Köln. . Im Kölner Stadtteil Ehrenfeld steht einer der wenigen Binnenleuchttürme in Deutschland. Wir haben uns den Turm mal genauer angeschaut und sind die vielen Stufen hinaufgestiegen. Dort haben wir erfahren: Hinter diesem Kuriosum steckt ein spannendes Stück rheinische Industriegeschichte.
Die Luft ist kühl und klar, der Himmel strahlend blau. Von unten klingt gedämpftes Brausen herauf, Möwen ziehen ihre Kreise, auf der Zunge liegt der Geschmack von Salz. Letzterer ist pure Illusion, die Möwen sind tatsächlich Tauben, und das gedämpfte Brausen stammt keineswegs von der Brandung des Meeres, sondern wird von den vielen Autos verursacht, die tagtäglich über die Venloer Straße, eine der Hauptverkehrsadern im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, rollen und von den Zügen, die am nahe gelegenen Bahnhof ein- und ausfahren. Dennoch hat man das trügerische Gefühl, an der See zu sein. Schließlich befindet man sich auf einem Leuchtturm. Mitten in Köln, 300 Kilometer vom Meer entfernt.
Deutsche Pioniere der Elektrotechnik
1894/95 erbaut, diente der 44 Meter hohe Turm aus Backstein einst Werbe- und Versuchszwecken des Helioswerks, das elektrotechnische Geräte aller Art herstellte. Darunter auch Leuchtfeuer für Nordseeinseln wie Wangerooge und Borkum. Errichtet auf einem 20 Meter hohen Sockel, rund gebaut und sich nach oben hin verjüngend, war er einst das stolze Wahrzeichen einer Fabrik, die zu den deutschen Pionieren der Elektrotechnik zählte. Weit über Ehrenfeld hinaus sandte er seine mächtigen Strahlen bis ins Umland und sendete Signale weitab vom Meer.
Illuminiert wird er allnächtlich noch heute – allerdings nicht mehr mit elektrischem Leuchtfeuer, sondern, ganz banal, mit Neonröhren. Was sich äußerlich als eines der besterhaltenen Industriedenkmäler Kölns präsentiert, steht seit 1986 unter Denkmalschutz. Inwendig ist der so imposant wirkende Turm marode, er wird heute nicht mehr genutzt. Wer ihn betritt, darf das nur mit Erlaubnis des dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) zugehörigen Amts für Denkmalpflege im Rheinland tun. Und nur auf eigene Gefahr.
Ein Blick nach oben ist schwindelerregend
Die Stahltür des Eingangs ist mit Graffiti übersät, daneben hängt ein verbeulter Briefkasten mit sechs Klingelschildern, die schon lange keine Namen mehr tragen. Auch durch die Sprechanlage ist schon ewig keine Stimme mehr gedrungen. Drinnen herrscht muffiger Kellergeruch. 73 ausgetretene Steinstufen führen hinauf zu einem Zwischengeschoss, danach geht es weiter über rostige Metalltreppen. Der Blick nach oben ist schwindelerregend, die versetzten Treppenbrücken sind steil angebracht und wirken schmal wie Leitern. Ein Anblick wie aus einem Bild von M.C. Escher oder eine Szene aus Hitchcocks „Vertigo“. Für Menschen, die an Höhenangst leiden, eine Herausforderung.
Die schmalen Plattformen zwischen den 76 eisernen Treppen sind rostig, ebenso wie das Geländer und die Treppenstufen selbst, sie wirken wenig vertrauenerweckend, sind uneben und geraten in leichte Schwingung, wenn man sie betritt. Zum Schluss tatsächlich eine Leiter. Zehn Sprossen noch – und dann die Belohnung. Ein Ausblick der überwältigend ist. Bei klarer Sicht kann man das Bergische Land erkennen, das Siebengebirge, Schloss Bensberg und die Sophienhöhe, Brauweiler und die rauchenden Industrieanlagen von Knapsack, Stadtteil von Hürth und der einzige Ort in Deutschland, der einst aus Umweltverschmutzungsgründen aufgegeben wurde.
Hier oben, auf engstem, mit Dachpappe ausgelegtem Raum, rings ums gläserne, konische Lampenhaus, das 1996 in Anlehnung an den Originalzustand wiederhergestellt wurde, ist Prof. Dr. Walter Buschmann in seinem Element. Der Wissenschaftler hat gerade im dritten Vierteljahresheft des Amts für Denkmalpflege im Rheinland einen Aufsatz über die „Helios Electricitäts-Aktiengesellschaft in Köln-Ehrenfeld“ veröffentlicht, und weiß allerlei über das Werk zu berichten, das nicht von ungefähr den griechischen Sonnengott als Namensgeber wählte: „Hier wurden nicht nur Glühlichter und Bogenlichter hergestellt, sondern die Ausrüstung von Bauten und Anlagen mit Licht war eine besondere Spezialität.“ Helios erhellte den Gürzenich, Kölns „gute Stube“, eine historische Festhalle in der Altstadt, den Nord-Ostseekanal und seit 1891 auch Leuchttürme. Aus industriegeschichtlicher Sicht hat Helios eine große Rolle in der Elektrifizierung gespielt: „Damals gab es nur sieben bedeutende Firmen in Deutschland.“ Nach der Jahrhundertwende kam der Niedergang, die Helios AG wurde liquidiert.
Auf dem knapp vier Quadratmeter großen Areal erinnern heute noch die einstige Montagehalle – 1928 wurde sie zur Rheinlandhalle für große Sportveranstaltungen wie das Sechs-Tagerennen umgebaut, 1957 eröffnete einer der ersten deutschen Supermärkte, heute findet man dort ein Möbelhaus, ein Fitnessstudio und einen Fahrradladen – das einstige Verwaltungsgebäude, die Werksmauer zur Heliosstraße, das alte Kraftwerksgebäude und der Leuchtturm an die Blütezeit des Elektrizitätszeitalters. „Was mit dem Leuchtturm wird, ist ungeklärt, er muss aber erhalten werden“, sagt Industriedenkmalpfleger Buschmann und streicht dabei über das Stahlgeländer mit dem hübschen geometrischen Muster. Im November 2012 erstellte das Denkmalamt ein Gutachten, das der Stadt Köln vorliegt. Im anstehenden Wettbewerb für die Neugestaltung des Areals – das stark in die öffentliche Diskussion geriet, als dort ein Einkaufszentrum geplant wurde, was eine Bürgerinitiative erfolgreich verhinderte –, erhofft sich der LVR dafür Beachtung. Bis dahin bleibt der Leuchtturm ein Kuriosum und sein Inneres den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Im Dämmerlicht regieren die Spinnweben, der Rost und die Vergänglichkeit. Das Meer ist weit, sehr weit, entfernt.
Walter Buschmann: Helios Electricitäts-Aktiengesellschaft in Köln-Ehrenfeld. S. 102-115. In: Denkmalpflege im Rheinland Nr. 3, 2003. Hrsg.: Landschaftsverband Rheinland, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland. Erhältlich für vier Euro (zzgl. Versandkosten) bei: Klartext Verlag, Heßenstr. 37, 45329 Essen, Tel. 0201/ 86 206 33, Mail: info@klartext-verlag.de