Hünxe. Die Aktivistinnen traten beim Festival zwischen Hünxe und Bottrop auf. Warum der mit Spannung erwartete Auftritt einige enttäuscht haben dürfte.
Stilistisch vielfältig verlief der zweite Tag des Ruhrpott Rodeos und dazu trug auch der mit Spannung erwartete Auftritt von Pussy Riot mit Nadeschda Tolokonnikowa bei. Er fand auf der kleineren der beiden Bühnen statt und dies hatte, wie Festival-Veranstalter Alex Schwers schon im Vorfeld angedeutet hatte, etwas mit der Show zu tun. Nadeschda Tolokonnikowa sang im Look eines Pop-Schneewittchens – lange schwarze Haare, langes weißes Kleid – zum Halbplayback. Dazu tanzten drei Frauen in schwarzen Spitzenbodys und den für Pussy Riot typischen Wollmasken.
Zum musikalischen Mix aus Electro-Pop, Dark Techno und Metal (auch im Gesang) forderte die Sängerin und Aktivistin, die in Russland inhaftiert war, ihr Publikum im Wechsel mit ihr zu „Pussy“-„Riot“-Rufen und Metal-typischem Tanzen im Circle Pit auf. Politische Aktionen oder Statements zwischen den Songs gab es nicht. Letztere lieferten andere Bands wie das Lumpenpack und Pascow an diesem zweiten Festivaltag, zu dessen Highlights der Auftritt vom Dubioza Kolektiv aus Bosnien zählte.
Für Bernd, der vom Bodensee nach Hünxe gekommen ist - die Gemeinde stellt sich auf einem Bauzaunbanner sogar mit einem „Du bist hier“ vor - war die Show von Pussy Riot die erste des Abends. „Das funktioniert vielleicht in der Disco, aber nicht auf einer großen Bühne“, zeigt er sich enttäuscht. So denkt auch Nils, der ebenfalls den Auftritt verfolgte: „Ich hatte etwas Extremes erwartet.“ Aber Matthias aus dem Freundeskreis von Nils lenkt ein: „Pussy Riot haben viel geleistet und krasse Aktionen gebracht. Menschen wie Nadescha Tolokonnikowa werden gebraucht.“ Er lobt Veranstalter Alex Schwers, dass er Pussy Riot zur besten Zeit am Samstagabend die Bühne gegeben hat.
Und vielleicht wollte sich Tolokonnikowa, die Handyfotos vom Cirlce Pit machte, auch nur einfach mal auf einem Festival, auf dem es eine Selbstverständlichkeit ist, in den eigenen Liedern politische und gesellschaftskritischen Botschaften frei zu äußern, genau das tun, als Musikerin wahrgenommen werden und die Fans zum Tanzen bringen. Eine unspektakuläre Selbstverständlichkeit. Hierzulande. Das ist auch eine Botschaft, über die man nachdenken sollte.
Positive Energie
Und dass dies so bleibt, dafür warb das Lumpenpack. Hassmails bekämen sie, aber von der „richtigen Seite“ und damit ok. Angesichts der Wahlen sei 2024 ein anstrengendes Jahr. Ein Festival wie das Ruhrpott Rodeo gebe allen die nötige positive Energie. Und die verströmte das Lumpenpack: Düste im roten Gummiauto als „Fiesta der Schwester“ über das Publikum, ließ sich für den nächsten True-Crime-Podcast von Sabine Rückert persönlich meucheln (irgendwo müssen die Morde ja herkommen) und sprach mit „Pädagogen“ wohl vielen aus dem Herzen: So viele Freunde, aber kein Handwerker darunter, der anpackt, wenn man wirklich mal Hilfe braucht.
Nicht nur handwerklich, sondern auch künstlerisch begabt ist Oleg. Er schuf die Einhorn-Plastik auf dem Technikturm vor der Hauptbühne. Schriftsteller ist er, Künstler, arbeitete für das Hagener Musiktheater und Häuser in Polen, wo er in den 80er Jahren im polnischen Widerstand gewesen sei. Deshalb verfolgt er alles besonders, „was heute hinter der Ostgrenze passiert“. So weiß er auch, dass Pussy Riot in Russland eine EP und zwei Alben veröffentlicht hätten, zudem einige im Westen. Danach wird an den Ständen des Ruhrpott Rodeos gefragt, aber es gibt weder Alben noch Merch. Und die offiziellen Festival-Shirts mit den Namen aller Bands sind bereits am Samstagmittag vollständig ausverkauft.
„Bosnischer Tango“ für die tanzenden Massen
Diana ist mit Kermit gekommen. Und Kermit wurde von Markus gefahren. Er ist ein Oldtimer-Bus von 1985 und während er auf dem Caravanplatz wartet, genießen Diana und ihre Freundinnen aus Stuttgart, Heidelberg und Mainz ein Festivalwochenende mal ohne Männer und Kinder. Auch Napalm Death wollen sie sich ansehen, obwohl Diana die Metallegenden dieses Jahr schon in Heidelberg gesehen hat. Es gibt Dinge, die bleiben gut. Was auch für die Toy Dolls gilt.
Und dann ist da noch eine weitere Band aus Osteuropa. Südosteuropa. Bosnien. Das Dubioza Kolektiv begeistert vom Intro - einer Parodie eines Telefonbots - bis zum Crashkurs für „bosnischen Tango“ fürs Publikum mit einer fulminanten Show. Ein irrer Mix aus Balkan-Ska, Elektropunk, Folklore auf dem Saxophon und Dub. Dabei sind die schwarz-gelben Trikots Programm: Die Show vom Dubioza Kolektiv wird zum Ausdauerhochleistungssport für die Band wie für die tanzenden Massen. Und das alles mit einer Botschaft: Die Musiker sind Bosnier, Kroaten, Slowenen, vertreten ihren eigenen kulturellen Hintergrund und beziehen gleichzeitig alle anderen mit ein. Im EU-Parlament sind sie schon aufgetreten, für den Eurovision Song Contest läuft eine Petition. Am zweiten Rodeo-Tag gehörten sie zu den absoluten Highlights.