Die Diskussion über das Endlager-Problem von Atommüll wollen Physiker mit einem neuen Verfahren beenden: der Transmutation. Dabei wird hoch radioaktiver Abfall in weniger gefährliche Substanzen verwandelt.

Transmutation – seit Jahrhunderten sprechen die Forscher dieses Wort nur flüsternd aus. Alchemisten im Mittelalter benutzten es, als sie versuchten, Blei in Gold zu verwandeln. Für heutige Ohren klingt das Wort wie ein neues Instrument aus dem Werkzeugkasten unerschrockener Klon- und Gentechnik-Laboranten. Gemeint aber ist etwas anderes: Die Umwandlung hoch radioaktiven Atommülls in harmlosere, ungiftigere Substanzen. Es wäre, so die Hoffnung, die Lösung für die offene Frage, was mit dem Jahrtausende lang strahlenden Abfall aus deutschen Kernreaktoren passieren soll. Vor dem Hintergrund der Endlagersuche ist die Transmutations-Forschung hochaktuell.

Bis 2022, wenn das letzte deutsche Atomkraftwerk planmäßig abgeschaltet wird, werden nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz rund 30 000 Kubikmeter hoch radioaktiven Abfalls anfallen. Wo dieser gefährliche Müll gelagert werden kann, weiß kein Mensch. Alternativen zur Endlagerung sind daher für Wissenschaft, Atomwirtschaft und Politik attraktiv. Mit gut 43 Millionen Euro fördert die Bundesregierung die nukleare Sicherheits- und Endlagerforschung, zu der ausdrücklich auch die Transmutation zählt.

Die Idee: Besonders langlebige Abfälle werden aus abgebrannten Brennelementen abgetrennt (Partitionierung) und in weniger problematische Elemente verwandelt (Transmutation). Das gelingt bereits in kleinem Maßstab. Ob es in der erforderlichen großtechnischen Anwendung funktioniert, soll in einer Versuchsanlage, dem „Myrrha-Reaktor“ erprobt werden, der 2023 in Betrieb gehen soll. Die Anlage entsteht derzeit im belgischen Mol, die Kosten von einer Milliarde Euro teilen sich mehrere europäische Staaten.

Die Substanzen strahlen kürzer

Bei der Transmutation wird hoch radioaktiver Abfall mit schnellen Neutronen beschossen. Dabei werden die gefährlichen Stoffe in harmlosere und kurzlebigere Elemente umgewandelt. Die umgewandelten Isotope besitzen andere Eigenschaften, sie können deutlich schneller zerfallen und strahlen kürzer als der Atommüll, so Johanna Stachel, Präsidentin der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Die schnellen Neutronen könnten aus einem Reaktor oder von einem Teilchenbeschleuniger stammen. Das geht so:

Bei der sogenannten Spallation werden beschleunigte Protonen auf ein massives Ziel geschossen. Dadurch wird eine große Zahl von Neutronen aus den Atomkernen herausgeschlagen. Die umzuwandelnden Nuklide, also das atomare Material, werden um dieses Ziel herum platziert. Die Nuklide in dem Abfall reagieren mit den herumsausenden Neutronen und bilden Stoffe, die schneller zerfallen und weniger giftig sind als die Ursprungsstoffe. Vorteil gegenüber der Reaktor-Variante: Wird der Neutronenbeschuss gestoppt, endet die nukleare Reaktion sofort.

Während man Plutonium für eine Million Jahre sicher wegschließen müsste, wären die nach der Prozedur entstandenen Stoffe nach einigen Hundert bis Tausend Jahren unschädlich. Die Transmutation würde ein Endlager zwar nicht überflüssig machen, könnte das Problem aber entschärfen, da die Menge des eingelagerten Mülls deutlich geringer wäre, so Stachel.

Technische Hindernisse

Trotz der verlockenden Aussichten gibt es große technische Hindernisse. Lothar Hahn, einer der renommiertesten deutschen Kernenergie-Experten, rät zur Zurückhaltung: „Transmutation klingt vielversprechend, ist aber in der Praxis kein Ausweg“, sagt er. Man habe die Technik nicht im Griff, schon gar nicht in der nötigen Größenordnung: „Es gibt neben den enormen Kosten hohe Sicherheits- und Strahlenschutzprobleme“, so Hahn. Der Aufwand sei gemessen am Erfolg zu hoch. Erst in Jahrzehnten werde man sehen, ob die belgische Pilotanlage die erwarteten Ergebnisse erbringt. Für Deutschland aber sei das Thema Kernenergie „definitiv erledigt“. Daher sollte man von der Transmutation die Finger lassen. Auch der Alchemistentraum, Blei in Gold zu verwandeln, hat sich bekanntlich nie erfüllt.

Zur Person:

Lothar Hahn war bis 2010 Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). In zahlreichen Projekten und Funktionen beriet er die Bundesregierung in Fragen der Reaktorsicherheit. Mit Joachim Radkau verfasste er das Buch „Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft“, das im Januar im Oekom Verlag erschien. Das Werk zeichnet die Geschichte einer Technologie nach, die nach anfänglich großen Hoffnungen letztlich scheiterte.