen.
Erstens spielt er genüsslich die Tatsache aus, dass der polnische König Stanislaus seine Rückkehr aus dem Exil mittels Doppelgänger einfädelt. Der ist Schauspieler – und entsprechend schnurstracks stiefelt Verdi (den ganzen Abend Strippenzieher) Richtung Unterbühne, die noch pennenden Protagonisten in ihre Rollen zu schubsen. Dieses Theater auf dem Theater (als Augenschmaus von Bühnenbildner Hermann Feuchter angerichtet) gibt dem Abend köstlich Zucker, mitunter erbittet die Primadonna noch eine Arie mehr. Alles übrigens in Johanna Ralsers juxig wattierten Kostümen: Commedia dell’arte trifft Kaffeemütze.
Komödie mit Lust am Jux: Es geht in Roman Hovenbitzers Regie auch ums Theater im Theater
Zweitens grundiert das einst von Verdi gestiftete Mailänder Altenheim für Musiker die Szene, was den (ohnehin wundervoll präsenten) Chor schon mal zum Filzpantoffel-Ballett animiert oder der Partitur nach dem Zusammenbruch eines Bewohners zwerchfellerschütternde Reanimations-Rhythmen ablauscht.
Apropos Musik: Verdi ist noch weit davon entfernt, er selbst zu sein, hakt sich hier klar beim Retro-Belcanto unter, aber doch schon so hochbegabt, dass wir uns den schunkelbaren Tableaus und mal beseelten, mal erzkomödiantisch hingetupften Arien und Duetten à la Rossini und Donizetti gern ergeben.
Lauter junge Sänger: „un giorno di regno“ sollte man sich nicht entgehen lassen
Was den Abend noch besonders macht: Er verneigt sich vor der nächsten Generation. Er ist ein Projekt des Opernstudios NRW, das jungen Sängern Berufspraxis ermöglicht. Und doch kann man kaum glauben, dass die phänomenale Heejin Kim (Marchesa del Poggio) noch am Anfang steht, ein warmtönender, glutvoll-farbenreicher Sopran. Oleh Lebedyevs Belfiore glänzt als wendiger Kavaliersbariton. Ein Traumpaar in Sachen augenzwinkernder Herzensdinge: Benjamin Lees schlanker Tenor und die einmal mehr grandios auftrumpfende Lina Hoffmann.
Jubel für alle, großer für die Neue Philharmonie Westfalen, die sich dem zupackenden Witz der Musik vergnüglich stellt, deren zarten Trauerränder aber nicht minder kunstvoll hintupft. Der Dirigent: – Nobody does it... – Betta, Vorname Giuliano.
Hingehen! In dieser Saison nur noch heute (11.6), 18h und am 18.6h. 16h. Karten 0209-4097200.
Aufnahme in die kommende Spielzeit