NRW. Im Einzelhandel steigt die Zahl der Diebstähle drastisch an. Die Folge: Schäden in Milliardenhöhe. Wie tragen Selbst-Scanner dazu bei?

Sieben Produkte einpacken, aber nur fünf davon bezahlen? Immer mehr Geschäfte bieten sogenannte Selbstbedienungskassen (SB-Kassen) für ihre Kundschaft an – und vertrauen damit auf ihre Aufrichtigkeit. Insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel setzt auf Scanner, obwohl die Ladendiebstähle jährlich zunehmen, wie eine Studie zeigt. Sieht die Branche SB-Kassen als Grund dafür, dass immer mehr gestohlen wird?

EHI-Studie: Dunkelziffer liegt bei 100.000 Diebstählen täglich

Das EHI Retail Institute hat eine Studie zu den Ladendiebstählen in Deutschland veröffentlicht: Im Vergleich zum Vorjahr 2022 stieg die Anzahl der Ladendiebstähle im Jahr 2023 um 15 Prozent. Damit wird in deutschen Läden erstmals wieder mehr gestohlen, als in der Zeit vor Corona. Gleichzeitig ergibt sich ein wirtschaftlicher Schaden für die Unternehmen in Höhe von 4,8 Milliarden Euro – den Großteil davon machen Diebstähle durch Kundinnen und Kunden (2,8 Mrd. Euro) aus.

Bereits im April hatte die Polizeiliche Kriminalstatistik gezeigt: Diebstähle im Handel nehmen um mehr als 23 Prozent zu (insgesamt 426.000). Zumal ein Bruchteil der Fälle davon entdeckt oder zur Anzeige gebracht wird. In Kombination beider Erhebungen ergibt sich eine Dunkelziffer von täglich 100.000 Ladendiebstählen.

Die hohe Dunkelziffer deutet darauf hin, dass ein Großteil der Kriminalfälle unerkannt bleibt. Zudem kritisiert der Handelsverband Deutschland (HDE) gegenüber unserer Redaktion: „Eine Anzeige ist für Handelsunternehmen mit einem hohen und letztlich oft vergeblichen Aufwand verbunden.“ Dadurch kämen viele Ladendiebe davon und würden nicht konsequent genug bestraft – auch Verfahren würden häufig eingestellt.

Was sind die Gründe für die zunehmenden Ladendiebstähle in Deutschland?

Kampf gegen Diebstähle im Handel
Von Ladendiebstählen in Deutschland sind insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel, aber auch Bekleidungsgeschäfte betroffen – sie treffen entsprechende Sicherheitsvorkehrungen. (Symbolbild) © DPA Images | Martin Schutt

Laut dem Autor der Studie, Frank Horst, gibt es vielfältige Gründe für die steigenden Zahlen. Darunter die Preissteigerungen im Einzelhandel, die zu finanziellen Nöten und folglich zu Diebstahl führten, heißt es. Hinzu komme der Fachkräftemangel: „In vielen Geschäften ist heute weniger Personal im Einsatz. Dadurch haben Diebe leichteres Spiel“, erklärt Horst.

Inwieweit dies den tatsächlichen Gründen entspricht, ist schwierig nachzuvollziehen. Schließlich basieren die Daten des EHI auf Waren der Handelsunternehmen, die bei der Inventur als fehlend markiert wurden, und nicht auf Befragungen der Diebe, die ihre Beweggründe nach einer Tat erläutern.

Handelsverband streitet Zusammenhang von Studienergebnissen und SB-Kassen ab

Verführen Selbstbedienungskassen zum Diebstahl? Das EHI versteht Scan-Stationen grundsätzlich als „zusätzlichen Kundenservice“, durch den Wartezeiten verkürzt und „lästiges Umpacken“ vermieden werden sollen. Allerdings steige dadurch auch das Diebstahlrisiko, heißt es.

Dabei gibt es unterschiedliche Konzepte von Selbstbedienungskassen: Einige von ihnen messen das Gewicht der Waren und prüfen, ob diese korrekt erfasst wurden; andere Händler wiederum verzichten auf diese Sicherheitsmaßnahme und postieren Mitarbeitende am Ausgang. Damit hängt das Risiko des Diebstahls maßgeblich auch von den Vorkehrungen des Händlers ab.

Anderer Meinung ist der HDE, der hervorhebt: „Es gibt keine validen Daten, die nahelegen würden, dass die zunehmende Verbreitung von Self Scanning-Kassen die Zahl der Ladendiebstähle ansteigen ließe.“ Zudem sei meist Personal in der Nähe der automatisierten Kassen. Eine Sprecherin des Handelsverbandes NRW fügt hinzu: „Meines Wissens nach sind die Differenzen an den SB-Kassen nicht so viel höher, dass sie die aktuellen Entwicklung alleine erklären können.“

Im „Worldmetrics Report 2024“ wurde hingegen ein Zusammenhang zwischen Diebstählen und SB-Kassen festgestellt: „In einem Experiment haben 20 Prozent der Kundschaft es versäumt, mindestens ein Produkt ihres Einkaufes zu scannen.“ Das Ergebnis: Diebstahl, ob bewusst oder unbewusst.

Ikea, Rewe und Decathlon: Wie nehmen sie die Entwicklung der Ladendiebstähle wahr?

Regionale Produkte Rewe
Rewe bietet in zahlreichen Filialen Selbsbedienungskassen an, die allerdings von Mitarbeitenden beaufsichtigt werden. (Symbolbild) © picture alliance/dpa | Frank Hammerschmidt

Sowohl Rewe als auch Rossmann möchten sich auf Rückfrage unserer Redaktion nicht zu der EHI-Studie äußern. Rossmann sehe grundsätzlich von der Thematik „Ladendiebstähle“ ab, „da es sich um sensible Informationen handelt“. Rewe hingegen kommentiere keine Studien Dritter und wolle sich zu „zusammenhängenden Spekulationen nicht äußern“.

Ikea hingegen unterstreicht die Studienergebnisse: „Wir sehen bei Ikea Deutschland ebenfalls eine veränderte Situation.“ Darüber hinaus arbeite das Unternehmen eng mit den Ermittlungsbehörden zusammen, um Diebstähle in den Einrichtungshäusern zu verhindern beziehnungsweise aufzuklären.

Auch der Sportausstatter Decathlon teilt auf Anfrage seine Erfahrungen mit: „Unsere Artikel sind zusätzlich gesichert und werden durch unsere Diebstahlanlage erkannt, weshalb die Einführung der Self-Checkout-Kassen nicht mit einem Anstieg der Diebstahlquote eingerging. Unsere Fremdmarken sind ebenfalls zusätzlich gesichert.“ Decathlon betont, dass die SB-Kassen nicht der Grund für das steigende Niveau an Ladendiebstählen sind: „In unserem Fall können wir keinen Zusammenhang bestätigen.“