Nürburgring. Rockband hat das erste Europa-Konzert nach dem Tod von Schlagzeuger Taylor Hawkins gespielt. Und mit einer beherzten Feier des Lebens begeistert.
„Es hat uns eine Menge abverlangt, hier bei euch sein zu können“, sagt Dave Grohl nach den ersten drei Songs, „als Band, als Crew und als Familie.“ Wieder und wieder bedankt sich der Frontmann beim Publikum, wiederholt kippt er sich – trotz der kühlen zehn Grad, die zwischen 23 Uhr und kurz vor 1 Uhr am Nürburgring herrschen - Wasser über den Kopf. Zusammen mit dem Schweiß dieses gewaltigen, berserkerhaften und dabei immer doch auch so knuddelig-nahbar und Teddybär-artig wirkenden Kraftmannes vermischt sich die Becherflüssigkeit schnell zu einer grundlegenden Gesichtsnässe, die Grohl, schwarzes Hemd, schwarze Jeans, gar noch haariger wirken lässt, als er sowieso schon ist. Besonders toll sieht der 54-Jährige aus, wenn die schwarz-graumelierte Matte von hinten nach vorne fliegt und wie eine Gardine aus Haupthaar das Gesicht verhüllt.
Auftritt ist einer für die Geschichtsbücher
Der Auftritt am ersten „Rock am Ring“-Abend ist einer für die Geschichtsbücher. Es ist, nach vier US-Terminen Ende Mai, die erste Show auf europäischem Boden mit dem neuen Schlagzeuger Josh Freese, der erst vor wenigen Wochen offiziell vorgestellt wurde. Und es findet just an dem Tag statt, an dem die Foo Fighters ihr elftes Album „But Here We Are“ veröffentlichen. Die Platte entstand nach dem Tod von Drummer Taylor Hawkins, der mit fünfzig Jahren im März 2022 sehr unerwartet während einer Lateinamerikatour in seinem Hotelzimmer in Bogota/Kolumbien verstarb. Hawkins und Grohl verband mehr als Freundschaft, es war eher eine platonische Männerliebe zwischen den beiden. Besonders tragisch: Zum zweiten Mal nach dem Suizid von Kurz Cobain 1994 muss Dave Grohl, damals Schlagzeuger von Nirvana, den Verlust eines geliebten Bandmitglieds ertragen. 1995 gründete er die Foo Fighters, und damals wie heute lautet das Grohl’sche Kunstprinzip: Katharsis und Heilung durch Musik. Songs, in denen es um Trauer, Verlust, Schmerz, Bewältigungsstrategien, Erlösung sowie die Schönheit des Weiterlebens geht, ziehen sich seit dem Debütalbum „Foo Fighters“ durch das Gesamtwerk der Band. Nicht wenige davon spielen sie auch während der zwei Stunden am Nürburgring. Das hymnische „Times Like These“ etwa, oder auch „Walk“, immer wieder handeln Foo-Fighters-Lieder davon, zurück auf die Beine zu kommen, Widerstandsfähigkeit zu zeigen, nicht hinzuwerfen. „But Here We Are“ halt, sehr frei übersetzt mit „Hier stehen wir. Wir können nicht anders“.
Drei der neuen Lieder, die so frisch, knackig und durchdringend klingen wie lange keine mehr zuvor, spielen sie Freitagnacht. Als erstes, nach den zwei wunderbar lauten und mehr gebrüllten als gesungenen Schredder- Songs „All My Life“ und „No Son Of Mine“, die megamitsingtaugliche Single „Rescued“, im Refrain sagt Grohl, er warte darauf, gerettet zu werden. Das kann er haben. Die Menschen gehen voll mit, singen, tanzen, trinken und grölen in fröhlicher Eintracht. Mussten die Foo Fighters ihren letzten Auftritt bei „Rock am Ring“ 2018 abbrechen, weil Dave Grohl die Stimme versagte, singt, schreit und, Verzeihung, grohlt, er diesmal, was das Zeug hält. „Rockmusik geht weiter und weiter“, ruft er irgendwann, so beseelt wie die Menge. „Sie begleitet uns durch die Jahrzehnte“. Besonders glücklich sei er, so Grohl, darüber „in so viele junge Gesichter zu blicken, von denen uns viele bestimmt noch nie gesehen haben.“
Gestählt durch die Arbeit Sting oder Nine Inch Nails
Das zentrale neue Gesicht der Nacht freilich wird immer wieder in Großaufnahme auf die Videoleinwände projiziert. Josh Freese, fünfzig Jahre alt, seit Jahrzehnten hochversierter Studio- und Livemusiker, gestählt durch die Arbeit mit Leuten von Sting bis Nine Inch Nails, ist ein sehr häufig lächelnder, wenn nicht lachender und jedenfalls sehr sympathisch wirkender Mensch mit blondiertem Schopf. Ein klein wenig sieht er aus wie der ältere Bruder von Bastian Schweinsteiger, und er trägt ein schwarzes Shirt, auf dem „Somehow I like Lou Reed“ steht. Cooler Typ irgendwie. „Wir sind auch deshalb hier bei euch, weil wir diesen Menschen gefunden haben“, sagt Dave Grohl, bevor er Freese dem Publikum sehr liebevoll und ausführlich vorstellt, indem die Band ein paar der Songs anspielt, auf denen Freese über die Jahre so mitgespielt hat. Spontaner Eindruck: Das passt mit Grohl, Freese und den anderen, immer wieder suchen die Musiker während der Show die Nähe und den Blickkontakt ihres neuen Drummers.
Insgesamt tut es dem Konzert sehr gut, dass die Foo Fighters es nicht in Pathos ertränken. So lange man nicht gestorben ist, geht das Leben weiter - diese trotzige, optimistische und, wie manche der Songs selbst, Spuren von Punk enthaltene Weltsicht, bildet quasi das Herz der Show. „Wir sind eine Garagenband, die heute vor 60.000 Menschen spielt“, ruft Grohl irgendwann, und dann spielen sie erst, in einer ungewöhnlich langsam-eindringlichen Version, ihr Melodienmonster „The Pretender“ (alle singen wieder mit), und kurz drauf das wüste, wilde „Breakout“ für „euch Oldschool-Motherfucker“, wie Grohl die beinharten Fans zärtlich nennt, auch die epischen, altbewährten, Hymnen wie „My Hero“ oder „Learn To Fly“ fehlen natürlich nicht. Man ist heute Nacht hier zusammen, um eine phantastische Zeit zu haben, nicht, um traurig zu sein, das ist der klare rote Faden des wirklich furiosen und mit zwei Stunden (die Digitaluhr auf der Bühne ist gnadenlos, gegen Ende wirkt es, als würden sie aus Zeitmangel ein, zwei Songs weglassen) keine Minute zu langen Konzerts.
Die Foo Fighters werden ganz bestimmt schon bald wiederkommen
Aber natürlich ist Zeit genug für den Überraschungsauftritt der Person, „mit der ich mir jeden Morgen das Frühstück vom Zimmerservice teile“: Violet Grohl, 17, ist die älteste von Daves drei Töchtern, sie singt auch auf dem neuen Album auf einem Song mit, und jetzt kommt sie, souverän und lässig, auf die Bühne, um mit ihrem Vater zusammen „Shame Shame“ zu singen. Frappierend übrigens, wie ähnlich Violet ihrer Oma Virginia Hanlon Grohl sieht, Daves Mutter, die ebenfalls verstorben ist, 84-jährig im vergangenen August.
Erst nach anderthalb Stunden erwähnt Dave den verstorbenen Taylor Hawkins erstmals namentlich. Er streicht sich den Haarvorhang weg, blickt zu Boden und tja, wischt er sich jetzt ein paar Tränen aus dem Gesicht, als er sagt: „Lasst uns einen Song für die eine Person spielen, die heute Abend nicht hier sein kann“? Es sieht so aus. „Das hier war Taylors Lieblingslied“. Die Band spielt „Aurora“, eine ruhige, nicht sehr häufig in Foo-Fighters-Konzerten zu hörende, Nummer aus dem 1999er-Album „Nothing Left To Lose“. Und dann, zack, zack, zack, „Monkey Wrench“, „Best Of You“ und „Everlong“. Nochmal drei große Songs, große Gefühle, große Euphorie. Und dann ist das Konzert vorbei. Aber das Leben, es geht weiter. Und die Foo Fighters, sie werden ganz bestimmt schon bald wiederkommen. Zum Glück.