Duisburg. Ron S. griff sie auf dem Heimweg in Marxloh mit dem Messer an: Jetzt haben Daria und Alberto über die schlimmen Momente gesprochen. Ein Balanceakt.

Daria und Alberto (heute 10 und 11) sind am 28. Februar auf dem Heimweg von der Schule, als auf der Dahlstraße in Marxloh plötzlich Ron S. auf sie zukommt. Der 22-Jährige zieht aus seiner Jacke ein Messer und greift an – erst Daria und dann ihren Cousin Alberto. Den Kindern fügt er Stichverletzungen am Kopf, Oberkörper und an den Händen zu. Im Krankenhaus retten Mediziner in Notoperationen ihre Leben. Jetzt, neun Monate nach der Attacke, haben sie im Prozess über die schlimmen Momente gesprochen.

Befragt werden die beiden Schüler am Donnerstag über eine Videoschalte. Dabei sitzen sie in einem anderen Raum im Gerichtsgebäude. Denn: Ron S. wollen sie nie mehr begegnen. Einfühlsam stellt die Vorsitzende Richterin Dr. Christina Frick ihre Fragen. Es ist ein Balanceakt: Die gebeutelten Seelen der beiden Kinder soll nicht weiter verletzt werden. Hinzu kommt: Deutsch ist nicht ihre Muttersprache, sie kommen aus der bulgarischen Community.

Ron S. hat die Tat gestanden, zu den Hintergründen schweigt der junge Duisburger.
Ron S. hat die Tat gestanden, zu den Hintergründen schweigt der junge Duisburger. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Daria und Alberto berichten aber übereinstimmend: Ron S. hätten sie an dem Februartag das erste Mal in ihrem Leben gesehen. Er sei ihnen hinterhergerannt. „Dann hat er mit dem Messer gestochen“, sagt die heute zehn Jahre alte Daria mit leiser Stimme schüchtern. „Wir haben gerufen: Stopp, stopp!“ Um seine Cousine zu verteidigen, schlägt Alberto den Angreifer mit seinem Schultornister – und wird selber zur Zielscheibe. Als ein Anwohner ihnen zu Hilfe eilt, verstecken die Kinder sich zunächst hinter einem Auto, dann schleppen sie sich in die nahe Grundschule.

Schüler sprechen über Attacke in Duisburg-Marxloh: „Manchmal denke ich auch noch dran“

Ron S. wird am Tatort von Polizisten festgenommen. Die Tat hat der junge Mann, der an einer schizophrenen Störung leidet, mittlerweile gestanden. Zu den Hintergründen schweigt er aber. Wollte er ein Mädchen beeindrucken, das er aus einem Internetchat kannte? Oder war es gar eine Wette? Bei der Verlesung seines Haftbefehls im Frühjahr gab Ron S. auch an, aus Liebe zu einer in den USA inhaftierten Mörderin gehandelt zu haben.

Die Aussagen der Kinder verfolgt er auf der Anklagebank im großen Gerichtssaal beinahe regungslos. Die Augen sind, wie man es von ihm schon kennt, weit aufgerissen, die Hände versteckt er in den Taschen. Die Möglichkeit, sich direkt bei den Angehörigen der Opfer zu entschuldigen, hat er in den vergangenen Prozesstagen verstreichen lassen.

Wie geht es den Kindern Monate nach dem Angriff? Diese Frage ist nur schwer zu beantworten. Alberto sagt, dass seine Hand ihm noch weh tue. „Manchmal denke ich auch noch dran“, verrät der Schüler. Auf die Frage, ob sie ebenfalls noch an den Angriff denken müsse, antwortet Daria mit „nein“. „Sie traut sich nicht zu sagen, dass sie nicht mehr schlafen kann“, heißt es aber aus dem Umfeld der Zehnjährigen. Ähnlich soll es bei Alberto sein: Seit der Attacke schlafe er wieder bei seinen Eltern im Bett, berichtet sein Vater. In den Nächten habe der Junge besonders viel Angst.

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Die Eltern beider Opfer schildern, dass sich die Kinder nicht mehr alleine aus dem Haus trauen würden. Zur Schule müssten sie gebracht und abgeholt werden. Darias Mutter wünscht sich: „Ich will, dass sie mal wieder so wird, wie sie war, aber sie ist eine andere.“

>> Im Prozess geht es um eine Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie

Was man zu dem Prozess vor der Sechsten Großen Strafkammer wissen muss: In der Verhandlung geht es nicht um eine Haftstrafe. Im wahrscheinlichen Fall eines Schuldspruchs würde Ron S. wohl dauerhaft in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er ohne Behandlung weiter eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Wegen seiner Schizophrenie sei er zum Zeitpunkt des Angriffs schuldunfähig gewesen.