Berlin (dpa/tmn). Cruiser-Bikes sind für die Coolness da. Im Sattel sitzt es sich lässig. Zeitdruck? Bitte nicht, die Kraftausbeute ist typbedingt suboptimal. Da kann das Nachrüsten zum E-Bike lohnen.
Geschwungener Rahmen, breite Ballonreifen - das sind die augenscheinlichsten Merkmale von Cruiser Bikes. Erfunden wurde der Fahrradtyp, der sich dem langsamen Herumgondeln verschrieben hat, in den USA. Seine Geschichte ist um die 100 Jahre alt. Hersteller von Cruiser Bikes sind entsprechend der eher kleinen Nische, in der sie heute fahren, rar gesät.
- Beispiele: Im opulenten Look mit Anleihen bei Motorrädern stellt sie Ruff Cycles aus Regensburg her. Auffällige Custom-Bikes nach individuellem Kundenwunsch baut TSP Cycle Farm aus Italien auf und Cruiser im klassischen, schlichteren Design hat die kalifornische Electra Bicycle Company im Programm.
Als E-Bike mit Nachrüstmotoren von Pendix verkauft die französische Marke Bocyclo (vormals United Cruiser) seine Cruiser Bikes. Das Modell, das wir zu Testzwecken über Sand und Asphalt bewegen, heißt Beach Cruiser.
- Der Einsatzzweck: Denis Veyrenche, Geschäftsführer bei Bocyclo, nennt vor allem die Stadt als Revier. Auf unbefestigten, kleinen Wegen komme das E-Bike wegen der breiten Reifen aber auch gut zurecht.
Veyrenche sagt: „Die Fahrerposition ist ideal“ und leitet daraus viel Fahrkomfort ab. Auch hebt er das Bike-Gewicht von 20,8 Kilo hervor - „also sehr leicht und weit unter dem Durchschnittsgewicht eines Elektrofahrrads von 25 Kilo.“
- Die Technik: Ursprünglich kamen Cruiser im flachen Terrain ganz ohne Schaltung aus, da ist die Shimano-Dreigang-Nabe des Testrads schon als Fortschritt zu werten. Technisch komplexer wird der Beach Cruiser mit dem Nachrüst-Set des deutschen Motorenspezialisten Pendix.
Links vom Rahmen ist der Kurbelarm mit einer kettenblattgroßen, gut sechs Zentimeter breiten Einheit verschmolzen: In dem schwarzen Kunststoffgehäuse sitzt der elektrische Nachrüst-Mittelmotor. Über Kabel ist dieser mit dem trinkflaschenfömigen Akku verbunden, der am Unterrohr verschraubt und über 325 Wattstunden (Wh) verfügt.
Die Ladedauer gibt Pendix mit 3 Stunden und 20 Minuten an, die Reichweite in Werkseinstellung bei Unterstützungsstufe „Eco“ mit bis zu 72 Kilometer - wie immer ist diese abhängig von Variablen wie Gesamtgewicht, Fahrstil, Topographie oder auch Trittfrequenz. Sollte aber genügen, denn für lange Strecken ist das sommerliche Bike kaum gemacht.
- Der Fahreindruck: Bequem fühlt sich spontan die Armhaltung an: Weil man die Griffe am nach hinten gekrümmten Lenker in Längsrichtung greift, entspannen die Schultern. Doch Cruiser-typisch sitzt man ganz schön buckelig auf dem breiten Sattel, und beim Treten bleiben die Beine ziemlich gebeugt: Effizienz geht anders. Die Haltung ist gewöhnungsbedürftig.
Geht es bergauf, wird's eher anstrengend - so passt es sehr gut, dass der Motor an Bord ist. Einmal oben auf den Akku-Zylinder gedrückt, und schon signalisiert ein leuchtender LED-Ring Betriebsbereitschaft.
Die Motoreinheit hilft mit in den drei Stufen „Eco“, „Smart“ und „Sport“ abgestuft, das Maximaldrehmoment liegt bei 65 Newtonmetern (Nm). Gemessen an den aktuellen Mittelmotoren von Bosch oder Shimano ein vergleichsweise geringer Wert. Doch kräftiger müsste die Leistungsspritze nicht sein.
- Allerdings: Die Unterstützung neigt zum Pumpen, manchmal fühlt sie sich abwechselnd stark und weniger stark an.
Das verantwortliche Drehmomentmesslager, das die Trittkraft misst, regelt den Motor nicht immer so feinfühlig, wie Pendix-Website wirbt. Womöglich bringt die Zeit Besserung, da es sich um ein „lernendes System“ handele: Die Software passe sich mit der Nutzungsdauer immer mehr dem Fahrer an.
Obwohl nur drei Gänge an Bord sind, auch Schaltfehler im Zusammenspiel mit der Motorunterstützung sind möglich: Wer am Hang im dritten Gang zu langsam wird, dem versagt der Pendix-Motor bei geringer Kurbelumdrehung mitunter den Dienst. Dann hilft nur noch Popo aus dem Sattel und ab in den Wiegetritt.
Fast ohne zusätzliche Reibung und damit Kraftaufwand der Beine lässt sich die Kurbel treten, wenn der Motor abgeschaltet ist. Der verbleibende Tretwiderstand entspreche dem eines Nabendynamos, so Pendix. Stimmt!
Vom Cruiser darf man trotz des bequemen Sattels keinen sonderlichen Komfort erwarten. Alu ist ein steifes Material, Federelemente sind Fehlanzeige. So rollt das Rad auf Asphalt noch smooth dahin, Kopfstein aber ist die Härte für die Handgelenke. Doch dank der Reifenbreite von knapp sechs Zentimetern kommt er ziemlich gut auf sandigem Grund zurecht, der Beach Cruiser.
Weitere Bauteile, Zubehör, Peripherie: Beleuchtung und Gepäckträger - am Testrad nicht montiert - können zugekauft werden. Die Pendix-Version verfügt über ein digitales Ökosystem, auf das kaum ein Motorenanbieter verzichtet: Über die „Pendix.bike PRO“-App lassen sich die Fahrprofile verändern, Firmware-Updates aufspielen oder etwa die Anzahl der Ladezyklen anzeigen.
Wer sich das Smartphone mittels Halterung am Lenker befestigt, kann die App dank Kartenfunktion zudem als Navi nutzen. Praktisch: Über einen USB-C-Anschluss am Pendix-Akku können Smartphones mit Strom versorgt werden.
- Der Preis: Eigentlich ist der Beach Cruiser ein erfreulich günstiges Bike. Die nackte Version wird auf der französischen Hersteller-Website derzeit mit 559 Euro angepriesen.
Im „Hermitage Design“ mit Schutzblechen, Kettenschaltung und Beleuchtung kostet es aber schon ab rund 1200 Euro. Ab Werk mit Pendix elektrifiziert, müssen laut Webseite ab etwa 2600 Euro kalkuliert werden. Als Nachrüst-Kit allein ist der Antrieb eDrive300 teurer und kostet als Normalpreis 1649 Euro.
- Das Fazit: Der Beach Cruiser ist das Pendant zum US-Car, der Ami-Schlitten unter den Fahrrädern - wenn im Fall des Testrads auch „fabriqué en France“: Man cruist supercool umher - und wird auch so angeschaut). Dass die Kraftausbeute dabei auf Sparflamme läuft, macht die Elektrifizierung wett.