Essen. „Hitster“ heißt das derzeit meistverkaufte Erwachsenenspiel Deutschlands. Was das Erraten von Musiktiteln so beliebt macht
Es geht um Musik. Um Musik aus über 100 Jahren. „Hitster“ heißt das Spiel, das in diesem Sommer so oft gekauft wird, wie kaum kein anderes in Deutschland. Platz Eins in vielen Internet-Kaufhäusern und kaum zu übersehende Stapel in den Geschäften vor Ort – „kein Spiel für Erwachsene ist derzeit beliebter“, sagt Susanne Krüger, Marketing-Managerin der Firma Jumbo, die das Spiel produziert. Aber warum?
Titel aus über 100 Jahren
Amazon führt es als Kartenspiel, für den Hersteller ist es ein Partyspiel, die meisten Menschen sagen Musikspiel. Ohne an dieser Stelle schon in Einzelheiten zu gehen: es geht darum, Musiktitel aus den letzten 100 Jahren zu erkennen und zeitlich einzuordnen. Wer auch noch Titel und Interpreten nennen kann, bekommt einen Bonus. Benötigt wird das Spiel an sich, Internetzugang und ein Smartphone, auf dem die Hitster-App und der Streamingdienst Spotify installiert sind. Letzterer am besten in der Abo-Variante. Es geht auch ohne Abo und mit anderen Diensten, ist dann aber nicht so komfortabel.
Jeweils 308 kleine Karten mit einem aufgedruckten QR-Code sind in jeder Hitster-Verkaufsbox. Wird dieser Code mit dem Smartphone eingelesen, führt er automatisch zu Spotify und der Streaming-Dienst spielt das Lied der jeweiligen Karte ab. Wer an der Reihe ist, legt die verdeckte Karte in der seiner Meinung nach richtigen Reihenfolge auf seinen Musik-Zeitstrahl und dreht sie um. Hat er Recht, darf er die Karte behalten. Wer zuerst zehn Karten in der richtigen Reihenfolge gelegt hat, ist der „Hitster“ und hat gewonnen. Spielvariationen finden sich in den Spielregeln. Die gibt es übrigens nicht auf Papier, sondern auch nur abrufbar im Internet.
Hitster ist nicht ganz neu auf dem Markt. Vorgestellt wird es bereits auf Spiel `22 in Essen. Die Kritiken sind gut, dennoch kommt der Erfolg außerhalb der Spielerszene nicht über Nacht. „Da war viel Mund-zu-Mund-Propaganda bei“, weiß die Verkäuferin in einem Buchladen. „Wenn am Wochenende sechs Leute gespielt haben“, standen montags immer zwei oder drei im Laden und haben sich selbst ein Exemplar gekauft.“
Erfunden hat das Spiel ein Schwede
Erfunden hat es ein Schwede. Marcus Carleson heißt der Mann, der von sich sagt, er habe „schon immer gerne Spiele und Quizspiele veranstaltet“. Genau das macht er an einem Sommerabend des Jahres 2019 auch. „Ich eine Reihe von Zetteln mit Künstlernamen, Songtiteln und dem Erscheinungsjahr des Songs vorbereitet“, hat er später in Interviews erzählt. Mit ihm als „engagierten DJ“ durften die Besucher seiner Dinner-Party Musiktitel erraten. Die Idee kommt an: „Meine Gäste haben es absolut geliebt!“ Über die Plattform Kickstarter sammelt er Geld, um die Idee weiterzuentwickeln. Wenig später wird ein Scout der Firma Jumbo auf ihn aufmerksam. „Wir haben Leute, die sich nur mit der Suche nach neuen Spielideen beschäftigen“, sagt Krüger. Und die Jumbo dann weiter entwickelt. Bei Hitster hat die Firma die Idee mit den QR-Codes und auch die für die Technik nötige kostenlose App entwickelt.
„Hitster“ ist, das können wir nach mehreren Probespielen sagen, tatsächlich ein Spiel für die ganze Familie? Ihre Tochter mag nicht wissen, wer Cornelia Froeboess war und wann sie die Deutschen aufforderte „Pack die Badehose ein“, ihr Sohn hat wahrscheinlich jemals weder von Patrick Hernandez noch von Journey gehört. Aber Hand aufs Herz: Wissen Sie noch, wer „Cheap Thrills“ gesungen hat oder wann Shawn Mendes & Camila Cabello mit „Senorita“ die Charts anführten? Mit anderen Worten: Es gleicht sich immer aus.
Ein Spiel für Leute, die nicht gerne spielen
Das eigentliche Erfolgsgeheimnis sei aber ein anderes, sagt Susanne Krüger. Nicht nur, dass die Regeln binnen kurzer Zeit erklärt sind, sagt sie. „Mit diesem Spiel holen Sie auch Leute ab, die eigentlich nicht spielen. Hitster wird nämlich schnell zu einer musikalischen Reise in die Vergangenheit.“ Klar, das muss sie sagen als Marketing-Managerin. Aber ganz verkehrt ist das nicht, wie unsere Probespiele ebenfalls gezeigt haben. Ja selbst, wer von sich behauptet „null Ahnung“ von Musik zu haben, ist hinterher oft „überrascht, wie viel ich doch erkannt habe“. Zudem lässt sich eine zeitliche Einordnung oft auch allein am Musikstil erahnen. Eine Disco-Nummer aus den 1950er Jahren? Eher unwahrscheinlich.
Bleibt noch die Frage, wie lange man mit 308 Karten spielen kann, bevor man jede davon kennt und zuordnet. Wenn man den Rest des Sommers nichts anderes macht, möglicherweise nicht sehr lange. Auch deshalb gibt es mittlerweile drei Erweiterungs-Sets zum eigentlichen Spiel. „Summer Party“, „Schlagerparty“ und „Guilty Pleasures“ – also Lieder, die man mal gerne gehört hat, die einem aber heute peinlich sind. In jedem Set kann man auch ohne das Hauptspiel raten. Trotzdem wird hier und da in Spiele-Foren gemault. „Zu einfach“, zu schwierig“, zu viele 80er-Songs oder zu wenige. Im Großen und Ganzen aber sind die Bewertungen meist sehr positiv.
Weitere Editionen sind nicht ausgeschlossen. „Da wird noch einiges kommen.“ Übrigens für jedes der über 30 Länder, in denen das Spiel erschienen ist, in eigenen Versionen. Weil es ja doch in allen Genres Songs gibt, die es nie über die eigenen Landesgrenzen hinaus geschafft haben. Eine spezielle Redaktion beim Hersteller sucht die Lieder aus. Krüger ist eine von mehreren Kontrollinstanzen. Nicht weil, sie sich für eine Musik-Expertin hält. Ganz im Gegenteil: „Ich bin eine ganz normale Hörerin. Wenn ich ein Lied kenne, kennt es jeder.“
Hitster, Jumbo-Spiele, ca. 20 Euro. Jede Erweiterung ebenfalls jeweils ca. 20 Euro. Weitere Informationen unter jumboplay.com/de-de