Essen. . Wie fühlt es sich an, ein Kind von Eltern zu sein, die zu den geburtenstarken Jahrgängen zählen? Redakteurin Jennifer Schumacher, geboren 1986, wuchs extrem rockgeschädigt auf und verbrachte viel Zeit ihrer Kindheit im zugequalmten Audi 80. Eine Erinnerung zwischen Konflikt und Bewunderung.

Dichter Zigarettenqualm hüllt ihre Gesichter in nebliges Grau. Sie sind bei der alljährlichen Küchenparty an Weihnachten kaum auszumachen, meine Tanten und Onkel, während wir Kinder uns ins Wohnzimmer verdrücken. MTV läuft endlich auch in deutscher Sprache. Und die älteren Cousins haben ihre Playstation mitgebracht. Auf der Mattscheibe des Röhrenfernsehers liefern sich grobe Pixel einen großen Kampf. Während unsere Finger vom Daddeln (diesen Begriff zweckentfremdet meine Generation später für suchtartiges Spielen an einer Konsole) schmerzen, wirft ein Erwachsener immer mal wieder einen verständnislosen Blick herein und fordert uns auf, mal etwas „Richtiges“ zu spielen. Es ist in diesem Dezember 1997, als ich begreife, was Generationenkonflikt bedeutet. Auch wenn ich dieses Wort als Elfjährige noch nicht gehört habe.

Ein paar Jahre später erzählen sie uns von ihrer Jugend. Von Deep Purple, den Ramones, Thin Lizzy und Jethro Tull, die alle noch ohne Elektronik ausgekommen sind (und bis heute, da haben sie Recht, Legenden sind). Der Spruch „Das war noch richtige Musik“, gehört vermutlich zum Standard-Repertoire der Generation 50. Genau wie die Sehnsucht nach mehr Schnee im Winter und einer Wiederholung der WM-Siege von ‘74 und ‘90, die Glorifizierung ihrer Kindheitshelden wie Luke Skywalker oder Jim Knopf und dem Wunsch, die Bilder aus den Achtzigern nicht mehr sehen zu müssen. Die mit diesen fürchterlichen Schulterpolstern und der Paul-Breitner-Gedächtnis-Behaarung auf dem Kopf und im Gesicht.

Sie sind es aber auch, die Bausparverträge für uns anlegen und gleichzeitig ein eigenes Haus bauen. Die sich mit uns durch Fremdsprachen quälen, die sie selbst nie lernen mussten. Die uns unter Murren das erste Nokia 6010 kaufen und sich fragen, warum man der besten Freundin auf 160 Zeichen noch etwas schreiben muss, wenn sie doch vorher schon eine Stunde am anderen Ende der Leitung war. Es ist die Generation, die uns Straßenkarten lesen lehrt, und sich auch nach Erfindung des Navis beharrlich auf den eigenen Orientierungssinn verlässt. Die mit Engelsgeduld das nervige Surren des ersten Telefon-Modems mitsamt den zunächst horrenden Kosten für dieses Internet erträgt (das wir ihr später wohlwollend erklären).

Sie sind mutig diese 1964er. Pfeifen auf Geschlechter-Klischees und kriegen erst nach der Karriere oder überhaupt keine Kinder, gehen gegen Atomkraft auf die Straße, tragen ihren Teil zur deutschen Wiedervereinigung bei. Weil sie die Freiheit und David Hasselhof lieben (damals zumindest, als er noch K.I.T.T. gefahren ist).

Liebe ‘64er, Ihr verbindet Spießigkeit mit Punk: Lasst euch zwar nichts vorschreiben, seid dabei aber immer noch höflich, weil ihr noch auf eine sichere Rente setzen könnt. Habt mit dem Rauchen aufgehört und das Geld mittlerweile in einen schönen Wagen oder Alimente investiert. Ihr seid das Mittelstück zwischen denen, die nichts hatten, und uns, die irgendwie alles haben können, sich dabei aber oft selbst verlieren. Wir beherrschen die digitale Welt, schreien aber bei der ersten Steuererklärung, einem vollen Wäschekorb oder vorm ersten Burnout nach einem Acht-Stunden-Tag lautstark um eure Hilfe: Wie habt ihr das früher alles geschafft?! Ihr habt es einfach gemeistert. Für uns.