Essen. Durch ihre Rolle im Kinohit „Keinohrhasen“ ist die ehemalige MTV-Moderatorin Nora Tschirner erst richtig bekannt geworden. Allein beim Schauspielern möchte es die frisch gebackene Tatort-Kommissarin es aber nicht belassen – und ist der Band Prag beigetreten. Wie schafft sie alles gleichzeitig?
Wir treffen uns im tiefsten Berliner Westen, im Stadtteil Wedding, auf einer Kegelbahn. Frühe Siebziger Jahre vielleicht. Der Laden, in dem zwar immer noch gekegelt wird, der aber in erster Linie als augenzwinkernd gemeinter Trendsettertreffpunkt fungiert, ist natürlich schwer auf Nostalgie getrimmt, die Möbel sehen aus wie frisch vom Flohmarkt, zu trinken gibt es Retrobrause. Mittendrin hockt Nora Tschirner 31. Tschirner ist in Berlin geboren, im an den Wedding grenzenden Ost-Berliner Bezirk Pankow. Sie lebt noch immer hier in der Ecke und hat ihren Hund mitgebracht, ein mittelgroßes, schwarzes und etwas vorlautes Tier.
Richtig bekannt wurde Nora Tschirner durch ihre Rolle im Riesenerfolg „Keinohrhasen“, aber sie macht auch gern coole Sachen, etwa die kultisch verehrte TV-Serie „Ijon Tichy: Raumpilot“. An Weihnachten wird sie neben Christian Ulmen im ersten (und vielleicht einzigen, das weiß man noch nicht) Weimar-„Tatort“ zu sehen sein. Alles in allem ist Nora Tschirner eine junge Frau, auf die man sich in jeder Hinsicht einigen kann. Und jetzt macht sie auch noch Musik. Sie ist der Band Prag beigetreten, die ursprünglich von den Indiepopmusikern Erik Lautenschläger und Tom Krimi gegründet wurde und sich auf charmante Popchansons im Stile der Sixties und Seventies spezialisiert hat. Nora Tschirner spielt auf dem ersten Prag-Album „Premiere“ die Baritongitarre, und sie singt die zweite Stimme neben Lautenschläger.
Frau Tschirner, erst mal kurz zum Tatort. Geht da ein Lebenstraum in Erfüllung?
Nora Tschirner: Nö, so etwas habe ich nicht. Ich denke nicht in Karrieremeilensteilen oder -zielen. Ich muss präzise und individuell Lust auf ein bestimmtes Projekt und eine bestimmte Konstellation haben, und dann schmeiße ich mich da rein. So war es beim Tatort auch. Auch endlich wieder mit Christian Ulmen zu arbeiten, hat mich gereizt.
Und was macht den Reiz bei Prag aus?
Tschirner: Die Jungs. Am Anfang bin ich nur so zum Gucken bei denen im Proberaum vorbeigegangen, und dann kriegte das schnell so eine eigene Dynamik. Wir sprechen musikalisch die gleiche Sprache.
Sie kennen Erik Lautenschläger aus der Schule. Er hat Sie zufällig in der Kneipe getroffen und Sie haben bequatscht, ob Sie in seiner neuen Band mitmachen wollen?
Tschirner: Genau. Erst ging es aber nur darum, ob ich ein Duett mitsingen will. Dann hat sich das Ganze entwickelt.
Haben Sie vorher schon in Bands gespielt?
Tschirner: Nein, nie. Ich singe im Auto mit, aber dafür gibt es ja leider keine Zeugen. Ich bin allerdings nicht komplett unbeleckt, was Musik angeht, immerhin war ich zehn Jahre lang in einer Musikschule und habe eine klassische Gitarrenausbildung.
Ihre Musik erinnert an Chansons der 60er-Jahre. Was gefällt Ihnen an diesem Stil?
Tschirner: Ich liebe diese schwelgerische Stimmung, diesen ganzen großartig orchestrierten Sound. Das ist Musik, die melancholisch und nostalgisch ist und die toll unterhält. Am Anfang kamen wir uns vor wie unsere eigene Selbsthilfegruppe. Wenn ich sagte „France Gall ist toll“, stand ich allein auf weiter Flur. Neuerdings können viele Leute mit dieser Musik was anfangen.
Trotzdem ist Prag keine Band für die Massen, oder?
Tschirner: Letztendlich muss es uns wurscht sein, ob wir den Mainstream erreichen. Im Film ist es meiner Meinung nach zum Scheitern verurteilt, wenn zu strategisch gedacht wird. Erfolgreich wird etwas ja oft dann, wenn niemand damit rechnet, aber die Macher total dazu stehen. Prag war für mich natürlich von Anfang an voll die Karriereentscheidung. Quatsch, natürlich nicht. Das ist ein reines Mußeprojekt.
Sie sind ja sehr umtriebig, haben zum Beispiel jüngst auch Lara Croft für das neue „TombRaider“-Spiel synchronisiert. Wie viel Muße ist Ihnen denn so vergönnt?
Tschirner: Das ist so eine Sehnsucht. Aber ein dauerhaftes Entschleunigtsein ist gerade nicht zu bewerkstelligen. Weil auf so vielen Ebenen so viel passiert.
Ihre aktuelle Single heißt „Sophie Marceau“. Alle Jungs, die in den Achtzigern aufgewachsen sind, dürften sich im Film „La Boum“ in selbige verliebt haben.
Tschirner: Das ist Eriks Phantasie. Ich war damals noch zu jung. Mein „La Boum“ war „Dirty Dancing“. Wenn man den guckte, dachte man, man tut was Verbotenes. Meine erste richtige Lieblingsband waren dann Roxette. Ich fand so geil, wie Per Gessle immer versucht hat, einen auf sexy zu machen.
Haben Sie heutzutage den totalen Indiemusikgeschmack oder hören Sie auch Zeug, das in den Charts ist?
Tschirner: Ich bin aus Versehen ein riesiger Rihanna-Fan. Ich glaube, ich habe drei Alben von der gekauft, und irgendwie find ich die super. Bei jedem neuen Video von ihr weiß ich, jetzt ist wieder Augenfasching angesagt. Ich liebe diesen Popzirkus, den sie veranstaltet.
Im Prag-Lied „Bis einer geht“ fahren Sie gesanglich ganz weit raus. Wohin hauen Sie ab, wenn Sie mal weg wollen?
Tschirner: Uckermark. Die Uckermark ist so abgelegen, die gilt in der EU offiziell als nichtbesiedeltes Gebiet.
Was Sie alles wissen . . .
Tschirner: Ja. Ich bin innerhalb meiner Band die Klugscheißer-AG.
- Prag: Premiere (Tynska Records/Tonpool) Live: 28.5. Köln, Werkstatt, 29.5. Wuppertal, LCB, 31.5. Krefeld, Kulturfabrik