Hamburg. Freitag trifft der frühere Dortmunder und Hamburger bei seinem Heimdebüt als Nationaltrainer auf Deutschland. Ein Gespräch über Heimat.
Vor 18 Jahren stand Sergej Barbarez das bislang letzte Mal im Stadion Bilino Polje in Zenica für die Nationalmannschaft von Bosnien-Herzegowina auf dem Platz. 0:3 verlor seine Mannschaft gegen Ungarn. Stürmer Barbarez spielte als Innenverteidiger. In der kommenden Woche trifft er dort als Nationaltrainer in der Nations League wieder auf Ungarn. Vorher aber steht für den 53-Jährigen am Freitagabend (20.45 Uhr/RTL) in Zenica gegen Deutschland bei seinem Heimdebüt als Nationalcoach das größte Spiel seiner noch jungen Trainerkarriere an. Vor dem Duell gegen seine zweite Heimat sprach der frühere Berliner, Dortmunder, Hamburger und Leverkusener mit dieser Redaktion über seine besondere Lebensgeschichte.
Herr Barbarez, ein Länderspiel in Bosnien gegen Deutschland gab es zuletzt vor 22 Jahren. Beim 1:1 in Sarajevo im Oktober 2002 waren Sie aber nicht dabei, obwohl Sie zu dieser Zeit Stammspieler und Nationalheld waren.
Sergej Barbarez: Daran kann ich mich ehrlicherweise gar nicht erinnern. Wahrscheinlich war ich verletzt. Ich kann mich aber noch an ein Spiel gegen die deutsche A2-Nationalmannschaft mit Horst Hrubesch als Trainer erinnern. Das muss 1999 gewesen sein. Da haben wir auch in Sarajevo gespielt.
Am Freitag spielen Sie in der Nations League aber nicht im Olympiastadion in Sarajevo, sondern in Zenica vor nur 15.000 Zuschauern. Warum?
Das Olympiastadion erfüllt nicht mehr die Anforderungen der Uefa. Wir haben schon zu meiner Zeit alle Pflichtspiele in Zenica bestritten. Das ist ein kleines Stadion, aber immer ein Hexenkessel. Das wird auch am Freitag so sein. Alle wollen die neue Mannschaft und das neue Trainerteam sehen.
Für Sie ist es das erste Heimspiel als Nationaltrainer. Wie emotional wird es?
Das müssen Sie mich nach dem Spiel fragen. Natürlich wird es emotional. Aber das war schon bei meinen ersten Spielen so. Als wir in Holland gespielt haben, waren mehr als 7000 Bosnier dabei. Die Emotionen waren schon da, als wir uns hier getroffen haben.
Für Sie persönlich geht es bei Ihrem Heimdebüt gegen Ihre zweite Heimat Deutschland. Was bedeutet dieses Spiel für Sie?
Für mich ist es eine große Ehre und eine besondere Geschichte, dass ich mein Heimdebüt gegen Deutschland erleben darf. Wie Sie schon sagen, ich habe zwei Heimaten. Viele Deutsche werden meinetwegen da sein. Die Vorfreude ist sehr groß.
Wie groß ist der Traum von Ihrem ersten Sieg als Nationaltrainer gegen Deutschland?
Meine große Stärke ist es, realistisch zu sein. Ich kann die Situation gut einschätzen. Wir hoffen darauf und werden alles dafür tun. Unsere Mentalität ist aber so, dass uns manchmal der Blick für die Realität fehlt. Wir sind ein kleines Land mit weniger Einwohnern als Berlin. Aber die Menschen haben eine große Begeisterung. Sie erwarten große Ergebnisse.
Spüren Sie schon eine neue Euphorie in Bosnien seit Ihrem Amtsantritt im April?
Die Rückmeldungen sind schon enorm. In meinem Staff sind jetzt viele Kollegen, mit denen ich vor 20 Jahren noch zusammengespielt habe. Wir wollen das Image der Nationalmannschaft wieder aufbessern und den Stolz wieder nach vorne bringen. Wir haben schon viel angepackt, angefangen im Nachwuchs bei der U14. Dieser Teil von Europa ist schon besonders, was die vielen Talente betrifft. Und das, obwohl durch den Krieg noch viele Bosnier im Ausland leben. Wir wollen diese Menschen und die Kinder begeistern, damit sie wieder an uns denken und irgendwann auch für uns spielen.
Sie sind im Dezember 1991 selbst nach Deutschland gekommen und wegen des Bosnienkriegs nicht mehr zurückgegangen. Dabei wollten Sie nur Urlaub bei Ihrem Onkel in Hannover machen.
Das ist richtig. Mein Vater hat mit meinem Onkel alles abgesprochen, dass ich in Deutschland bleibe. Bei uns hatte man damals großen Respekt vor den Vätern. Da gab es keine Widerrede. Ich habe nur mit dem Kopf genickt. Ich war 21, als der Krieg begann, habe vorher ein Jahr für die Armee gedient. Der Weg war nicht einfach, vor allem am Anfang. Aber ich habe das Beste daraus gemacht und bin froh, wie es am Ende für mich gelaufen ist.
Haben Sie dann alleine bei Ihrem Onkel gelebt?
Nein. Meine damalige Freundin, heute meine Frau, ist ein halbes Jahr später dazugekommen. Und dann auch meine Schwester und mein Vater. Ich habe eineinhalb Jahre in Hannover gelebt und bin dort durch ein Probetraining bei Hannover 96 II mit Trainer Frank Pagelsdorf gelandet. Er hat mich dann auch 1993 zu Union Berlin geholt.
Der Krieg in Bosnien ging bis 1995. 100.000 Menschen starben. Wann waren Sie das erste Mal wieder dort?
Das war 1998 mit der Nationalmannschaft. Ich war eigentlich sehr enttäuscht, was in Bosnien passiert ist und habe mir gesagt, dass ich nie wieder zurückkehren will. Als junger Mann war der Krieg sehr schwer für mich nachzuvollziehen und es war schwer danach zu sehen, wie es in meinem Land aussah. Die Nationalmannschaft konnte mich dann überzeugen, 1998 nach sieben Jahren das erste Mal zurückzukehren. Ich war auch zwei Tage in meiner Heimatstadt Mostar. Auch da war viel zerstört.
Ist Ihre Familie am Freitag dabei?
Meine Frau kommt erst am Dienstag zum Spiel gegen Ungarn. Meine Söhne leben in Hamburg, aber die sind immer dabei. Sie sind in Deutschland aufgewachsen und eigentlich sehr deutsch, aber seit ich Nationaltrainer bin, sind sie mehr Bosnier (lacht). Mein älterer Sohn Filip (30) kennt mich nur ein bisschen als Fußballer, mein jüngerer Sohn Sergio-Luis (25) nur aus Videos. Sie sind enorm stolz, sogar stolzer als ich. Das ist sehr schön zu sehen.
Und Ihre Mutter?
Mama lebt noch in Mostar, aber sie kann das am Fernseher nicht aushalten. Das ist zu emotional für sie. Sie stellt aber immer viele Fragen und verfolgt alles. Sie ist sehr froh, dass ich jetzt als Nationaltrainer öfter in der Heimat bin und sie besuchen kann.
Sie treffen gegen Deutschland auf viele Dortmunder und Leverkusener. Sie haben bei beiden Clubs gespielt.
Ich bin sehr stolz, dass ich für diese Vereine gespielt habe und verfolge den Weg der beiden jedes Jahr. Der einzige Ex-Club, der mich etwas nervt, ist der HSV. Der müsste eigentlich auch in den Top fünf Deutschlands spielen. Dafür freue ich mich, dass so viele Dortmunder und Leverkusener dabei sind.
Dennis Hadzikadunic vom HSV haben Sie aus dem Kader gestrichen. Warum?
Wir haben uns beim letzten Lehrgang unterhalten und jetzt die Entscheidung getroffen. Er ist jetzt etwas hintendran. Wir haben vier, fünf richtig gute Innenverteidiger. Dennis muss eine Reaktion zeigen und Gas geben, dann hat er wieder eine Chance. Das ist jetzt eine Momentaufnahme.
Dafür ist mit Nikola Vasilj ein Hamburger vom FC St. Pauli ihre neue Nummer eins.
Ja, die Entscheidung haben wir schon nach meinem Amtsantritt getroffen. Wir hatten mit Ibrahim Sehic einen erfahrenen Torwart, aber er ist jetzt 36. Ich wollte einen Neuanfang im Tor und Nikola eine Chance in der Nations League geben. Ich bin von ihm überzeugt und sehr glücklich, ihn bei mir zu haben.
Und dann ist da ja noch der gebürtige Hamburger Ermedin Demirovic (26), der jetzt mit Stuttgart in der Champions League spielt.
Er geht einen wunderbaren Weg. Ich bin froh, dass ich so einen Stürmer habe. Er spielt jetzt bei uns mit Edin Dzeko zusammen und kann viel von ihm und seiner großen Erfahrung lernen.
Kannten Sie Demirovic aus Hamburg?
Nein, er ist ja schon mit 16 vom HSV nach Leipzig gegangen. Er hat mir aber neulich ein Foto von uns beiden gezeigt, wie er damals zum HSV-Training gekommen ist. Er wollte unbedingt ein Bild mit mir machen. Ich war damals sein Idol. 20 Jahre später hat er mir jetzt das Foto gezeigt. Und nun bin ich sein Nationaltrainer. Eine schöne Geschichte.
Sie haben nach Ihrem Amtsantritt gesagt, dass Sie noch gar nicht wissen, was für ein Trainertyp Sie sind. Können Sie es jetzt sagen nach Ihren ersten vier Spielen?
Ich bin eigentlich sehr lieb (lacht). In der Halbzeit kann ich laut werden, aber ich versuche eine sehr enge Beziehung zu meinen Spielern zu haben. Vielleicht sogar zu eng. Ich will viel reden, viel erklären. So bin ich. Und anders kann ich auch nicht.