Wer zu den Mächtigen gehört, hat oft die Bodenhaftung verloren. Angehörige der Eliten zeichnen sich durch andere Ansichten zur sozialen Gerechtigkeit aus als der Rest der Bevölkerung. Es gilt: Wer zur Elite gehört, findet die Welt gerecht.

Von den Sorgen und Nöten der Bevölkerung bekommt die deutsche Elite kaum etwas mit. Niedriglöhne, Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit – den Reichen und Mächtigen bereitet das wenig Sorgen. Dies ist häufig die Sicht des „kleinen Mannes“ und entsprechend fällt sein Urteil über Banker, Politiker und Bosse aus. Aber ist es wirklich so? Sind die Mächtigen tatsächlich so abgehoben?

Der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann wollte es genau wissen. Für seine Untersuchung „Soziale Ungleichheit – kein Thema für die Eliten?“ hat der Wissenschaftler, der als einer der renommiertesten Elite-Forscher Deutschlands gilt, die 1000 mächtigsten Personen in Deutschland befragt, von 351 erhielt er Antworten. Unter ihnen sind Mitglieder der Bundesregierung, Ministerpräsidenten, Konzernvorstände, Chefredakteure, oberste Bundesrichter und Gewerkschafter. Es ist die erste Studie zur Einstellung der Eliten in Deutschland seit 1995 und die erste, die sich mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit befasst.

Menschen an den Macht-Schaltstellen

Was man womöglich schon lange geahnt hat, wird von Hartmann akribisch wissenschaftlich nachgezeichnet, seine Bilanz lautet kurz gefasst: Deutschlands Eliten entfernen sich immer weiter von der Lebenswirklichkeit der normalen Bevölkerung. Dies betrifft nicht nur die Spreizung der Einkommen und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Auch die Einstellungen zur Gesellschaft und zur sozialen Gerechtigkeit driften auseinander.

Zunächst: Als Eliten bezeichnet Hartmann nicht die Promis, die Reichen und Schönen, die Schauspieler und müßigen Millionäre, sondern jene Gruppe von Menschen, deren Entscheidungen „die gesellschaftliche Entwicklung maßgeblich beeinflussen“ können. Dies ist eine nüchterne Definition der „Funktionseliten“, die ohne moralisierende Untertöne auskommt. Es handelt sich demnach schlicht um eine Gruppe, die an den Schalthebeln der Macht sitzt – sei es in der Wirtschaft, der Justiz, in den Medien, in Politik oder Verwaltung.

Die gesammelten Aussagen zeigen, dass die Sicht auf unser Gemeinwesen je nach Position höchst unterschiedlich ist. Während 74 Prozent der Arbeiterschaft die sozialen Unterschiede ungerecht finden, ist es unter den Eliten genau umgekehrt. Unter jenen, die aus großbürgerlichen Familien stammen, halten knapp 60 Prozent die sozialen Unterschiede für gerecht. „Je höher die soziale Herkunft der Elitenangehörigen ist, desto eher neigen sie zu einer positiven Sicht der Dinge“, erkannte Hartmann.

„Die soziale Herkunft bestimmt die grundsätzliche Einstellung zum Staat“

Vor diesem Hintergrund sieht der Forscher eine „Einstellungsspaltung“ zwischen der Bevölkerung und den Eliten. Diese lehnen Mindestlöhne und eine Anhebung des Spitzensteuersatzes strikt ab, setzen auf eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und geben nicht der Finanzbranche, sondern den Staaten die Hauptschuld an der Finanzkrise. In der „normalen“ Bevölkerung sieht dies die Mehrheit ganz anders. Hartmann: „Die soziale Herkunft bestimmt die grundsätzliche Einstellung zum Staat und dessen Verpflichtungen auf sozialem Gebiet.“

Vor allem die Führungs-Etagen in den Unternehmen sind ein weitgehend abgeschlossenes Terrain. Ein Aufstieg in diese Gefilde aus anderen Schichten ist schwer. Der Grund dafür sind die „spezifischen Rekrutierungsmaßnahmen in diesem Bereich“, so Hartmann. Nicht nur ein makelloser Lebenslauf oder Top-Zeugnisse von Elite-Unis öffnen hier Türen, es kommt vor allem auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale an. Dazu gehört eine großbürgerliche Allgemeinbildung, kulturelle Interessen – so sollte man den Gesang Anna Netrebkos von dem der Callas unterscheiden können – sowie Optimismus, Souveränität und Risikobereitschaft. Umgangsformen, Kleidung und Bildung fließen in einen Code, den die Mitglieder der Elite beherrschen und an dem sie sich erkennen.

Die Eliten leben in einer eigenen Welt

Die möglichen Folgen dieser Entfremdung zwischen den Eliten und der normalen Bevölkerung sind in der Analyse des Forschers fatal. Die Eliten leben in einer eigenen Welt und nehmen die Sorgen und Belange der „Normalbürger“ kaum noch wahr. Die wachsende soziale Kluft verschärft zudem am unteren Ende der Skala den Eindruck, auf „die da oben“ sowieso keinen Einfluss haben zu können.

Hartmann sieht eine Konsequenz in der wachsenden Wahlmüdigkeit vor allem der unteren Einkommensgruppen: Je ärmer der Stadtteil, desto niedriger die Wahlbeteiligung. Die Politik verliere diese Schicht daher zunehmend aus dem Blick. Die wachsende Apathie werde noch gefördert durch die Begründungen, mit denen Eliten ihr Verhalten häufig rechtfertigen, schreibt Hartmann: „Sachzwänge und Alternativlosigkeit.“