Essen. . „Neuland“ nannte Merkel das Internet beim Besuch des US-Präsidenten. Die einen erklärten ihre Aussage zur Lachnummer, die anderen als treffend: Das Internet sei immer noch ein rechtsfreier Raum. Ein Experte widerspricht.

Natürlich ist er nun wieder zu hören, dieser Satz, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist. In dem Geheimdienste ungestraft Menschen in fremden Ländern ausspionieren dürfen, in dem man beleidigen und mobben darf und sich alles herunterladen kann. Experten aber schütteln da den Kopf. „Nein“, sagt etwa Kilian Kost, Anwalt in der auf Online-Recht spezialisierten Kölner Kanzlei Wilde Beuger Solmecke. „Das Internet ist natürlich kein rechtsfreier Raum. Es ist nur manchmal schwierig, das Recht auch anzuwenden.“

Aber es wird einfacher, wenn auch in kleinen Schritten. Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, in denen das weltweite Datennetz für die deutsche Justiz ein Buch mit sieben Siegeln war, in der Staatsanwälte oder Richter nichts anfangen konnten mit Begriffen wie „Download Portal“ oder „Phishing-Attacke“. „Da ist eine neue Generation von Juristen nachgerückt“, bestätigt Kost. „Und selbst die älteren Richter kennen sich mittlerweile ganz gut aus.“

Manchmal aber müssen sie – ebenso wie die Verteidiger – noch mit „Vorschriften operieren, die nicht für das Internet gemacht worden sind“. Weil es das Internet damals noch nicht gab. Eine Zeit, in der man das neue Album seiner Lieblingsband im Wohnzimmer auf eine Kassette kopierte und nicht von einem Server am anderen Ende der Welt. Als Bücher noch aus Papier waren und nicht im Kindle steckten und man für eine Überweisung den Schalter einer Bank besuchen musste. Aber auch da, sagt Kost, „ist man auf dem Weg.“ Indem Gesetze geändert und angepasst werden oder höchstrichterliche Entscheidungen für Klarheit sorgen. Manchmal kann man sogar von Überregulierung sprechen. Wer je versucht hat, das Impressum eines Online-Shops zu erstellen, kann ein Lied davon singen. Schon wenn man seinen Vornamen abkürzt statt ihn auszuschreiben, kann man abgemahnt werden.

Das Problem: Das Internet ist grenzenlos

Wenn es denn nur nicht so groß wäre, dieses Internet. Und vor allem so grenzenlos. Ob Datenklauer oder Urheberrechtverletzer, ob gehackte Bankkonten oder üble Beschimpfungen – „oft lässt sich kaum feststellen, welche Person dahintersteckt“. Und selbst wenn, muss sie nicht immer eine Strafe fürchten. Weil dort, wo sie lebt, vielleicht andere Gesetze gelten. Oder weil es die Behörden in Togo (Internetendung .to) oder Vanuatu (Internetendung .vu) völlig egal ist, ob über eine bei ihnen registrierte Adresse der neue James Bond-Film oder das jüngste Album von Beyoncé verbreitet werden. Wird dennoch einer erwischt, einer von den Großen, ist schnell Ersatz da. Die Betreiber der Seite „Piratebay“ wurden vor Jahren zu Haftstrafen verurteilt, die Seite wurde verboten. Erreichbar ist das Angebot mit Links zu meist illegalen Downloadangeboten nach wie vor – von Sympathisanten versteckt auf verborgenen Servern, hochgeladen in Datenwolken, die kaum abzuschalten sind. Einen „Kampf gegen Windmühlen“ nennt es Kost.

Das Internet ist also kein rechtsfreier Raum, aber einer, der sich über so viele Rechtsräume erstreckt, dass sich internationale Unternehmen den für sie günstigsten aussuchen können.

„Natürlich kann man theoretisch dagegen vorgehen“, sagt Kost. Allerdings müsste man erst wissen, wer was über wen gespeichert hat. Nur wen soll man danach fragen, an wen sein Auskunftsersuchen richten? „Das ist“, weiß Kost, „eine sehr schwierige Angelegenheit.“