Bisher sind Wissenschaftler davon ausgegangen, dass uns die Gewaltbereitschaft bereits in die Wiege gelegt wurde. Nun haben Forscher eine interessante Entdeckung gemacht: Die Jäger und Sammler kannten zwar Mord, doch kaum große Konflikte.

Allein im 20. Jahrhundert starben rund 185 Millionen Menschen in Kriegen oder an ihren Folgen, hat Zbigniew Brzezinski geschätzt, der Sicherheitsberater des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter war. In den ersten 13 Jahren des 21. Jahrhunderts kamen 19 große Konflikte von der Intifada im Nahen Osten bis zu den Bürgerkriegen in Syrien und Mali zu dieser Bilanz des Schreckens dazu. Nicht zuletzt aus solchen erschütternden Zahlenwerken haben manche Forscher bisher die Vermutung abgeleitet, Kriege wären der Menschheit schon in die Wiege gelegt worden. Bereits die ersten Jäger und Sammler der frühen Steinzeit könnten dieser Meinung nach gegen ihre Nachbarn in die Schlacht gezogen sein. Als Douglas Fry und Patrik Söderberg von der Åbo-Akademi-Universität im finnischen Vaasa allerdings die Todesopfer von gewalttätigen Auseinandersetzung bei Naturvölkern in historischer Zeit unter die Lupe nahmen, kamen sie zu einem weniger kriegerischen Bild.

Archäologen stützten sich bisher bei Analysen, ob frühere Völker Krieg führten oder nicht, auf Utensilien, die nicht bei der täglichen Arbeit oder bei der Jagd verwendet wurden, sondern wie Dolche und Kriegskeulen eindeutig Waffen für den Kampf gegen andere Menschen waren. Wurden Siedlungen plötzlich nur noch an Orten angelegt, die sich wie zum Beispiel Inseln relativ leicht verteidigen lassen, deutet das ebenfalls darauf hin, dass es dort Kämpfe gegeben hat. Auch wenn in einer bestimmten Zeit viele Menschen bestattet wurden, denen noch die Spitzen von Pfeilen in den Knochen steckten, ging man von größeren Konflikten aus.

Solche Hinweise auf Kriege finden sich tatsächlich fast überall auf der Erde, oft genug tauchten sie nach einer ruhigen Zeit plötzlich auf und zeigen so ein Ende des Friedens an. Das gilt für die Atlantik- und die Pazifikküste Nordamerikas genauso wie für das Hochland von Mexiko und für den Nahen Osten. Diese Indizien für Kriege aber stammen aus den letzten zehntausend Jahren, in denen in weiten Teilen der Welt sesshafte Bauern und Viehhirten die Nomaden der Jäger und Sammler ablösten.

Die Forscher untersuchten 148 Kämpfe

Fry und Söderberg haben in ihrer jetzt vorgestellten Studie dagegen 21 Völker untersucht, die zur Zeit des Geschehens noch als reine Jäger und Sammler lebten und allerhöchstens fünf Prozent ihrer Ernährung aus Ackerbau und Viehzucht bestritten. Bei den Hadza-Nomaden in Tansania und den Pygmäen im zentralafrikanischen Regenwald, bei den Indianern sowie bei weiteren Völkern etwa in Asien fanden sie 148 Kämpfe, bei denen Menschen ums Leben kamen.

Hinweise auf kriegerische Auseinandersetzungen fanden sie dabei nur ganz wenige. So standen im Hintergrund von zwei Dritteln aller tödlichen Auseinandersetzungen Familienfehden, Streit unter Männern um eine Frau und tragische Unfälle. Auch wurden Menschen hingerichtet, weil sie Honig gestohlen oder in den Augen ihrer Zeitgenossen andere Verbrechen begangen hatten. Fast immer waren die Übeltäter Männer, nur vier Prozent aller Gewalttaten gingen von Frauen aus.

Schiffbrüchige wurden umgebracht

Wenn die Forscher das Volk der Tiwi in Australien aus ihren Untersuchungen ausschließen, die fast die Hälfte aller untersuchten Todesfälle in ihren Reihen hatten, gehörten nur 15 Prozent aller Opfer nicht zum eigenen Stamm oder zum eigenen Volk. Aber auch dabei handelte es sich oft kaum um Krieg, sondern eher um Mord. So wurden Schiffbrüchige an einer fremden Küste umgebracht. Kurzum: In den allermeisten Fällen handelte es sich um Mord und Totschlag. Für Auseinandersetzungen zwischen Stämmen und Völkern, die zum Beispiel um Rohstoffe entbrennen können, fanden die Forscher dagegen kaum einen Hinweis.

Auch dafür aber gibt es Gründe: So waren die Gruppen der Jäger und Sammler für Kriege einfach zu klein, weil sie durchschnittlich aus 26 Erwachsenen und Halbwüchsigen bestanden. Außerdem lebten diese Völker meist von der Hand in den Mund, größere Schätze gab es also kaum zu erobern. Die Gruppen waren untereinander häufig durch familiäre Bande verknüpft, auch das ist bei Kriegen eher hinderlich. Die Wurzeln von großen Konflikten finden sich daher eher in den letzten zehntausend Jahren, als die Menschen sich als Ackerbauern und Viehzüchter niederließen. Krieg ist anscheinend eine Erfindung der jüngeren Steinzeit und der Neuzeit.