Heiner Monheim ist Experte für Strukturwandel. Als Professor für Geografie an der Uni Trier weiß er auch, die Strukturunterschiede zwischen Ost und West auszumachen. Ein Gespräch über den Wandel hier und dort. Worin er sich unterscheidet und was man besser machen könnte.
Professor Heiner Monheim sammelte unter Christoph Zöpel Erfahrung bei der Raumplanung und Stadtgestaltung im NRW-Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr. Zudem begleitete er die Internationale Bauausstellung und berät den Regionalverband Ruhr. Er nimmt den Strukturwandel deutschlandweit unter die Lupe.
Herr Monheim, der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, hat mal gesagt, der Osten habe die bessere Umbruchkompetenz. Stimmt das?
Strukturwandel ist normalerweise ein gleitender Prozess. Die Wiedervereinigung war ein schockartiges Ereignis, die Rahmenbedingungen waren plötzlich völlig andere. Psychologisch war es für 100 Prozent der DDR-Bevölkerung eine Radikalkur. Allerdings war der Systemwechsel im Osten zunächst mit viel Euphorie und Aufbruchstimmung verbunden. Das ist anders als etwa beim langsamen Sterben von Opel oder von Kohle und Stahl. Das ist ein Tod auf Raten, der mit viel Frustration verbunden ist und immer wieder durch Auffangmaßnahmen abgefedert wurde.
Hilft Geld, um den Strukturwandel zu gestalten?
Mit Subventionen kann man Produkte und Verfahren die eigentlich zum Scheitern verurteilt sind, noch eine Weile am Leben halten. Das sind dann strukturkonservative Subventionen. Man kann aber mit Fördergeld auch Innovationen anstoßen. Eine Region, die von regionaler Förderung stark profitiert hat, ist Köln/Bonn. Mit dem Hauptstadtbeschluss für Berlin hat es die damalige Landesregierung geschafft, den Bund zu großen Hilfen zu nötigen und das schlechte Gewissen des Parlaments zu nutzen. Dabei ging es Bonn nie schlecht. Es hat durch den Umzug der Regierung nur gewonnen, weil ganz viel kompensiert wurde, durch die Umsiedlung von Behörden aus anderen Städten nach Bonn und durch die Ansiedlung von DAX-Konzernen.
Fehlt dem Ruhrgebiet ein starker Fürsprecher oder ein Förderprogramm?
Rein finanziell ist seit den 1960erJahren unendlich viel Bundes- und Landes- und EU-Geld ins Ruhrgebiet gepumpt worden. Aber das meiste war eher stukturkonservierend. Der stärkste Impuls kam von den vielen neuen Hochschulen, das war positiv strukturverändernd und hat aus dem Ruhrgebiet die dichteste Hochschul- und Forschungslandschaft Europas gemacht. Aber generell ist das Ruhrgebiet zu zersplittert und es geht zu oft um Kirchturmpolitik, den Streit, ob eine Firma oder Behörde nach Essen, Bochum oder Duisburg zieht. Seit Preußens Zeiten war diese Zersplitterung aber gewollt. Das Ruhrgebiet sollte wirtschaftlich stark sein, durfte aber politisch als Region nicht einig und stark werden.
Dann stimmt der Eindruck also nicht, dass das Ruhrgebiet weniger Geld bekommt als der Osten?
Nein, die Förderquote je Einwohner, Haushalt und Betrieb ist im Ruhrgebiet positiv. Die Frage ist, was man aus dem Geld macht? Im Ruhrgebiet dachte man lange nur in Beton. Immer neue Autobahnen und Stadtbahntunnel, da wurden Milliarden unsinnig versenkt. Kreativ und vitalisierend war die Stadterneuerung im Ruhrgebiet, die hat viel verbessert. Und die IBA hat als weltweit beachtetes Programm für den Strukturwandel und kreativen Umgang mit Industriekultur und der Reökologisierung einer vielfach verwundeten Industrielandschaft viel gebracht.
Und wo ist das Ruhrgebiet benachteiligt worden?
Eindeutig beim öffentlichen Verkehr. Alle anderen Metropolen Europas haben zum Beispiel funktionierende S-Bahnsysteme mit dichtem Netz und Takt. Stattdessen wollten die Ruhrgebietsstädte lieber Platz für Autos und haben die meisten Straßenbahnen stillgelegt und die Stadtbahnen im Tunnel vergraben. Deshalb ist das Ruhrgebiet heute die Staumetropole Europas. In allen anderen Metropolen Deutschlands wurde weit mehr in die S-Bahnen und generell in den Schienenverkehr investiert. Mit etwas mehr Bescheidenheit und Systemdenken für eine gute S-Bahn wäre man heute viel weiter.
Gibt es ein Rezept für den Strukturwandel, wie das Ruhrgebiet ihn besser gestalten könnte?
Innovation bedeutet nicht immer nur „Blutzufuhr“ von außen und beschränkt sich auch nicht nur auf die Großbetriebe. Man muss mehr in die Klein- und Mittelbetriebe investieren, die „Start ups“ aus den Hochschulen. Der Innovationscampus in Dortmund ist ein gutes Beispiel dafür. Es geht auch um die Vielfalt, eine breite Streuung der Risiken. Die Innovationen im Silicon Valley haben sich auch aus kleinen Einheiten entwickelt.
Ist es ein Fehler, immer nur in den Osten zu schielen, wo die Straßen vermeintlich viel besser sind?
Neid ist ein schlechter Ratgeber. Die Behauptung, seit 25 Jahren würden wir nur den Osten „päppeln“ und „wir im Westen bekämen nichts mehr“ ist grundsätzlich falsch. Das Ruhrgebiet sollte sich nicht als „Bettler“, der die Hand aufhält, stilisieren, sondern seine eigenen Kräfte weiter erfolgreich mobilisieren. Das Rumgejammere ist auch eigentlich nicht die Art der Menschen im Ruhrgebiet. Ich bleibe dabei, das Ruhrgebiet ist unkaputtbar, auch wenn es durch den demografischen Wandel Einwohner verliert.