Berlin. Eine WG kann Alleinerziehenden viele Sorgen nehmen: Die Kinder haben jemanden zum Spielen, Mütter und Väter Gleichgesinnte. So einfach ist die Theorie. Damit das Modell in der Praxis aber funktioniert, brauchen alle Beteiligten viel Zeit zum Kennenlernen.

Die Aufgaben im Job stemmen, die Hausaufgaben der Kinder prüfen, Sprössling eins zum Musikunterricht bringen, Sprössling zwei zum Fußball, den Haushalt wuppen - berufstätige Eltern haben Managerqualitäten. Noch größer ist die Herausforderung an Alleinerziehende, die im Alltag alle Bälle allein jonglieren. Um dies zu ändern, tun sich viele in Wohngemeinschaften zusammen.

In Deutschland leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 1,6 Millionen Alleinerziehende. Damit ist jeder fünfte Elternteil alleinerziehend. Die Zahl steigt: Vor 15 Jahren war es noch jede siebte Familie. 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen, von denen mehr als die Hälfte erwerbstätig ist und zum größten Teil in Vollzeit arbeitet.

Eine WG kann gegenseitig entlasten

"In einer WG mit anderen Alleinerziehenden und deren Kindern kann man sich gegenseitig entlasten", sagt Elisabeth Küppers, Geschäftsführerin des Berliner Landesverbandes alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV). Alle seien in einer ähnlichen Situation und verstünden die Probleme der anderen.

Eine große Sorge, die viele Alleinerziehende umtreibt, ist die Angst vor Krankheit. "Allein zu wissen, dass ich den Rückhalt von neun anderen Frauen in unserem Haus habe, dass da jemand ist, bedeutet eine Stärkung", erklärt Marie Heinemann (Name geändert). Die 45-Jährige lebt mit ihren beiden Söhnen, 12 und 14 Jahre alt, seit acht Jahren im Wohnprojekt Frida in Nürnberg.

"Das Kind profitiert, wenn die Mutter entlastet ist"

Jede der zehn Alleinerziehenden und ihrer Kinder hat eine eigene Wohnung. "Man kann bei einer Nachbarin klingeln, die im Notfall einspringt, auf die Kinder aufpasst oder kocht", sagt Heinemann. Ein beruhigender Gedanke. "Auch das Kind profitiert, wenn die Mutter entlastet ist", hat Küppers beobachtet.

Eine Wohngemeinschaft hat weitere Vorteile für Kinder: Einzelkinder wachsen mit anderen Kindern auf, bekommen Anregungen von verschiedenen Menschen. Im Idealfall ist es eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt und füreinander da ist, wie einst die Großfamilie. Nicht zuletzt hofft manch einer auf eine geringere Miete, wenn sich mehrere Gleichgesinnte eine Wohnung teilen.

Verzicht auf ein Stück Privatsphäre

Doch die Experten warnen vor romantischer Verklärung. Es beginnt damit, sich selbst ehrlich zu prüfen. Einsamkeit oder soziale Isolation sind oft Beweggründe, in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. "Die Gemeinschaft kann die eigenen Probleme lindern, aber nicht lösen", sagt Marie Heinemann. Die Eigenverantwortung bleibe.

Auch sollte man zunächst für sich überlegen, was einem selbst im Leben wichtig ist, worauf man bei der Kindererziehung Wert legt und inwieweit ein anderer eingreifen darf. "Man muss bereit sein, ein Stück weit auf die eigene Privatsphäre zu verzichten", sagt Prof. Elisabeth Sander, Psychologin an der Universität Koblenz. "Wenn man Besuch bekommt, zum Beispiel von einem Mann, wissen das die Mitbewohner."

Das Miteinander beobachten

Sind potenzielle WG-Kandidaten gefunden, reicht zweimal Kaffeetrinken zum Kennenlernen und grundsätzliche Sympathie jedoch nicht. "Man sollte sich gegenseitig in der jetzigen Wohnung besuchen", rät Sander. "Das verrät einiges darüber, wie der andere lebt." Ist die oder der andere eher lässig beim Schmutz im Bad - ich habe es aber gern blitzblank?

Regina Lessenthin vom Berufsverband der Deutschen Psychologen (BDP) empfiehlt außerdem, mit der anderen Familie viel zu unternehmen, sich regelmäßig zu treffen, gemeinsam einzukaufen und zu kochen. Dabei gilt es, das Miteinander zu beobachten. Überdies sollten sich die Beteiligten über ihre Vorstellungen austauschen. "Im Gespräch sollte man alle Eventualitäten durchspielen", rät Sander. "Das kann die Frage sein, ob und wie viel Besuch der andere in der Wohnung in Ordnung findet oder was zu tun ist, wenn man mal Streit hat."

Es kann schnell zu Reibereien kommen

Küppers rät sogar dazu, gemeinsam einen Urlaub zu verbringen - quasi Zusammenwohnen auf Probe und auf Zeit. Die Fachleute sind sich einig: Erst über Monate könne man einschätzen, ob die Familien zusammenpassen und sich die Werte, die Lebens- und Erziehungsvorstellungen ähneln. Das sei wichtig, wenn die WG nur eine Zweckgemeinschaft sein soll. "Bei unterschiedlichen Vorstellungen gibt es sonst schnell Reibereien", warnt Lessenthin. Wichtig sei außerdem, dass sich die Bewohner zurückziehen können, wenn ihnen nicht der Sinn nach Gemeinschaft steht.

Und natürlich steht und fällt das Zusammenleben mit den Kindern: Eine WG ist nicht möglich, wenn sie sich nicht leiden können oder aggressiv miteinander umgehen. Sofern sie den anderen eher neutral betrachten oder sogar nett finden, hat eine WG gute Chancen. "Man darf nicht erwarten oder darauf bestehen, dass die Kinder etwas gemeinsam unternehmen. Auch Geschwister spielen nicht unbedingt zusammen", sagt Sander.

Veränderungen gehören zum Leben

Letztlich zeigt nur die Praxis, ob das Miteinander funktioniert. Wenn nicht, hilft nur der Auszug. Das schadet dem Kind nicht, sofern es nicht zu einem häufigen Hin und Her ausartet - denn Veränderungen gehören zum Leben. Und auch eine Wohngemeinschaft bleibt selten ein Leben lang zusammen. Für eine Zeit kann es für Einelternfamilien aber die perfekte Lebensform sein. (dpa)