Die von der Evangelischen Kirche und der Katholischen Bischofskonferenz präsentierten Zahlen dokumentieren einen weiteren Schrumpfungsprozess.
„Die von der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz in dieser Woche präsentierten Zahlen dokumentieren einen weiteren Schrumpfungsprozess der beiden Volkskirchen.
Bei einer Gesamtbevölkerung von 82 522 000 Menschen gehörten 47 249 000 am 31.12.2017 einer der beiden großen Kirchen an, 23 314 000 der katholischen, 21 536 000 der evangelischen. Akribisch werden die Zahlen für Trauungen, Taufen und Beerdigungen erhoben. Besonderes Augenmerk gilt den Kirchenaustritten, 167 504 aus der katholischen, 190 284 aus der evangelischen Kirche. Trotz dieser Zahlen verzeichnen die Kirchen in Deutschland Jahr für Jahr Rekordeinnahmen aus der Kirchensteuer. Die gute Konjunktur gleicht die sinkenden Mitgliederzahlen mehr als aus. Verheißt das paradiesische Zustände für die Gemeinden?
In der katholischen Kirche werden immer weniger Gemeinden von einem eigenen Priester betreut. Die evangelische Kirche verfügt zwar noch über genügend Pfarrerinnen und Pfarrer. Doch auch hier werden Kirchen dicht gemacht, Gemeinden zusammengelegt, bleiben Pfarrstellen unbesetzt. Der fehlende Nachwuchs verheißt keine Besserung. Nach Maßgabe von Unternehmensberatungen sind der Abbau von Pfarrstellen und die damit verbundene Schließung von Pfarrhäusern, Kirchen und Gemeindehäusern der Königsweg aus der vermeintlich drohenden Misere. Einsparungen, Synergieeffekte, Gemeindefusionen, Stellenstreichungen, Angebotsorientierung, Finanzmanagement – das ganze neoliberale Vokabular wird seit fast zwei Jahrzehnten unhinterfragt rauf und runter gebetet.
In der evangelischen Kirche in Bayern haben Gemeinden einen Gemeindebund gegründet, der kritische Fragen stellt und eine gänzlich andere Vorstellung von der Zukunft der Kirche hat. Er geht von der Beobachtung aus, dass die Kirche auf dem bisherigen Weg den Kontakt zu ihren Mitgliedern verliert. Er fordert deshalb, die Präsenz der Kirche vor Ort zu stärken, weil die Wahrscheinlichkeit eines Kirchenaustritts gegen null sinkt, wenn ein Kirchenmitglied seinen Pfarrer kennt oder schon mal von ferne gesehen hat.
Der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel stellt fest, dass aktuell wenige Mitglieder aus Unzufriedenheit aus den christlichen Kirchen austreten. Stattdessen ist zu beobachten, dass oft ein Wohnortwechsel als Gelegenheit genutzt wird, sich von seiner Kirche zu verabschieden. Könnte das nicht daran liegen, dass man angesichts von Großgemeinden schon am alten Wohnort den Überblick verloren hat und sich am neuen erst gar nicht mehr zu orientieren und keine Heimat mehr zu finden vermag?
In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hat der damalige Herner Superintendent Fritz Schwarz ein Konzept zum Gemeindeaufbau vorgelegt. Interessant war der Titel: Überschaubare Gemeinde. Die unternehmensberaterisch durchtränkten Konzepte am Anfang des 21. Jahrhunderts propagieren das Gegenmodell: die unüberschaubare Gemeinde.
Ist den Kirchen nicht jenseits von Zahlen und Steuereinnahmen vor allem Eines zu raten: Bei ihrer Sache bleiben und die Kirche im Dorf lassen!?“