Essen. Viele Senioren entdecken das Leben noch einmal neu. Sie geben ihr Expertenwissen an andere weiter, sie beschäftigen sich mit neuer Technik oder sie gehen als Au-pair-Oma für ein Jahr ins Ausland. Das Wunder ist dabei: Sie werden dadurch auf eine bestimmte Weise jünger.

Da hängen die Fotos vom gestrigen Altern: Frauen, auf der Parkbank sitzend, ein einsamer Mann vor dem Fernseher, eine Hand löst ein Kreuzworträtsel („Lebensabschnitt mit fünf Buchstaben“). Aber da kommen die Fotos vom heutigen Altern: die alte Frau in der Disco, der Rentner aus der Motorradgang, die über 80 Jahre alte Berufstänzerin, der greise Antikriegs-Demonstrant im gefleckten Tarnanzug. Eine Ausstellung in Dortmund zeigt: Die Alten sind nicht zu halten.

Die Wahrnehmung ist ein bisschen verzerrt. Denn das Siechen sieht man nicht: hunderttausende, die vom Lager nicht mehr hochkommen oder aus dem Heim nicht mehr raus. Aber viel mehr altern heute doch anders als noch eine Generation zuvor: Sie arbeiten, weil sie wollen, sie suchen sich eine Aufgabe, die durchaus auch anstrengend sein darf, ja, sie lernen sogar noch. Das Wunder ist dann: Sie werden auf eine Weise jünger.

Aus der Bevölkerungspyramide wurde eine Urne

„Die heutige Generation der Alten ist biologisch-körperlich fünf Jahre jünger als die Generation davor“, heißt es in der Dortmunder Ausstellung „Alter(n)“, wo die beschriebenen Bilder hängen. Längst hat sich das übliche Bild der Bevölkerungspyramide (unten breit und oben spitz) für Deutschland gewandelt zu der gefürchteten (dickbauchigen) Urne.

Wenn der Vergleich nicht so naheliegend wäre, könnte man glatt behaupten, es sei zum Grauehaarekriegen: Bis zum Jahr 2040 werden in Deutschland laut Altersprognose etwa 23,6 Millionen Menschen über 65 Jahre leben, beinahe doppelt so viele wie im Jahr 2010. Das hat zumindest die Gesellschaft für Konsumforschung zusammengerechnet, die zugleich feststellt, dass dann die Menschen über 65 auch die größte Altersgruppe der Gesellschaft stellen werden.

Deutschland wird langsamer, die Bevölkerung konservativer

Die Folgen sieht man täglich: Das Leben in Deutschland wird langsamer. Auf Straßen und in Bussen, in Geschäften und in Kassenschlangen. Dazu muss man kein Prophet sein, auch dies ist schon sichtbar: Die Bevölkerung wird konservativer, wird Veränderungen noch kritischer sehen; und ängstlicher wird sie offensichtlich auch.

Das Einzige, was diese Entwicklung verzögert, ist das heutige Altern. Was natürlich teilweise an der gestiegenen Lebenserwartung liegt: Wer 1970 geboren wurde, wird im Schnitt 71 Jahre alt. Und damit stehen wir doch ganz gut da: Im Jahr 1900 war die Wahrscheinlichkeit eines 30-Jährigen zu sterben genauso hoch wie bei jemandem, der heute 72 Jahre alt ist.

Was natürlich zu einem großen Teil der Schulmedizin zu verdanken ist, aber auch einem gestiegenen Bewusstsein für Gesundheit und Ernährung. Zudem hat sich auch unter den Älteren herumgesprochen, dass die innere Einstellung zum Altern viel bewirken kann: Jenseits der 65 kann man sich die Freiheiten nehmen, die einem früher verwehrt blieben.

„2 Sorten Alter“ hängt da, und man sieht das ganze Thema plakativ: Zwei alte Damen spazieren am Straßenrand entlang, zwei wohl nicht weniger alte Männer treten in ansteigender Gegenrichtung in die Pedale ihrer Fahrräder. Allein ihre Aktivität macht sie jünger. Wir hätten auf der folgenden Seite noch ein paar weitere Beispiele von älteren Menschen, die ihrem Alter in die Pedale treten.

  • „Neue Bilder vom Alter(n)“ bis 20. Oktober in der „Deutschen Arbeitsschutz-Ausstellung“ in Dortmund, Friedrich-Henkel-Straße 1-25. Di bis fr 9-17 Uhr, sa/so 10-18 Uhr. www.dasa-dortmund.de
Internet-Portal für selbstbewusste Ältere 

Man muss leider sagen, dass mit Marga Krönfeld an jenem Abend doch ein bisschen die journalistischen Pferde durchgegangen sind. Da geriet sie mit ihrer Tochter Britta in den Münchner Wahlkampf, sah eine aufregende Diskussionsveranstaltung mit Christian Ude und Helmut Schmidt – dem Helmut Schmidt – und schrieb darüber für Ahaus. Noch in derselben Nacht. „Das ist ja das Gute, wenn man online arbeitet“, sagt die 71-jährige, eine frühere Vorstandssekretärin.

Abgesehen davon, dass die Berichterstattung über einen Münchner Auftritt von Helmut Schmidt eigentlich nicht zu den Kernaufgaben des Internetportals „www.senioren-ahaus.de“ gehört – wenn man jetzt übertrieben pingelig sein wollte. Jedenfalls hat die „Süddeutsche Zeitung“ später eine Geschichte über jenen Abend gebracht, „die war genauso lang wie meine. Die schreiben nur viel schöner.“

Man sieht es schon: Es fehlt der 71-Jährigen nicht an Selbstbewusstsein. Sie ist eine von elf Senioren aus Ahaus im Westmünsterland, die im Mai 2011 in Neuland landeten: im Internet. Sie alle hatten sich interessiert für eine Netz-Unterweisung beim Bildungswerk des Roten Kreuzes; und seitdem stellen sie unter „www.senioren-ahaus.de“ Geschichten und Bilder ins Netz, Termine und Veranstaltungshinweise, die für ältere Leute im Ort interessant sein könnten. Den aktuellen Verkehrsunfall auf der Bahnhofstraße wird man hier im Zweifel nicht finden, den monatlichen Trödelmarkt schon (und natürlich mindestens einen Helmut Schmidt).

Man vergisst das vernetzte Denken nicht

Ehemalige Lehrer, Sekretärinnen, Verkaufsleiter – sie alle suchten im Ruhestand eine neue Aufgabe und fanden sie hier, aber natürlich hält der Kreis auch aus geselligen Gründen zusammen: von Gleichgesinnten und, nun ja, Gleichaltrigen zwischen 63 und 76 Jahren. „Man ist noch fit und möchte fit bleiben“, sagt der frühere Lehrer Josef Koller: „Und Gespräche halten fit, man vergisst das vernetzte (!) Denken nicht.“

„Als das Internet aufkam, hatte ich große Vorbehalte, ich hab mich nicht getraut und hatte Angst, es geht was kaputt“, sagt Karola Möller, auch sie war eine Lehrerin: „Anfangs mussten dann immer jüngere Kollegen einspringen.“ Doch mit der Zeit „haben neue Medien mich unglaublich fasziniert“.

Und nun sitzt sie da mit den andern, wie eigentlich jeden Montagmorgen: in einem schmucklosen Raum des DRK, an dessen Tür ein Plakat mit dem Spruch „Wir sind alle anders“ hängt – reiner Zufall, aber passt schon.

Sie packen ihre Laptops auf den Tisch, schließen sie an, fahren sie hoch. Ein bisschen Redaktionssitzung ist das, ein bisschen technische Weiterbildung, „es ist immer noch schwierig, aber es wird ja ständig leichter“, sagt Karola Möller.

37 Seiten Termine hat die Stadt Ahaus jetzt wieder reingeschickt für die nächsten zwei Monate. Puuh! Die Gruppe muss aussieben, was sich eignet für „senioren-ahaus“ und was nun überhaupt nicht in Frage kommt. Familientag auf der Kirmes? „Da gehen doch viele mit ihren Enkeln hin.“ Blutspendetermin? „Darfst du ja im Alter nicht mehr.“ Basteln? Die Meinungen gehen auseinander. Dann wieder nicht: „Dass da mit ,DJ’ und ,Session’, also das brauchen wir nicht.“

Welche Geschichten interessieren ältere Menschen?

Und neue Geschichten? „Gartenpflege für Senioren“, schlägt einer aus der Runde vor, „die Mütterrente“ eine andere; die haben sie vor Jahren schon mal gemacht, als SPD-Prominenz im Ort war.

Nein, nicht Schmidt. Müntefering.

Wie weit sie damit durchdringen bei der Zielgruppe, ihren ungefähren Altersgenossen, darüber wissen sie wenig. Am meisten geklickt wird jedenfalls in dem Bereich „Historische Fotos“; und ein bisschen gilt als Indiz des langsamen Fortschritts, dass Karola Möller von einer Bekannten auf der Straße angesprochen wurde, weil die Seite derzeit streikt: anhaltende Schwierigkeiten mit dem Server, „senioren-ahaus“ ist gerade eine Baustelle. Eines Tages wird es keine mehr sein. Sozusagen zurück auf ,Los’ für die Vorreiter.

Denn „wir haben das Problem, dass Leute in dem Alter, für das wir schreiben, nur wenig ins Internet gehen“, sagt Josef Koller, „viele sagen dann: Das brauch’ ich in diesem Leben doch nicht mehr.“ Koller fragt dann immer: Aber eventuell im nächsten?

Ein Ruheständler aus Essen als Experte in Russland 

Ein Fernsehstudio im russischen Jekaterinburg, rechts die Moderatorin, links die Dolmetscherin und mittendrin er, hinter einem Küchenblock voller Zutaten. „Chicken New York in Coca-Cola-Soße“ wird er in dieser Sendung zubereiten. Er, der Mann aus Deutschland, der russische Hausfrauen in die Geheimnisse der westlichen Küche einweiht.

Hans-Dirk Halbfell, in der Heimat einst Koch und Hotelier und längst im Ruhestand, ist mit seinen 69 Jahren von Russland bis Usbekistan ein gefragter Mann. Ein Senior-Experte, unterwegs in der weiten Welt.

Es klingt wie „Chansdirk“, wenn ihn die Moderatorin lächelnd auf Russisch fragt, ob es einen Trick gebe, wie man Zwiebeln schneiden könne, ohne dass Tränen fließen. Und Chansdirk antwortet in seiner trocken westfälischen Art, da gebe es nur einen Rat, eben jemanden anderen schneiden zu lassen. So bieder diese Fernseh-Szenerie daherkommen mag, der Essener Hans-Dirk Halbfell reiste in den letzten Jahren mehr als 70-mal gen Osten, um zu helfen, Restaurants aufzubauen oder usbekische Köche mit dem Geschmack europäischer Touristen vertraut zu machen.

10.000 Ruheständler weltweit

Halbfell ist seit Jahren ehrenamtlich für den Bonner Senior Expert Service unterwegs, als einer von über 10.000 Ruheständler, die in 160 Ländern weltweit helfen. Meist in wenigen Wochen, selten in halbjährlichen Einsätzen beraten sie, profitierend von ihrer langen Berufserfahrung, kleine und mittlere Unternehmen oder internationale Organisationen in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Hans-Dirk Halbfell, der Koch, möchte diese Einsätze nicht missen. Sie sind wie ein neues Leben im alten. Unterwegs sein, in fremden Ländern, anderen Kulturen, zurückzukehren voller spannender Geschichten. Vor allem aber mit dem Gefühl, gebraucht zu werden, ein gefragter Mann zu sein. „Ab einem gewissen Alter wird man in Deutschland nicht mehr so gebraucht. Dort sind sie dankbar, sie interessieren sich. Das ist Öl auf meine Seele“, sagt Halbfell.

Angefangen hat alles vor einigen Jahren, nachdem sich Halbfell eigentlich schon zur Ruhe gesetzt hatte. Das Hotel im Schwarzwald verkauft, plante er seinen Lebensabend in einem Haus in Spanien. „Doch nur am Pool in der Sonne zu liegen, war nichts für mich. Zu langweilig!“, erzählt Halbfell. Da kam es ihm gerade recht, dass ein Kollege im Odenwald ihn um Hilfe bat. Tschüss Spanien, ab in ein deutsches Restaurant. Bald suchten auch andere seinen Rat, dann entdeckte er in einer Zeitung einen Bericht über den Senior Expert Service und Halbfell war nicht mehr zu halten.

Inzwischen spricht er sogar leidlich Russisch, ist nicht mehr ständig auf Dolmetscher angewiesen. „Diese Einsätze sind ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, und es ist ein schönes Gefühl, wenn ich ein zweites, ein drittes Mal angefordert werde“, sagt Halbfell. Er sei eben ein unruhiger Geist, und wenn es nur nach ihm ginge, würde er allenfalls für vierzehn Tage wieder zurückkehren, um die Wäsche zu wechseln.

An seinen ersten Einsatz erinnert er sich nur all zu gut. Chelyabinsk hieß die Stadt im Südural. „Ich hatte noch nie etwas davon gehört, reiste mit einem Haufen Vorurteile an und kam in eine Stadt, die größer war als Köln, deren Menschen mich sehr lieb und gastfreundlich empfingen“, so Halbfell. Seit damals verbindet ihn eine enge Freundschaft zu dem Direktor des Kaufhauses, in dem er half, zwei Restaurants und eine Kantine einzurichten.

Gerade ist Halbfell mal wieder zurück im Ruhrgebiet. Gedanklich zieht es ihn jedoch schon wieder nach Moskau, wo er Anfang Oktober wieder als Jury-Mitglied eines Koch-Wettbewerbes angefragt ist. Doch der Essener will nun kürzer treten, nicht mehr jeden Job annehmen: „Ich hab’s meiner Frau versprochen. Nicht mehr als drei Auslandseinsätze pro Jahr!“

Der Bonner Senior Expert Service: Tel: 0228 26090-0 oder

www.ses-bonn.de

Als Au-pair-Oma auf Zeit in Kanada 

Schon mit 20 Jahren wünschte sich Heidi Jäger, ins Ausland zu gehen. Sie war neugierig auf fremde Länder, fremde Kulturen, fremde Menschen. „Nach meiner Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin wollte ich mit meiner Freundin auf ein Kreuzfahrtschiff, um andere Länder kennenzulernen.“ Ihre Familie war dagegen, der Protest groß. „Damals war man erst mit 21 Jahren volljährig, ich hatte keine Chance und blieb schließlich hier.“

Auf einmal alleinerziehend

Heidi Jäger heiratet, kauft ein Haus und adoptiert 1985 ihren indischen Sohn. Plötzlich stirbt ihr Mann. Mit 33 Jahren ist sie alleinerziehende Mutter. „Seit meiner Ausbildung war ich immer berufstätig. Zuerst in verschiedenen Labors, später im Außendienst“, berichtet die 63-Jährige. Zeit für einen Auslandsaufenthalt gab es nicht.

Im Frühjahr vergangenen Jahres erfährt Heidi Jäger durch eine Talkshow im Fernsehen von der Agentur „Granny Aupair“ in Hamburg. „Ich war sofort begeistert von dieser Möglichkeit in meinem Alter.“

Heidi Jäger überlegt nicht lange: Sie meldet sich bei der Agentur an. „Ich habe mir vorher einen Vortrag zum Thema ,Frauen, die sich was trauen’ angehört und dann stand für mich fest, dass ich diesen Schritt wagen möchte.“ Heidi Jäger bekommt verschiedene Angebote zugeschickt.

Eines davon aus Vancouver – die Stadt, die sie schon als junges Mädchen unbedingt kennenlernen wollte. „Ich habe sofort Kontakt zu der Familie aufgenommen. Und seit Ende Juni lebe ich in Vancouver.“ Ihre Familie auf Zeit betreibt dort ein Gästehaus für Studenten aus der ganzen Welt. „Die Studenten machen sich das Frühstück selbst, abends gibt es ein Dinner und wir bereiten den Lunch für die Schule.“

Kontakt per Skype mit ihrem Sohn

Angst hat sie keine. „Ich habe mir nur Sorgen wegen der Sprache gemacht. Mein Englisch ist nicht besonders gut. Aber ich lerne von Tag zu Tag dazu.“ Und noch etwas lernt sie im Ausland: „Mit meinem Sohn skype ich regelmäßig. Er findet es wunderbar, dass seine Mutter wieder so aktiv ist.“

Warum viele Menschen im Alter so aktiv sind? „Ich glaube, viele Menschen in meinem Alter hatten in jungen Jahren einfach nicht die Gelegenheit, längere Zeit in fremde Länder zu gehen“, mutmaßt Jäger. „Ich habe ein langes Arbeitsleben hinter mir und solange ich es körperlich noch kann, will ich was unternehmen und das ein oder andere Abenteuer erleben. Meine Lebenserfahrung hat mir gezeigt, Mut wird immer belohnt.“

So wird man Au-pair-Oma

  • Granny Aupair hat die Hamburgerin Michaela Hansen 2010 gegründet. Sie bietet Frauen ab 50 die Möglichkeit, als Oma auf Zeit in einer Familie in Indien, Frankreich, Amerika oder als Helferin in einem sozialen Projekt zu arbeiten.
  • Jede Frau ab 50 Jahren (nach oben gibt es keine Altersgrenze), die sich körperlich und geistig fit fühlt, kann mitmachen. Hansen beschreibt die „ideale“ Granny als offen, freundlich und tolerant.
  • Auf der Internetseite www.granny-aupair.de kann man sich kostenlos registrieren lassen und sich alle Angebote ansehen. Möchte man mit einer Familie in Kontakt treten, muss man eine Mitgliedschaft bei Granny Aupair abschließen. Die Kosten dafür hängen von der Länge der Mitgliedschaft ab (ab 29,90 Euro).