Essen. Regisseur Fatih Akin, der kulturelle Erneuerungsschub auf zwei Beinen, über seine Karriere als Profiboxer und die richtige Balance zwischen Vatersein und Kino – seiner großen Sehnsucht. Die stillt er nicht nur hinter der Kamera, sondern auch im Kinosessel.
Jedes Mal, wenn er einen Preis gewinnt, wird er in der Türkei als türkischer Filmemacher von Weltrang gefeiert. Wenn Fatih Akin aber einen Film macht wie „Der Müll im Garten Eden“, der vor Monatsfrist in unsere Kinos kam und der sich am Beispiel einer geplanten Mülldeponie im Dorf seiner Großeltern kritisch mit dem türkischen Verhältnis zum Umweltschutz auseinandersetzt – dann ist Akin wieder der Regisseur aus Deutschland.
Hier wiederum gilt der in Hamburg-Altona aufgewachsene Sohn türkischer Eltern als Musterbeispiel dafür, dass gelungene Integration weit mehr ist als bloße Anpassung: Fatih Akin, verheiratet mit der Deutsch-Mexikanerin Monique Akin, ist ein kultureller Erneuerungsschub auf zwei Beinen. Wir trafen ihn bei der Verleihung des Peter-Weiss-Preises in Bochum – Fatih Akin stand Rede und Antwort, während im Schauspielhaus jener „Garten Eden“-Film lief, den er ja als Regisseur längst in- und auswendig kennt.
Herr Akin, Sie sind ein echter Workaholic, in diesen Wochen entsteht gerade der letzte Teil Ihrer Film-Trilogie „Liebe, Tod und Teufel“. Aber wie entspannt Fatih Akin?
Filme gucken. Musik hören. Es gibt da ein Lebenswerk: Ich bin dabei, meine 2000 Vinyl-Schallplatten zu digitalisieren. Das geht nur Stück für Stück, da muss man daneben sitzen. In guten Wochen schaffe ich fünf Platten, manchmal auch nur eine.
Kein Boxen mehr? Sie haben doch früher mal richtig geboxt . . .
Ja, ich wollte mir ja 2010 sogar ein Jahr Auszeit nehmen, um einmal in meinem Leben einen richtigen Profikampf zu boxen. Gott sei Dank hat mein Trainer mir das ausgeredet. Du kannst nur verlieren, hat er gesagt: Entweder stellen sie Dir einen müden Busfahrer in den Ring – oder Du wirst fürchterlich verdroschen. Aber jetzt darf ich eigentlich gar nicht mehr boxen, ich habe mich im Januar letzten Jahres am Knie operieren lassen und soll ein Jahr Pause machen.
Braucht ein Filmemacher denn seine Knie?
Nein, aber man braucht als alter Mann das Knie! Da muss ich vorsorgen . . .
Also ein Boxer weniger in der Welt?
Naja, ich habe ganz klein wieder angefangen. Drei Runden Seilspringen, drei Runden am Boxsack, das geht schon wieder ohne Schmerzen.
Was ist denn schön am Boxen?
Das Körperliche. Das Schwitzen. Das Herausfordern. Auf der Straße habe ich mich eigentlich nie gern geprügelt. Dieser Moment, wo ich im Ring gegen einen stehe, von dem ich genau weiß, der ist besser als ich – aber wenn ich dem einmal so richtig eine verpasse, gehe ich glücklich nach Hause.
Sie kommen gerade aus Kuba – wie steht es da um die Revolution?
Wenn Fidel Castro stirbt, bricht das Regime zusammen, sagen viele.
Gut so?
Hm. Ich bin mit Che Guevara und Fidel als Helden aufgewachsen. Und auf Kuba, muss man sagen, hat die Armut eine Würde. Und sie hat Bildung, viel mehr als etwa in Peru oder Mexiko. Aber viele Menschen sind unglücklich, und es hätte eine Arroganz zu sagen, lasst mal lieber alles so, wie es ist. In Miami sitzen allerdings schon all die Haifische, die nur darauf warten, dass in Havanna alles zusammenbricht. Es ist schön, dass es dort die ganzen alten Fassaden noch gibt. Wir haben überlegt, für den Film die Stadt Havanna in Cadiz, in Spanien nachbauen zu lassen, das haben schon einige Filmleute gemacht, weil es so teuer ist, auf Kuba zu drehen. Aber diese Atmosphäre, die kann man nicht nachbauen.
Die Fassaden verfallen aber doch.
Ja, und es wäre schön, wenn sie wieder restauriert werden könnten. Noch schöner wäre es allerdings, wenn nicht Starbucks und McDonald’s sie renovieren würden.
Das wäre auch Peter Weiss nicht recht, in dessen Namen Sie in Bochum ausgezeichnet worden sind. Aber die Filme und Bücher von Peter Weiss – sind die noch aktuell, sind sie nicht längst historisch?
Es wäre schade, wenn sie nur noch historisch wären. Sie sind doch für die Ewigkeit gemacht. Peter Weiss ist sicher schwer zu lesen, da geht es ja nicht um Banalitäten. Das ist eine Lektüre, die herausfordert. Unsere schnelllebigen Zeiten wollen einem nicht erlauben, einen Absatz zwei-, dreimal zu lesen, bis man ihn verstanden hat. Aber die Werke von Weiss sind doch ein Menschheitszeugnis, das man präsent halten sollte!
Peter Weiss hat sehr oft gerungen, mit der Welt, der Geschichte, aber auch mit dem „Abschied von den Eltern“, wie eines seiner Bücher heißt. Ist das auch für Sie ein schwieriges Terrain?
Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen mir und Peter Weiss: In seinem bürgerlichen Elternhaus gab es Bildung, gab es Bücher. Meine Eltern waren arm, als sie nach Deutschland kamen. Meine Mutter wusste allerdings, wie wichtig Bildung ist, sie hat mich sehr früh in der Hamburger Bücherhalle angemeldet, da war ich acht oder neun Jahre alt.
Und Sie waren rundum einverstanden mit Ihren Eltern?
Nein, ich habe eine vollkommen andere politische Gesinnung! Meine Eltern sind konservativ. Da gibt es bei mir ein total gegenläufiges Bewusstsein. Trotzdem kann ich mich nicht von meinen Eltern so radikal verabschieden wie Peter Weiss das getan hat. Die Institution Familie ist etwas Altbewährtes im Kulturkreis, aus dem meine Eltern kommen – und auch für meine Frau, die mexikanische Wurzeln hat. Ich kann damit nicht brechen, auch wenn ich politisch und dem Leben gegenüber anders gepolt bin. Ich suche Harmonie. Das hat auch mit der Angst vor der Freiheit zu tun, wie Erich Fromm sie beschrieben hat. So entstehen ja leider auch totalitäre Regime. Peter Weiss konnte sich freimachen davon.
Und Sie haben ja selbst eine Familie gegründet . . .
Ja, mein Sohn ist sieben, meine Tochter ein halbes Jahr alt. Familie ist etwas ungeheuer Positives, aber man muss ständig daran arbeiten, das kann einen auch ganz schön auszehren.
Familienplanung abgeschlossen?
Ja. Ich möchte kein drittes Kind. Kinder sind Zeitfresser. Beglückend, aber auch Zeitfresser. Und sie sollen ja auch etwas von ihrem Vater haben.
Geht das denn bei Ihrem Beruf?
Mit dem Film, den ich jetzt habe, ist es schwierig. Wir waren so viel unterwegs, um Drehorte zu finden, in Syrien, im Libanon, in Marokko und Jordanien, in den USA von Florida bis South Dakota und in Kanada und jetzt zuletzt auf Kuba . . .
Da kriegt Ihr Sohn Sie nicht oft zu Gesicht, Sie müssen ja auch dauernd zu Preisverleihungen . . .
Ich arbeite gern, aber ich suche nicht die Flucht vor ihm. Er weiß ganz genau: Wenn er mich braucht, wenn es brennt, dann bin ich da, das ist doch das Wichtigste.
Wer war für Sie denn wichtiger, Mutter oder Vater?
Beide waren gleich wichtig. Mein Vater hat mir beigebracht, wie man Konflikte löst, von meiner Mutter habe ich den Zugang zur Bildung. Durch meinen Vater konnte ich mich auf der Straße durchsetzen, durch meine Mutter in der Schule. Naja, sagen wir mal: Sie haben dafür gesorgt, dass ich gerade so eben klargekommen bin.
Was hat sich denn für Sie geändert, seit Sie selbst Vater sind?
Ich kann nur noch ein Mal im Monat ins Kino! Früher bin ich drei Mal am Tag gegangen! Naja, jetzt gucke ich eben alles auf DVD.
Aber Kino ist doch etwas komplett anderes, oder?
Klar. Aber im Moment müsste ich schon drauf hoffen, dass mein Nachbar im Erdgeschoss auszieht und ich aus seiner Wohnung ein Kino machen kann, um wieder öfter ins Kino zu kommen.