Essen. An einem Samstag im Jahre 1973 kam das Sams – und mit diesem frechen Wesen der große Erfolg für Paul Maar. Der Kinderbuchautor wird am 13. Dezember 75 Jahre alt. Wir sprachen mit ihm über Wünsche in (entbehrungs)reichen Zeiten.
Herr Maar, stellen Sie sich vor, ich wäre das Sams und Sie hätten einen Wunschpunkt frei – was würden Sie sich wünschen?
Paul Maar: Nichts Materielles. Ich würde mir wünschen, dass mir auch nach meinem 75. Geburtstag so viele schöne Geschichten einfallen wie bisher. Früher musste ich zwischen zwei, drei Ideen auswählen – welches ist das wichtigste Buch? Nun merke ich, dass die Kreativität und die Fantasie mit zunehmendem Alter ein bisschen nachlassen.
Wenn Sie sich an Ihre Kindheit erinnern, was haben Sie sich da gewünscht?
Maar: Ich bin in den letzten Kriegsjahren groß geworden und hatte eine Kindheit, die mich eigentlich hätte traumatisieren müssen. Ich wundere mich im Nachhinein, dass ich sie so heil überstanden habe. Ich bin in Schweinfurt aufgewachsen, eine der am meisten bombardierten Städte im Zweiten Weltkrieg. Ich lag immer angezogen im Bett, nur Schuhe hatte ich nicht an. Wenn Fliegeralarm war, hatten wir noch eine Minute Zeit, um in den Luftschutzkeller zu rennen. Meine Großmutter war gehbehindert und ging unendlich langsam. Man hat Rücksicht auf sie genommen, aber man hat sich auch gewünscht: Kannst du nicht schneller machen? Da schlugen schon die Bomben ein und die Wände wackelten und man war immer noch nicht im Luftschutzkeller. Das war eine harte Zeit, da habe ich mir gewünscht, dass das alles aufhört und Frieden einkehrt.
Haben Sie sich in eine andere Welt geträumt, wie später der Junge in Ihrem Buch „Lippels Traum“?
Das Buch erinnert mich an meine Kindheit. Ich war sehr fantasievoll, ein Tagträumer. „Ah, jetzt träumt er schon wieder.“ Lippels Traum war auch eine Ehrenrettung der Träumer, der Kinder, die sich in andere Welten denken und Probleme lösen, indem sie sie im Traum verarbeiten.
Die meisten Eltern wünschen sich heute, dass ihre Kinder möglichst viel lesen. Wie war das bei Ihnen?
Maar: Mein Vater hielt das Lesen für Zeitverschwendung. Er war ein sehr fleißiger Handwerkermeister. Und wenn er nach Hause kam, dann saß sein Sohn scheinbar untätig mit einem Buch in der Hand im Sessel. Dann hat er gesagt: „Du hast ja grad nichts zu tun, du könntest ja mal meine Schuhe putzen.“ Vielleicht war das Lesen auch ein bisschen Widerstand dem Vater gegenüber: Jetzt lese ich erst recht! Und dann habe ich mich frei geschrieben.
War also diese entbehrungsreiche Zeit eine Voraussetzung für Ihre Kreativität?
Maar: Das kann ich so nicht sagen, besonders meine späte Kindheit auf dem Dorf war eigentlich schön. Ich bin mit meiner Stiefmutter dort hingezogen. Stiefmutter, das klingt etwas despektierlich, wenn man an Märchen denkt. Aber meine richtige Mutter war früh gestorben, für mich war die zweite Frau meines Vaters meine Mutter.
Wieso war die Zeit auf dem Dorf so schön?
Maar: Da habe ich sehr schnell Anschluss an die Dorfjugend gefunden. Ich konnte schon sehr früh lesen – Robinson Crusoe. Ich habe die Geschichte den anderen Kindern erzählt und wir haben sie nachgespielt. Und dann war da noch mein Großvater, der war Böttcher und gleichzeitig Wirt und ein begnadeter Geschichtenerzähler. Ich durfte in der Wirtschaft sitzen und habe an seinen Lippen gehangen, wenn er eine Geschichte zum Besten gegeben hat.
Wie hat sich dann der Wunsch entwickelt, selbst Geschichten zu schreiben?
Ich war in der Studentenzeit ein leidenschaftlicher Leser, habe manchmal ein bisschen das Studium vernachlässigt. Und dann kam der Wunsch, ich würde gerne selber mal etwas schreiben. Mein erstes Werk habe ich für den Süddeutschen Rundfunk geschrieben. Als dann unser Sohn Michael ungefähr fünf Jahre war, fragte er: „Papa, erzählst Du mir eine Geschichte?“ Und da habe ich angefangen, selbst Geschichten zu erfinden. Irgendwann habe ich sie auf meiner kleinen Reiseschreibmaschine getippt und an den Oetinger-Verlag geschickt. Das wurde mein erstes Kinderbuch: „Der tätowierte Hund“.
Wie hat sich das Wünschen im Laufe Ihres Lebens verändert?
Maar: Ganz banal: Am Anfang meiner schriftstellerischen Laufbahn hätte ich mir mehr Geld gewünscht, um die Miete bezahlen zu können. Diese Sorgen, diese Wünsche habe ich nicht mehr. Durch den Erfolg der Sams-Bücher habe ich ein sehr geregeltes Einkommen. Meine Wünsche sind heute anderer Art: Ach, wenn ich doch mehr Zeit hätte! Ich bekomme so viele Leseanfragen, ich könnte 150 Mal im Jahr vorlesen. Nur wenn ich diese Wünsche alle erfüllen würde, dann käme ich überhaupt nicht mehr zum schreiben und ich möchte ja auch Zeit für meine Kinder, Enkelkinder und Frau haben. Und deswegen habe ich mir schon gewünscht, ich könnte mich verdoppeln, der eine Paul Maar erfüllt die Lesewünsche und der andere sitzt zufrieden zuhause und schreibt neue Bücher.
Sie sind ja auch mit 75 noch ein Träumer! Wann sind Sie das letzte Mal überrascht worden?
Auf meiner Tournee zu dem Buch „Das fliegende Kamel“. Das sind Geschichten von Nasreddin Hodscha, dem Eulenspiegel des Orients. Zuletzt in Bonn waren ein Drittel der Zuschauer türkische Familien. Die fanden das so schön, dass man auch auf ihre Tradition verweist, auf ihren Eulenspiegel. So etwas habe ich noch nie erlebt, am Ende der Vorstellung kamen sie nach vorne und haben sich bei allen Musikern und mir bedankt. Wenn einem so etwas entgegenkommt, solch eine Sympathie, dann tritt man mit großer Freude auf.
Waren Sie schon mal wunschlos glücklich?
Maar: Das Leben mit meiner Frau macht mich sehr glücklich, aber wenn ich eine neue Idee habe und anfange zu schreiben und mitten drin bin in der Geschichte und gar nicht aufhören kann und es abends fast bedaure, dass ich aufhören muss, dann komme ich in eine Euphorie . . . Es ist ein bisschen wie eine sanfte Droge.
Neues von Paul Maar
„Da bin ich gespannt wie ein Gummiband“ – so heißt ein neues Geschenkbuch des ehemaligen Kunstlehrers, in dem er „Die samsigsten Sprüche vom Sams“ versammelt (Oetinger, 128 Seiten, 9,95 €). Der Bamberger Autor hat zudem die Geschichte von Lippel fortgesetzt: „Lippel, träumst du schon wieder!“ (Oetinger, 208 S., 13,95 Euro, ab 9).
Die Geschichten von Nasreddin Hodscha, dem Till Eulenspiegel des Orients, die Kinder wie Erwachsene ansprechen, gibt es auch als Hörbuch: „Das fliegende Kamel“. Das Besondere: Paul Maar erzählt sie nicht nur auf Deutsch, die pointenreichen Gespräche zwischen dem klug-listigen Narren und seinem Freund Mehmet sind auch auf Türkisch zu hören (Oetinger, 2 CDs, 19,95 Euro).