Würzburg. . Fürchten sich die meisten Menschen, wenn sie Spinnen sehen – ganz gleich, ob diese giftig sind oder nicht? Das wollten Georg Alpers und seine Mitarbeiterinnen Antje Gerdes und Gabriele Uhl herausfinden. Und: ob die Spinnen hier eine Sonderrolle unter den Insekten spielen.
Daher zeigten die Forscher Studierende an der Universität Würzburg Bilder von Spinnen, Wespen, Bienen, Käfern, Schmetterlingen und Motten und fragten sie: Wie sehr haben Sie sich vor den Tieren gefürchtet oder geekelt – und für wie gefährlich halten sie sie diese? Das Ergebnis, so Alpers: „Spinnen riefen signifikant mehr Angst und Ekel hervor als die anderen Tiere.“
Während Angst vor Gefahr schützt, bewahrt Ekel vor Verdorbenem. Das würde erklären, warum manche Testpersonen auch Käfer widerlich finden. Doch der Ekel vor Spinnen übertrifft den vor Käfern bei weitem. Der Mensch neigt dazu, im Zweifel das, was er nicht kennt, für gefährlich zu halten. Er warnt seine Mitmenschen davor, besonders seine Kinder. Das kann man ihm nicht vorwerfen, schließlich hat unsere Spezies dadurch in den letzten Jahrmillionen überlebt. Wir können also dankbar sein, dass uns manche Ängste angeboren sind: die Furcht vor der Dunkelheit, in der sich hungrige Raubtiere verbergen könnten; der Bammel vor Gewittern mit ihren Blitzen, die einen zu erschlagen drohen; aber auch der Respekt vor Höhen, aus denen man tödlich abstürzen, sowie jener vor Giftschlangen, deren Biss einen umbringen könnte. Die Freude über solche Urängste sollten wir uns auch nicht davon trüben lassen, dass jäh aufwallende Furcht sich oftmals schon Sekunden später als unbegründet erweist. Lieber ein Fehlalarm zu viel als einer zu wenig, meint der US-amerikanische Emotionspsychologe Joseph LeDoux. Denn es sei „besser, einen Stock versehentlich für eine Schlange zu halten, als auf eine mögliche Schlange nicht reagiert zu haben“.
Im Gegensatz zur überschaubaren Zahl unserer angeborenen Ängste erwerben wir alle anderen Spielarten der Furcht im Lauf unseres Lebens, und so ähnlich verhält es sich auch mit dem Ekel. Zwar kennen das Ekelgefühl und die passende Mimik dazu alle Gesellschaften. Zudem scheinen Kot oder verwesende Kadaver alle Menschen anzuwidern. Doch davon abgesehen ist das, was wir mit Abscheu beäugen oder niemals essen würden, von Kultur zu Kultur sehr verschieden: Während die einen auf Blauschimmelkäse schwören, schlürfen die anderen mit Vorliebe glibberige Austern oder trinken aus gesundheitlichen Gründen ihren Urin. Stilprägend ist hier einmal mehr das Vorbild unserer Eltern oder anderer für uns wichtiger Menschen.
Verantwortlich mit eigenen Ängsten umgehen
leiden und die sich in Experimenten auch leichter auf kleine Mädchen übertragen lässt als auf gleich alte Jungs, wie der US-amerikanische Psychologe David H. Rakinson ermittelt hat.
Meist ist Spinnenangst jedoch nicht angebracht. Nur wenige der über 40 000 Arten dieser Tierordnung können bei einem Biss für Menschen hochgefährliches Gift ins Gewebe spritzen, was schlimmstenfalls tödlich enden kann. Das gilt zum Beispiel für die acht Brasilianischen Wanderspinnen-Arten oder die Sydney-Trichternetzspinne. In Mitteleuropa kommt jedoch keine Spinnenart vor, deren Gift für Menschen tödlich wäre.
Ein Spinnenbiss wie ein Mückenstich
Der Biss der Gartenkreuzspinne etwa durchdringt meist nicht einmal die menschliche Haut und juckt uns nur wie der Stich einer Mücke. Wenig schmerzt auch der Biss der Großen Winkel- oder Hausspinne, die aber stets zu fliehen versucht, statt ihr Gift an einen übermächtigen Gegner zu verschwenden. Selbst der Ammen-Dornfinger, der ein schmerzhaftes Gift zu injizieren vermag, weil seine Giftklauen unsere Haut durchdringen, ist bei weitem nicht lebensbedrohlich, es sei denn, jemand reagiert allergisch auf das Toxin – ähnlich wie bei Bienen und Wespen, durch die aber weit mehr Menschen zu Schaden kommen.
„Die Angst vor Spinnen ist weitgehend unbegründet, in unseren Breiten sogar völlig“, sagt der Biologe Theo Blick. Und was die Todesfälle durch Spinnenbisse in fernen Gegenden anlangt, rät der Zoologe Wolfgang Nentwig von der Uni Bern zu Skepsis: „Es gibt zahlreiche Belege, dass trotz Diagnose Spinnenbiss die Ursache etwas ganz anderes war.“
Ist Spinnenangst angeboren?
Umstritten ist, ob Spinnenangst angeboren ist. Zumindest scheint es bei kleinen Kindern eine erhöhte Angstbereitschaft für Spinnen zu geben. Furchtsam reagierende Eltern können diese Angstneigung leicht in aktive Angst verwandeln, indem sie beim Anblick jedes Achtbeiners schrill aufschreien oder ihn erschlagen.
Die Abneigung gegen Spinnen kann auch damit zu tun haben, dass wir nicht häufig Kontakt mit ihnen haben. Deshalb werden wir auch, wenn überhaupt je, zu selten von ihnen gebissen, um glauben zu können, dass davon fast immer keine Gefahr ausgeht. Stiche von Bienen und Wespen sind uns deutlich vertrauter. „Auf diese Weise konnten die Menschen die Erfahrung machen, dass Bienenstiche in der Regel nicht zum Tod führen“, sagt die Mannheimer Psychologin Antje Gerdes. Und woran wir uns gewöhnen, das jagt uns mit der Zeit immer weniger Angst ein.
Abscheu nicht auf Kinder übertragen
Das Fazit: Wer sich als Erwachsener vor Spinnen ekelt oder gar Züge einer Phobie aufweist, sollte seine Abscheu nicht auf seine Kinder übertragen. Stattdessen könnten Mütter und Väter versuchen, über die Entdeckungsfreude ihrer Kinder selber ein Stück weniger ängstlich zu werden. Sie könnten ausprobieren, die Welt einmal mit den Augen ihrer Kinder zu sehen, also weniger voreingenommen. Statt das Gesicht zu verziehen, wenn die Tochter mit einer Kreuzspinne oder einer schleimigen Schnecke auf der Hand in die Küche kommt, könnte der Vater zum Beispiel interessiert fragen: „Sag mal, Ella, wie fühlt sich das eigentlich an?“ Oder auch nur: „Was hast du denn jetzt vor mit ihr?“ Wer kleine Naturforscher fördern möchte, darf ihnen die Studienobjekte nicht madig machen – und seien es fette, sich kringelnde Maden.