Essen. Die AfD gewinnt im ersten Anlauf vor dem Verwaltungsgericht gegen die Stadt Essen. Ob diese sich der Entscheidung beugt, bleibt vorerst offen.

Der Weg der AfD auf die Bühne der Essener Grugahalle ist frei; der für das letzte Juni-Wochenende geplante Bundesparteitag darf nun doch stattfinden. Dies hat die 15. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen am Freitag auf Antrag des AfD-Bundesverbands und im Rahmen eines Eilverfahrens entschieden. Ob die Stadt Essen sich dieser Entscheidung beugt oder mit einer Beschwerde gegen den Gerichtsbeschluss die nächste Instanz einschalten wird, ließ die Stadt am Freitag noch offen.

Essener Stadtrat hatte von der AfD eine Selbstverpflichtung verlangt – doch die weigerte sich

Ins Visier genommen hatte die „Alternative für Deutschland“ für das Verfahren vor den Verwaltungsrichtern einen mit großer Mehrheit gefassten Ratsbeschluss vom 29. Mai: Darin ergänzte die örtliche Politik nachträglich den schon im Januar 2023 geschlossenen Mietvertrag für die Grugahalle zwischen der AfD und der städtischen Messegesellschaft um einen wichtigen Passus. Die AfD sollte nämlich in einer strafbewehrten Selbstverpflichtung erklären, dass sie die Verantwortung für möglich strafbare Äußerungen auf ihrem Delegierten-Treffen übernimmt.

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Die Partei habe sich in den vergangenen Monaten erkennbar radikalisiert, hieß es zur Begründung. Und man wolle für strafbare Äußerungen wie etwa die alte SA-Parole „Alles für Deutschland“ oder ähnlichen Nazi-Jargon keine Bühne bieten. Da es für die Stadt aber einen sogenannten „Kontrahierungszwang“ gibt, also die Verpflichtung, Parteien städtische Räumlichkeiten wie die Grugahalle zu überlassen, wenn auch andere Parteien dort schon getagt haben, sei die Selbstverpflichtung ein geeignetes Mittel, Entgleisungen zu verhindern.

Vor neun Jahren stellte die Essener Grugahalle schon einmal die Bühne für einen AfD-Bundesparteitag: Er ging in die Geschichte der Partei ein, weil Frauke Petry damals gegen den Vorsitzenden Bernd Lucke putschte. Für viele der Anfang der Radikalisierung.
Vor neun Jahren stellte die Essener Grugahalle schon einmal die Bühne für einen AfD-Bundesparteitag: Er ging in die Geschichte der Partei ein, weil Frauke Petry damals gegen den Vorsitzenden Bernd Lucke putschte. Für viele der Anfang der Radikalisierung. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Doch die AfD weigerte sich, das Papier zu unterzeichnen, ließ das gesetzte einwöchige Ultimatum ungenutzt verstreichen und kassierte daraufhin, wie im Ratsbeschluss schon angekündigt, über den Umweg einer Gesellschafterversammlung die Kündigung ihres Hallenvertrags. Indem das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen diesen Ratsbeschluss jetzt für rechtswidrig erklärte, ermöglicht sie der AfD den Weg zurück auf die Bühne. Und zwar ohne eine Selbstverpflichtung abzugeben.

Die AfD „darf nicht anders behandelt werden als andere Parteien“, sagt das Gericht

Essens Oberbürgermeister zeigte sich vom Ergebnis nicht übermäßig enttäuscht: „Jetzt haben wir Klarheit“, sagte Thomas Kufen am Abend – Klarheit darüber, dass sich im Vorfeld eines solchen Parteitages „die Wahrscheinlichkeit strafbarerer Handlungen nach Lesart des Beschlusses praktisch nicht nachweisen lässt“. Der Beschluss entspreche nicht den Erwartungen der Stadt, „ist aber letztlich zu akzeptieren, auch wenn mehrere für die Stadt wichtige Aspekte im Beschluss offen bleiben“, so der OB.

Umso mehr komme es für ihn jetzt darauf an, „dass es Aufgabe der Stadt ist, klarere Regeln für die Vermietung von städtischen Veranstaltungsorten zu fassen“, so das Stadtoberhaupt weiter. Ein entsprechender Ratsbeschluss ist bereits in Vorbereitung.

Am Freitag ließ Oberbürgermeister Thomas Kufen noch offen, ob die Stadt Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts einlegt.
Am Freitag ließ Oberbürgermeister Thomas Kufen noch offen, ob die Stadt Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts einlegt. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Für die AfD lobte deren stellvertretender Bundessprecher Peter Boehringer den Gerichtsbeschluss: „Der Rechtsstaat hat gesiegt.“ Die Stadt Essen habe „aus politischen Gründen einen Präzedenzfall schaffen“ und eine „Lex AfD“ kreieren wollen. „Dem hat das Gericht nun einen Riegel vorgeschoben.“

Die AfD darf laut Gericht nicht anders behandelt werden als andere Parteien

Laut Verwaltungsgericht war einer der zentralen Gründe für die Entscheidung der Anspruch der AfD auf Gleichbehandlung bei der Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen, die für Parteitage prinzipiell offen stehen. Die Partei „darf nicht anders behandelt werden als andere politische Parteien, die Zugang zur Grugahalle begehren“, heißt es in einer Mitteilung des Gerichts: „Der Zugang darf nur versagt werden, wenn bei Nutzung die Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen besteht.

Sie erstritten den Sieg der AfD vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (von links): Michael Fengler und Christian Conrad von der Kölner Rechtsanwalts-Kanzlei Höcker.
Sie erstritten den Sieg der AfD vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (von links): Michael Fengler und Christian Conrad von der Kölner Rechtsanwalts-Kanzlei Höcker. © dpa | Guido Kirchner

An diesen „Wahrscheinlichkeitsgrad“ für die Gefahr, dass strafbare Äußerungen bei Treffen einer nicht offiziell verfassungswidrigen Partei fallen, seien im Rahmen der anzustellenden Gefahrenprognose „strenge Anforderungen zu stellen“, führt das Gericht weiter aus. Denn eine darauf gestützte Versagung des Zugangs zu einer öffentlichen Einrichtung greife in den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Chancengleichheit politischer Parteien ein. „Das Gericht konnte keine hinreichende Tatsachengrundlage erkennen, die die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit von Rechtsverletzungen hätte begründen können.“

Binnen zwei Wochen könnte die Stadt das Oberverwaltungsgericht einschalten

Die Kosten des Verfahrens tragen AfD und Stadt Essen laut Gericht je zur Hälfte. Die Stadt als unterlegene Seite kann gegen die Entscheidung binnen zwei Wochen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen einlegen. Ob sie dies tut, dürfte sich aber noch an diesem Wochenende entscheiden.

Am Montag streiten AfD und Messe Essen vor dem Landgericht an der Zweigertstraße um die Kündigung des Hallen-Vertrags. Doch nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts scheint aus diesem Verfahren die Luft raus.
Am Montag streiten AfD und Messe Essen vor dem Landgericht an der Zweigertstraße um die Kündigung des Hallen-Vertrags. Doch nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts scheint aus diesem Verfahren die Luft raus. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Kurios: Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen ist aus der für kommenden Montag anberaumten und mit viel Medien-Auflauf verbundenen mündlichen Verhandlung beim Landgericht Essen wohl weitestgehend die Luft raus. Dort streiten AfD und Messe Essen um die Hallen-Kündigung, doch wenn die Stadt schon am Wochenende den Rechtsstreit mit der Partei verloren geben sollte, wird sie früher oder später auch ihre Messegesellschaft zurückpfeifen müssen.

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Das allerdings dauert ein paar Tage, weshalb der Landgerichts-Termin wohl wie geplant über die Bühne geht. Denn die Stadt müsste bei der Rücknahme des Rausschmisses dem Vernehmen nach den gleichen Weg gehen wie bei der Entscheidung selbst: Es wäre also ein Ratsbeschluss nötig, ersatzweise eine Eilentscheidung des OB mit einigen Ratsvertretern, dann eine Sitzung der Gesellschafterversammlung, die wiederum den Messe-Chef anweist, das zu tun, was das Gericht verlangt. Erst dann wäre auch juristisch der Weg für die AfD auf die Grugahallen-Bühne freigeräumt.