Essen. Immer mehr Menschen ersetzen Zucker durch Stevia, Erythrit oder andere Süßungsmittel. Eine Studie liefert erschreckende Erkenntnisse.
Birkenzucker: Klingt unbedenklich, gilt als „natürlicher Süßstoff“ – und steckt seiner karieshemmenden Wirkung wegen seit Jahren schon in zuckerfreien Kaugummis. Doch jetzt gerät das Süßungsmittel, genauer: der Zuckeralkohol, der mit Fachnamen Xylit heißt, unter Verdacht: Eine Studie der US-amerikanischen Cleveland Clinic belegt: Höhere Werte des Süßstoffs Xylit im Blut sind mit einem deutlich erhöhten Risiko für schwere Herzerkrankungen und Schlaganfälle verbunden. Ein Kardiologe der Berliner Charité ist Erstautor der Studie, deren Ergebnisse gerade im „European Heart Journal“ veröffentlicht wurden.
Dr. Marco Witkowski untersuchte während seines Forschungsaufenthalts in den USA mehr als 3.300 Blutproben von Herz-Kreislauf-Kranken, er beobachtete die Patienten über drei Jahre lang. Und stellte fest: Betroffene mit hohen Xylit-Konzentrationen im Blut erlitten deutlich häufiger Schlaganfälle und „kardiale“ Ereignisse wie Herzinfarkte. Ein Mensch starb. In Laborversuchen und bei weiteren Tests mit gesunden Probanden erhärtete sich anschließend sein Verdacht: Xylit, befindet die Studie, fördere die Bildung von Blutgerinnseln – und damit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Bereits 2023 hatte Witkowski nachgewiesen, dass der Süßstoff Erythrit ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verbunden ist. Diese Studie veröffentlichte damals das renommierte Fachmagazin „Nature Medicine“. Die Ergebnisse der beiden Studien verdeutlichten die Risiken der Gruppe der Zuckeralkohole, zu denen unterem Xylit und Erythrit gehören, heißt es nun in einer Mitteilung des Deutschen Herzzentrums an der Charité. Süßstoffe, so Witkowski, seien „nicht unbedingt die harmlose Zuckeralternative (...), für sie oft gehalten werden. Besonders für Menschen mit bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnte der Konsum von Xylit zusätzliche Gesundheitsgefahren bergen.“ Er fordert weitere Studien zum Themen.
„Die Evolution ist schuld, dass wir Süßes so gern mögen“
Doch Xylit ist bei weitem nicht das einzige Süßungsmittel – und die werden allgemein immer beliebter. Warum ist das so? Und: Sind andere Süßstoffe tatsächlich unbedenklich, helfen sie beim Abnehmen? Wir fragten schon im vergangenen Juli Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, was man über Süßungsmittel wissen muss.
Die Evolution ist schuld, sagt die Ökotrophologin. Dass wir Süßes so gern mögen, zu viel Schokolade naschen und Limo trinken, obwohl wir wissen, dass wir es nicht tun sollten. Denn unser Körper kann gut ohne auskommen. Doch: Zucker liefert schnell Energie – und er macht glücklich. „Zucker löst ein Wohlgefühl aus, die Rezeptoren auf der Zunge sind mit dem Belohnungszentrum im Hirn verbunden“, erklärt Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die Präferenz für den Geschmack „süß“ sei meist angeboren. Aber: zu viel Zucker kann krank machen: Ein übermäßiger Konsum erhöht das Risiko für Übergewicht und Diabetes (Typ 2), begünstigt die Entwicklung auch anderer Stoffwechselerkrankungen und Karies. Sind „Süßungsmittel“ wie Stevia oder Xylit die Lösung?
In Europa sind der Verbraucherzentrale NRW zufolge derzeit 20 Süßungsmittel als Alternativen zu Haushaltszucker (Saccharose) zugelassen: zwölf Süßstoffe, acht Zuckeraustauschstoffe (Zuckeralkohole). Sie müssen im Zutatenverzeichnis auf Lebensmittel-Verpackungen ausgewiesen werden. Agavendicksaft, Kokosblütenzucker, Sirup oder Fruchtsüße, die häufig ebenfalls als Zuckeralternativen genannt werden, sind tatsächlich keine. Sie seien wie Haushaltszucker zu bewerten, erläutert die DGE.
Aspartam_ „möglicherweise krebserregend“
Zu den bekanntesten Süßstoffen zählen Aspartam (E 951), Cyclamat (E 952), Saccharin (E 954) und Stevia (E960a). Sie werden meist synthetisch hergestellt, haben (fast) keine Kalorien, keine kariesfördernde Wirkung; beeinflussen den Blutzuckerspiegel nicht. Und sie sind um ein Mehrfaches süßer als Zucker, 30- bis 37.000-mal mehr. In flüssiger oder fester Form eignen sie sich als „Tafelsüße“ für den Kaffee oder Pudding daheim. Xylit (E967) und Erythrit (E 968) zählen zu den beliebtesten Zuckeralkoholen/Zuckeraustauschstoffen. Diese werden aus natürlichen Rohstoffen gewonnen, Erythrit etwa aus Stärke und Xylit (ursprünglich) aus Birkenrinde. Sie taugen auch fürs Backen, anders als viele Süßstoffe. Denn Zuckeralkohole sind ähnlich süß wie Zucker und haben ähnliche Verarbeitungseigenschaften – aber weniger Kalorien, Erythrit ist sogar kalorienfrei.
Aspartam gilt als Juli 2023 „möglicherweise krebserregend“, die Weltgesundheitsbehörder hält den Verzehr „im Rahmen der empfohlenen Höchstwerte“ dennoch für ungefährlich sein könnte. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung fordert aber aussagekräftige Studien zu dem Verdacht, dass Süßungsmittel das Mikrobiom verändern oder ihrerseits Adipositas und Diabetes auslösen können. Die Datenlage sei schlecht, so Restemeyer. Die derzeit durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit zugelassenen Süßungsmittel, hält die DGE aber für „unbedenklich und sicher“.
Süßungsmitteln machen nicht „per se“ schlank
Doch sie machen nicht „per se“ schlank, sagt Expertin Restemeyer. Sie könnten nur dazu beitragen, die Energiezufuhr zu reduzieren und stellten daher – insbesondere „in Phasen einer Gewichtsreduktion“ – eine Alternative zu herkömmlichen Zuckern dar. „Süßungsmittel können helfen Kalorien einzusparen. Wer bislang nur zuckergesüßte Limos, Eistee und Cola zu sich genommen hat, wird vermutlich abnehmen, wenn er stattdessen fortan Softdrinks mit Süßungsmitteln trinkt. Viel besser aber wäre es, wenn er versucht, sich die Süßpräferenz abzugewöhnen.“
Wie das funktioniert? Sich die Schokolade nicht von jetzt auf sofort komplett verbieten, sondern bewusst eine Tafel pro Woche erlauben. Oder: Schrittweise weniger Zucker in den Tee geben, gesüßte Getränke mit immer mehr Wasser verdünnen“. Nach einigen Wochen, so Restemeyer, sei meist eine deutliche Veränderung in der Geschmackswahrnehmung für Süßes zu erkennen. Auch mit natürlich süßen Lebensmitteln wie Obst oder Milchprodukten mit pürierten Früchten ließe sich der Süßhunger schon befriedigen.
Kinder gar nicht erst an „süß“ gewöhnen
Der beste Durstlöscher, betont Restemeyer, „bleibt – Wasser. Mit einem Stück Zitrone, Ingwer oder ein paar Erdbeeren darin schmeckt das auch denen, die es pur wenig prickelnd finden.“
Kinder, rät die Expertin, sollte man nie mit Süssem belohnen oder trösten, sie am besten erst gar nicht an den Geschmack gewöhnen, ihnen Zucker wie Süßungsmittel so lange wie möglich vorenthalten. „Aber irgendwann werden sie Gummibärchen und Schokolade natürlich entdecken“, räumt Restemeyer ein. Genuss in Maßen ist in ihren Augen durchaus erlaubt. „Am besten eine kleine Portion direkt direkt nach dem Mittagessen!“
>>> INFO: Zucker und Süßungsmittel
12 Kilokalorien liefert ein Stück Würfelzucker. Die Weltgesundheitsbehörde WHO empfiehlt, maximal zehn Prozent des täglichen Energiebedarfs durch „freie Zucker“ zu decken. Das entspricht rund 25 Gramm Haushaltszucker oder 14 Stücken Würfelzucker. Weltweit werden jährlich 183 Millionen Tonnen Zucker (Rohware) produziert. Der Pro-Kopf-Verbrauch war laut Statista 2021 mit 46,9 Kilo in Brasilien am höchsten, in China mit 10,9 Kilo am niedrigsten. Europäer versüßten sich ihr Jahr im Schnitt mit 31 Kilo Zucker.
1950 lag der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland bei 28,1 Kilo – und 2021/22 bei 34,8Kilo. Das entspricht in etwa 32 Stücken Würfelzucker...
Seit 2014 wird nicht mehr zwischen Süßstoffen und Zuckeraustauschstoffen unterschieden. Sie werden in der Kategorie „Süßungsmittel“ zusammengefasst. Diese zählen zu den Lebensmittel-Zusatzstoffen und müssen – anders als „normale“ Lebensmittel – ein Zulassungsverfahren durchlaufen, um für die Herstellung von Lebensmitteln verwendet werden zu dürfen. Süßungsmittel findet man in Getränken, Süßwaren, Desserts, Marmeladen, Kaugummis, Konserven, Milchprodukten und Feinkostsalaten.