Washington. Tom Hanks spielt zurzeit im Kino „Captain Phillips“, den Mann, der mit seinem Schiff im April 2009 fünf Tage lang in der Gewalt von somalischen Piraten war. Ein Gespräch mit Richard Phillips, auf dem die Film-Figur basiert und der als Held gefeiert wurde - der von sich selbst aber sagt, dass er nur „verdammt viel Glück“ gehabt habe.
200 Jahre lang war kein amerikanisches Schiff mehr von Piraten gekapert worden. Bis zu jenem Morgen im April 2009. Vier Somalis im Fischerboot, keiner älter als 20, entern auf der Route ins kenianische Mombasa den Frachter „MV Maersk Alabama“. Sie verschleppen Kapitän Richard Phillips und verlangen Lösegeld: zwei Millionen Dollar. Andernfalls: Phillips tot.
Gerade mal drei Monate im Amt, ordnet Präsident Barack Obama persönlich die Rettung des Kapitäns an. Die US-Marine schickt Kriegsschiffe, Fallschirmspringer und Hubschrauber an die Küste vor Somalia. Über Funk wird stundenlang verhandelt. Fünf Tage lang dauert der Nervenkrieg. Bis Präzisionsschützen der Navy Seals am 12. April mit Kopfschüssen vom Heck der „USS Bainbridge“ aus dem Drama ein Ende bereiten.
Philipps kommt weitgehend unverletzt davon. Von den Piraten überlebt allein der Anführer. Er sitzt in Terre Haute/Indiana eine Gefängnisstrafe von 33 Jahren ab. Der Schock für Amerika war schon in Echtzeit groß genug. Jetzt ist ein Film in die Kinos gekommen, der das Zittern fast detailgetreu nachzeichnet. Ohne Seemannsgarn. Sagt nicht Tom Hanks, der das Entführungsopfer spielt. Sagt der echte Richard Phillips (57). Sein Buch „Die Pflicht des Kapitäns“ diente Regisseur Paul Greengrass als Vorlage für einen der stärksten Filme dieses Jahres. Ein Gespräch mit Käpt’n Phillips über „Captain Phillips“.
Herr Phillips, wie geht das, fünf Tage in einer Nussschale mit vier Gegnern, die betäubendes Khat kauen, Gewehre haben und nicht viel zu verlieren?
Richard Phillips: Es war wirklich verdammt eng. Ihre Frage – ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich habe gehofft, gebetet und gezittert bis zum Schluss. Der Film fängt das gut ein, auch wenn er fünf Tage in zwei Stunden presst.
Man hört, Sie mögen den Film „Das Boot“ sehr. Haben Sie in Gefangenschaft manchmal an die Enge im U-Boot gedacht?
Phillips: Ja, ich liebe diesen Film. Habe ihn bestimmt sieben oder acht Mal gesehen. Aber ganz ehrlich: Ich hatte keine Zeit, an den Kaleu zu denken. Ich hatte genug eigene Probleme. Wo Sie mich so fragen: An Bord der U-96 war es bestimmt noch viel enger.
Wie sieht es mit der künstlerischen Freiheit aus? Der Film fängt schon falsch an. Ihre Frau fährt sie auf einer vierspurigen Autobahn zum Flughafen. Im Bundesstaat Vermont, da, wo Sie herkommen, sind zwei Spuren das Maximum.
Phillips: (lacht) Ach ja, das mit der Autobahn. Nicht so wichtig. Fast alles aus meinem Buch ist drin im Film, ein bisschen was ist dazu gekommen. Aber nicht verfälschend. Paul Greengrass hat einen echt guten Job gemacht.
Wer in Piratengewässern unterwegs ist, der muss mit Piraten rechnen
Nach der Rückkehr wurden Sie als Held gefeiert. Ihre Geiselnahme ließ die 19-köpfige Crew weitgehend unbeschadet. Trotzdem klagen einige auf Schadensersatz – rund 50 Millionen Dollar. Sie sollen Warnungen ignoriert haben.
Phillips: Ich muss das mit dem Heldentum sofort richtigstellen. Ich hatte verdammt viel Glück, ich habe überlebt. Die wirklichen Helden waren die Soldaten, die mich befreit haben. Was das andere Thema angeht: Alle wussten, worauf sie sich einlassen. Wir waren von Anfang an im Piratengürtel. Und Piraterie kann man nicht mit dem Kilometerzähler bekämpfen. Es gibt sie überall. Vor den Philippinen, Indonesien, Java, der Westküste Afrika. Man musste damals überall damit rechnen.
Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?
Phillips: Ich bin der Kapitän. Ich bin ein großer Junge und habe ein dickes Fell. Das halte ich aus. Crew-Mitglieder haben ja auch ganz verschiedene Sachen über mich gesagt. Ich hätte Todessehnsucht, las ich da. Und dann wieder: Er hat uns das Leben gerettet. Warten wir den Prozess ab.
Sie konnten nicht wirklich überrascht gewesen sein, als der Angriff kam. Binnen drei Wochen waren vorher 16 Schiffe in der gleichen Region attackiert worden. Haben Sie Fehler gemacht?
Phillips: Das ganze Gebiet war damals ein einziger Gefahrenraum. Bevor es uns passiert ist, haben sie Schiffe gekapert, die 1200 Meilen weg von der Küste gefahren sind. Vielleicht hätte ich noch schneller reagieren und entscheiden können. Aber nein, alles in allem, haben wir es so gemacht, wie es sein sollte.
Wie lange haben Sie gebraucht, um das Martyrium zu verarbeiten. Waren Psychiater im Spiel. Wie kriegt man so was überhaupt aus dem Kopf?
Phillips: Es hat nicht so lange gedauert, bis ich wieder klar war. Nach der Befreiung habe ich mit einem Navy Seal gesprochen, der bei der Aktion dabei war. Er riet mir, keine Gefühle zu unterdrücken.
Nach 14 Monaten ist Captain Phillips wieder an Bord
Also haben Sie die Erleichterung herausgebrüllt.
Phillips: Ich bin schlafen gegangen vor Erschöpfung. Nach dem Aufstehen auf der USS Bainbridge wusste ich nicht, wohin mit mir. Ich habe mich angeschrien, obwohl ich es doch hinter mir hatte. Dann habe ich noch mal mit dem Navy Seal gesprochen.
Welchen Rat gab er Ihnen?
Phillips: In Extremsituationen baut der Körper chemischen Müll auf. Den muss man ablassen. Am zweiten Tag morgens habe ich fast eine dreiviertel Stunde geweint. Wie ein Baby. Dann war es gut. Seitdem bin ich okay. Nie wieder Tränen deswegen. Keine Alpträume, kein Psychiater. Ich glaube an die Kraft des Weinens. Und an gute Gespräche.
Der Film setzt den Elitesoldaten ein Präzisionsdenkmal. Drei Schüsse, für jeden Piraten einen. Sie unversehrt.
Phillips: Es waren definitiv mehr als drei Schüsse. Es ging alles furchtbar schnell. Dann war da dieser Moment der Stille. Werde ich nie vergessen.
Seit wann fahren Sie wieder zur See?
Phillips: Nach 14 Monaten war ich wieder an Deck. In der Zwischenzeit habe ich das Buch geschrieben.
Hat Andrea, Ihre Frau, Sie nicht bedrängt, endlich einen Job anzunehmen, der weniger gefährlich ist?
Phillips: (lacht) Es ist meine Welt. Seit 34 Jahren fahre ich zur See. Das ist meine Routine. Es war normal, wieder an die Arbeit zu gehen. Andrea weiß das.
Ein unter rund 150 000 Exil-Somalis gecasteter Laiendarsteller spielt ihren Widersacher. Barkhad Abdi wird als Kandidat für einen Oscar für die beste Nebenrolle gehandelt. War der echte Piraten-Führer auch so furchteinflößend?
Phillips: Und ob. Wenn Sie Abdi im Film sehen, wie er Tom Hanks anschaut, also mich, seine Entschlossenheit, seine Weigerung aufzugeben, dann haben Sie eine ungefähre Ahnung, wie ich es erlebt habe. Eine herausragende schauspielerische Leistung.
Im Film – wie im echten Leben – bekommen die Entführer von Ihnen 30 000 Dollar, bar auf die Hand. Das Geld ist in der heißen Phase Ihrer Rettung spurlos verschwunden. Kohle über Bord – oder hat sich irgendwer ein Zubrot verdient?
Phillips: Ich habe absolut keine Idee (lacht leise...)
Ihr Alter Ego im Kino hat Anflüge von Empathie für die Entführer. Das Drehbuch lässt sie sagen, dass sie von bösen Hintermännern gezwungen wurden, Schiffe zu kapern. Ihre Sympathie für die Geiselnehmer hielt sich in Grenzen, oder?
Phillips: Ich wusste um die politischen Probleme in Somalia. Und die wirtschaftlichen. Ich wusste, dass die Menschen es dort sehr schwer haben. Meine Entführer hatten trotzdem die Wahl. Sie mussten das nicht tun. Sie haben einen Dreck auf mein Leben gegeben. Sie waren meine Gegner. Trotzdem haben wir manchmal gelacht.
Die letzte Szene im Film stand so nicht im Drehbuch, war improvisiert. Sie könnte Tom Hanks einen weiteren Oscar einbringen. So verletzlich, so human – großes Kino. Haben Sie sich wiedererkannt?
Phillips: Ja, das war so. Tom Hanks war zweimal vorher bei mir in Vermont. Er ist ein sehr bescheidener Typ. Er nimmt sich nicht wichtig, aber seinen Job. Und den hat er gut gemacht. Die Furcht in seinen Augen, das war meine.