Die erste große Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche zeigt: Auch bei den Protestanten sind es keine Einzelfälle.
Die Evangelische Kirche in Deutschland hatte es nicht eilig. Nur schleppend kamen lange Zeit die Bemühungen um eine fundierte Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in kirchlichen Einrichtungen voran. Während sich auf katholischer Seite über Jahre Enthüllung an Enthüllung reihte, konnte man den Eindruck gewinnen, als versteckten sich die Amtsträger bei den Protestanten nur allzu gern hinter den Schlagzeilen der Skandale, die bei den Katholiken bis in den Vatikan hineinreichten.
Die erste Quittung für diese zögerliche Haltung erhielt die evangelische Kirche im vorigen November mit dem Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus. Zuvor war der Druck auf die Chef-Theologin enorm gewachsen. Es waren gegen sie Vorwürfe erhoben worden, sie habe schon vor vielen Jahren vom Verdacht eines sexuell übergriffigen Verhaltens durch einen damaligen Kirchenmitarbeiter gewusst. Am Ende war Kurschus nicht mehr zu halten.
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Und nun liegt also endlich die erste umfassende Studie zu sexualisierter Gewalt bei den Protestanten vor. Mindestens 1259 Mitarbeiter von evangelischer Kirche und Diakonie, so ist in dem Report unabhängiger Wissenschaftler nachzulesen, sollen in den vergangenen Jahrzehnten sexualisierte Gewalt ausgeübt haben. Damit ist klar: Auch in der evangelischen Kirche geht es ganz offensichtlich nicht um Einzelfälle oder „schwarze Schafe“, wie so mancher Amtsträger immer noch gehofft hatte; vielmehr geht es um eine Institution, die mehr darauf bedacht war, das ganze Ausmaß der Gewalt in ihren Reihen möglichst nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, als sich um den Schutz der Opfer eben dieser Taten zu kümmern. Anders ist die hohe Zahl von fast 1300 Beschuldigten nicht zu erklären. Und es ist damit zu rechnen, dass sich nach Veröffentlichung der Studie weitere Opfer melden.
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Die Bischöfe werden es schwer haben
Erneut zeigt sich, dass die beiden großen Amtskirchen in Deutschland über Jahrzehnte hinweg von skrupellosen Tätern als Schutzraum für das Ausleben ihrer sexuellen Gewaltfantasien gesehen wurden – und diese Gewalt gegen genau jene ausübten, die guten Glaubens in eben dieser Kirche einen Schutzraum für sich selbst sahen. Entsprechend stellt die neue Studie einen weiteren Schlag für die Glaubwürdigkeit der Kirche insgesamt in Deutschland dar. Und das zu einer Zeit, da sich die Menschen scharenweise von der Kirche und vom Glauben insgesamt abwenden. Der schon jetzt immense Verlust an Vertrauen und an gesellschaftlicher Relevanz bei der katholischen und der protestantischen Kirche hierzulande wird weitergehen und die Bischöfe und Ratsvorsitzenden in den Chef-Etagen werden es schwer haben, diesen Trend zu stoppen oder gar umzukehren.
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Dass die evangelische Kirche – wenn auch spät – mit dieser Studie den Weg zur Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt in den eigenen Reihen eingeschlagen hat, ist ein wichtiger, aber auch nur ein erster Schritt. Das Dunkelfeld dürfte damit noch nicht komplett ausgeleuchtet sein. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die seit dem Rücktritt von Annette Kurschus als amtierende Ratsvorsitzende die Evangelischen Kirche in Deutschland leitet, sagte bei der Vorstellung der Studie, sie könne die Opfer und die Kirchenmitglieder nur „von ganzem Herzen“ um Entschuldigung bitten. Das ist sicher ehrlich gemeint – aber eine Entschuldigung allein wird nicht reichen. Die Kirche hat noch einen Weg vor sich, um Ursachen wie Auswirkungen der Fälle sexualisierter Gewalt in ihren Reihen aufzuklären. Ob die Amtskirchen die Kraft dazu finden, muss sich erst noch zeigen.
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