Essen/Dortmund/Bottrop. In Bottrop protestieren Nachbarn gegen den Abriss einer Bergmannssiedlung, in Dortmund will ein Kollektiv die Subkultur am Hafen retten.
Die Preise für Wohn- und Gewerbeflächen im Ruhrgebiet gelten im bundesweiten Vergleich noch immer als erschwinglich. Während in Berlin oder München in angesagten Vierteln ganze Nachbarschaften ausgetauscht wurden, rühmen sich viele Viertel im Ruhrgebiet noch immer mit einem „guten sozialen Mix“.
Doch die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten durch Besserverdiener ist auch zwischen Duisburg und Dortmund zu beobachten. Zwar gibt es nach Ansicht der Stadtsoziologin Susanne Frank aus wissenschaftlicher Sicht noch keine Anzeichen für eine Gentrifizierung – dennoch müsse man das Phänomen ernst nehmen, mahnt sie.
Denn vielerorts mehren sich die Stimmen derer, die ein größeres Mitspracherecht bei der Entwicklung der Quartiere vor ihrer Haustür fordern. Drei Beispiele, die zeigen, dass auch im Ruhrgebiet die Schere zwischen armen und reichen Vierteln weiter auseinander zu driften droht.
Hafeninitiative möchte in Dortmund das Herz des Viertels erhalten
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Mila Ellee stellt ihr Rennrad am nördlichsten Rand des Dortmunder Hafenbeckens ab. Die Sonne steht tief, das Wolkenspiel hinter dem großen Verladekran ist dramatisch. Für die 29-Jährige ist das Viertel rund um den größten Kanalhafen Europas nicht nur Zuhause, es ist ein Begegnungsort. Etwa hier, am Speicher 100, einem ehemaligen Lagergebäude, das nun von Künstlern und Musikern genutzt wird. Oder am „Umschlagplatz“, wenige Minuten Fußweg entfernt. Ein paar schmucklose, blaue Container, deren Besitzer Kunst und Gastronomie direkt am Wasser bieten: ohne Chichi, dafür mit größter Nordstadt-Authentizität.
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Als die Stadt Dortmund ihre hochfliegenden Pläne für die Entwicklung des Quartiers öffentlich machte, schlossen sich Nachbarn und Viertelfans zur Hafeninitiative zusammen: Aus Sorge, dass sie beim Planungspoker vergessen werden. „Lange Zeit hat niemand gewusst, dass hier ‘was passieren soll“, sagt Mila Ellee. Gemeinsam mit Nachbarn und Freunden wie Tim Thomé gründete sie die Hafeninitiative – beiden leben in der Nordstadt und haben Raumplanung studiert.
Dortmunder Hafen soll digitales Herz der Stadt werden
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Der Dortmunder Hafen soll digitales Herz der Stadt werden: mit Raum für Start-ups, Digitalwirtschaft, Gastronomie und Bildung. Ähnlich wie mit dem bekannten Phoenixsee im Stadtteil Hörde will die Stadt Dortmund nun den berüchtigten Norden der Stadt aufwerten. Da das Hafenquartier ein Industriegebiet ist, sind ausschließlich Gewerbeansiedlungen möglich. Geplant wird das Projekt vom renommierten Kopenhagener Architekturbüro Cobe. Viele Investoren stehen schon Schlange: Ein Großteil der Flächen, die 120 Jahre lang im Besitz der Dortmunder Hafen AG waren, seien schon verkauft, heißt es.
„Natürlich an den meist bietenden, nicht an den mit den besten Ideen“, bedauert Mila Ellee, die den Wandel im Hafen grundsätzlich begrüßt, schließlich biete die Fläche riesiges Potenzial und habe das Viertel im Dortmunder Norden eine Entwicklung nötig. Auch die Kobe-Entwürfe seien vielversprechend, findet Ellee: „Dabei vergessen aber viele, dass die Stadt nun den Gestaltungsrahmen vorgibt – wie es dann letztlich aussehen wird, bestimmen die Eigentümer*innnen.“ Daher sei es wichtig, die Sorgen der Nachbarn im Viertel ernst zu nehmen.
„Bürgerbeteiligung wird oft mit Bürgerinformation verwechselt“, bedauert Tim Thomé. Auch die Stadt Dortmund habe die Chance verpasst, das Quartier gemeinsam mit jenen Akteuren zu entwickeln, die dort leben und arbeiten, so der Vorwurf der Initiative. Einige kleine Betriebe mussten bereits umziehen. Die Hafeninitiative fürchtet zudem eine Verdrängung der urbanen Subkultur. Ob etwa der „Umschlagplatz“ bleiben kann ist ungewiss. Klar ist, dass sich die Hafeninitiative weiter einmischen will: Jeden dritten Dienstag im Monat treffen sich die Nachbarn um 19 Uhr zum offenen Plenum im Black Pigeon (Scharnhorststraße 50).
Mieter in Bottroper Bergmannssiedlung werfen Vivawest Profitgier vor
Protest formiert sich auch in Bottrop, in der Bergmannssiedlung an der Sydowstraße. Sechs Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 24 Wohnungen sollen abgerissen, dafür 16 Doppelhäuser neu gebaut werden. Bauherrin Vivawest will die Häuser anschließend verkaufen.
Die Mieter werfen der Wohnungsbaugesellschaft Profitgier vor: Der Konzern lasse die alte Zechensiedlung systematisch verkommen und habe leerstehende Wohnungen bewusst nicht neu vermietet. Die Vivawest wiederum rechtfertig ihr Vorgehen mit veränderter Nachfrage. So entsprächen Zustand und Grundrisse der Wohnungen mit teils unter 30 Quadratmetern Wohnfläche „nicht mehr den heutigen Wohnbedürfnissen“, wie Vivawest-Sprecher Gregor Boldt mitteilte.
Mieter in Rüttenscheid wehrten sich erfolglos gegen Abriss von 1922 erbauten Häusern
Was in Bottrop noch Zukunftsmusik ist, wurde an der Köndgenstraße in Essen-Rüttenscheid längst umgesetzt. Auch dort hatten sich die Mieter im Jahr 2016 gegen den Abriss der im Jahr 1922 erbauten Häuser zur Wehr setzen wollen. Letztlich aber waren alle auf die dem Vernehmen nach großzügigen Abfindungen der Wohnungsbaugesellschaft eingegangen.
Wie nun in Bottrop, waren auch dort Mietwohnungen teils über Jahre nicht neu vermietet oder in die Bestandsimmobilien investiert worden. Auch deswegen war die Miete mit rund fünf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter vergleichsweise günstig. Junge Familien und Senioren waren dort zu Hause, teilweise länger als 60 Jahre.
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Wo früher ein großer Gemeinschaftsgarten inmitten der Siedlung die nahe gelegene B224 fast vergessen machte, sind mittlerweile 59 neue Miet-Wohnungen in fünf Gebäuden samt Tiefgarage entstanden. Ende des Jahres sollen die ersten Mieter einziehen. Echtholz-Parkett, Fußbodenheizung, Balkon, Smart Home und viele andere Annehmlichkeiten haben ihren Preis: Zwölf Euro Kaltmiete verlangt Vivawest. Damit bewege man sich bei der für Rüttenscheid ortsüblichen Kaltmiete von 12,30 Euro, argumentiert Vivawest.
Viele frühere Mieter zog es in bezahlbarere Stadtteile
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich wohl nur wenige der früheren Mieter das leisten könnten. Wie viele von ihnen nun zurück ziehen, will Vivawest mit Verweis auf den Datenschutz nicht mitteilen. Entwurzelt wurden die früheren Mieter längst. Die meisten zog es in Stadtteile, in denen Wohnen bezahlbarer ist als in Rüttenscheid.
„Da das Projekt die nachbarschaftlichen Beziehungen fördern soll, liegen zahlreiche Mietergärten zur Köndgenstraße hin“, wirbt Vivawest auf der eigenen Homepage für die neuen Wohnungen. Eine funktionierende Nachbarschaft aber wurde durch das Projekt längst zerstört.