Bochum. Das gibt es nur im Ruhrgebiet: Die Autobahn wird neu gebaut, und vor der Baustelle verschwindet der Verkehr. Was in Bochum passiert.
Das Ruhrgebiet hat früh gewusst, „da kommt was“. Aber eigentlich kommt außer dieser Großbaustelle, dieser Sperrung der Schlachthofbrücke in Bochum nichts: kein Auto mehr durch, keine Schlange zwischen Ost und West, es kommt auch das erwartete Verkehrsproblem nicht, trotz allem. Seit Dienstagabend ist die Autobahn 40 dicht, und es gibt keinen Stau, nirgends. Stell dir vor, alle warten auf das Chaos, und das Chaos fällt aus. Erstmal.
Es ist, als sei auf Mittwoch, den 7. August, in diesem Jahr ein Sonntag gefallen. Ein Rätsel, wo die Menschen sind, die jetzt auf der Autobahn stehen sollten, vor den Absperrbaken, hinter den Warnschildern, innerstädtisch an den Ampeln. Das Revier ist offenbar gleich im Bett geblieben. Im Homeoffice. Oder noch im Urlaub. Aber überhaupt, das Ruhrgebiet: Das Fahrverhalten ist hier ganz anders, findet Elfriede Sauerwein-Braksiek. Die Direktorin der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH nennt es das „Phänomen A40“: „Man ist hier in der Lage, schnell aufzufahren und die Spur zu wechseln.“ Das habe die 40 immer schon „leistungsfähiger“ gemacht. Mit mehr als 100.000 Fahrzeugen auf einer Autobahn zu fahren, die nur für 60- bis 70.000 ausgelegt ist, „ist nach dem Regelwerk eigentlich nicht möglich“.
Sperrung: Feuer griff 2021 die Konstruktion der Brücke an
Im Ruhrgebiet schon. Nur auf dieser Brücke nicht mehr, die vor sechs Jahren bereits auffiel: „Spannungsriss-gefährdet“, diagnostizierten die Ingenieure bei einer Kontrolle 2018. Es gibt keine Zahlen aus den 50ern, als diese Brücke entstand, aber Bilder: Die zeigen „drei Lkw zwischen Bochum und Dortmund“, schätzt Projektleiter Lars Batzer. Nicht nur die Autos seien so viel mehr geworden, vor allem die Laster, und die dazu noch schwerer. „Die Tragfähigkeit war nicht mehr ausreichend.“ Seither überprüften sie das Bauwerk monatlich, monitorten jeden einzelnen kleinen Riss. Und schwitzten Blut und Wasser, als vor genau drei Jahren auch noch ein Feuer die Konstruktion angriff. Schon damals mussten sie stützen, sperrten die Fahrbahn Richtung Dortmund ebenfalls für ein Vierteljahr.
Doch bei allen innovativen Möglichkeiten, sagt Sauerwein-Braksiek: „Verstärken hilft hier nicht mehr.“ Man habe sehr schnell sagen müssen: „Hier muss ein neues Bauwerk her.“ Und das unter Vollsperrung, für eine Verlegung des Verkehrs ist die Schlachthofbrücke viereinhalb Meter zu schmal. Vor drei Jahren bereits begann die Planung.
40 Tonnen in vier Stunden? Bagger nagen am Brückenbeton
Und nun haben sie das alte Stück für immer abgeschlossen. Am Dienstagabend um neun Uhr war das, am Mittwochmorgen schon stehen allenfalls die Lkw im Stau, gekommen, um den Schutt abzutransportieren. Auf einem steht der Werbespruch: „In vier Stunden 40 Tonnen...“ Kommt hin, um 11 Uhr am Vormittag sind die betonierten Fahrbahn-Begrenzungen weg, ein Bagger nagt an den letzten Mittelleitplanken. Was davon übrigblieb, liegt unter der Brücke, ein Haufen Beton und krummer Bewehrungsstahl. Die Baggerschaufel muss die schweren Brocken schütteln, dass sie überhaupt auseinandergehen. Es kommt zuerst viel Gewicht weg, sie nennen das „Leichtern“.
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Über dem, was gestern noch Fahrbahn war, steht eine dicke weiße Wolke aus Staub, der sich auf Haut und Lippen legt. Der grüne Gitterzaun, der Fahrbahn von Fußweg trennte, ist fort; ein Riesen-Gabelstapler trägt die Einzelteile von der Brücke in das Bett darunter. Der Sommerflieder vom Fahrbahnrand ist geknickt, die Goldrute ausgerissen; jemand, der die Baken von ihren Sockeln getrennt haben muss, hat seine Flex in den Dreck gelegt. Container warten, Betonbauklötze auch, eine Firma wirbt für „Rundum Sanierung“, aber vermutlich nicht von Brücken. Ab nächste Woche Freitag, 16. August, kann auch die Bahn unter der Brücke für 14 Tage nicht mehr fahren. Dann wird erst richtig abgebrochen, nicht gesprengt.
Spaghettiknoten statt Kleeblätter – das Ruhrgebiet ist kreativ
Durch die Staubwolke sind die Abfahrten Zentrum und Hofstede zu sehen, in die andere Richtung die Ausfahrt Hamme. Auch das zeigt, wie eng es hier ist, wie viel Stadt betroffen, wenn die Autobahn still liegt. „Die Bebauung“, sagt Projektleiter Batzer, „ist rechts und links unheimlich nah dran.“ Auch typisch für das Ruhrgebiet, sagt seine Chefin: Aus- und Auffahrten seien im Ballungsraum Ruhrgebiet mit ihren Straßen und Gleisen überall „Spaghettiknoten, keine klassischen Kleeblätter“. Die Ingenieure seien „damals schon kreativ gewesen“.
Die von heute haben in den vergangenen sechs Monaten die neue Bochumer Brücke „unter der laufenden A40“ in Teilen bereits neu gebaut. Die Leitungen liegen, die Widerlager sind fertig, die Stützen „bis Unterkante neue Brückenplatte“ stehen. Das war Phase 1. Fertig auf den Tag genau, sagt Lars Batzer, „das macht den Baumenschen fröhlich“. Bis November werden beide Fahrbahnhälften, zusammen vier Spuren, komplett neu gebaut, allein die Brücke 66 Meter lang, breiter und höher als bisher. Am Ende wird alles 30 Millionen Euro gekostet haben.
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15 Wochen, sagen sie, soll das alles dauern, „ein strammes Programm“. 15 Wochen, das sind mehr als 100 Tage oder dreieinhalb Monate. Es wäre also Buß- und Bettag, und vielleicht wäre dies ein fühlbarer Anhaltspunkt, wie viel Zeit das ist: Um den 20. November laufen die Weihnachtsmärkte schon.
Bis ins zweite Halbjahr 2025: Tempo 80 auf der A40
Die Autobahn soll dann wieder in beide Richtungen befahrbar sein, aber nur auf der nördlichen neuen Brückenhälfte. Mit Tempo 80, bis vielleicht im zweiten Halbjahr 2025 alles fertig ist, aber darüber kann Elfriede Sauerwein-Braksiek nur lachen. „Die Verkehrsführung mit 80 auf der A40 ist ja nun wirklich nie das Problem.“ Noch sind die Bauherren und -damen optimistisch, dass ihnen 15 Wochen Sperrung reichen werden. Aber passieren könne natürlich immer was. „Im Ruhrgebiet wissen Sie nie, was kommt.“ Im Boden haben sie bislang nichts entdeckt, aber auch die Direktorin weiß: „Es kann immer was sein. Und wenn es Wetter ist.“
>>INFO: NRW UND SEINE BRÜCKEN
Nordrhein-Westfalen hat laut Autobahn GmbH die „höchstbelasteten Autobahnen“ und damit auch die meisten sanierungsbedürftigen Brücken. Neun Prozent haben einen sehr schlechten „Traglastindex“, mit dem berechnet wird, was eine Brücke tragen können sollte und tatsächlich tragen kann. Das sind in Zahlen etwa 600 Brücken, von denen 300 über Autobahnen hinweg führen.
Derzeit arbeitet die GmbH daran, deren „Lebensdauer“ zu erhalten. „Das ist die wichtigste Prioriät“, sagt Direktorin Elfriede Sauerwein-Braksiek. Zwei Drittel der Mittel gingen in die Infrastruktur der Autobahnen, etwa in den Kreuzen Herne, Dortmund/Unna, Kaiserberg. In Neu- oder sechsspurigen Ausbau fließe zurzeit nichts.