Köln. . Am 23. Juli 2011 starb die Sängerin, die den Soul neu erfand. Mitch Winehouse liebt die Musik seiner Tochter Amy, doch er kann sie nicht mehr hören – es schmerzt zu sehr. Eine Begegnung mit einem Mann, der sich bemüht weiterzuleben.
Es war bloß irgendeine Bar, doch aus ihrer Tür drang Musik. „Rehab“, dieses Lied, in dem Amy Winehouse davon singt, dass sie nicht in die Entzugsklinik will: „My Daddy thinks I’m fine – Mein Papa denkt, dass es mir gut geht.“ Und draußen ging Mitch Winehouse und erschauerte, der Vater, der tatsächlich geglaubt hatte, er könne sein Kind noch halten in dieser Welt. „Amy ist überall, wohin ich gehe. Aber nicht hier.“
Amy Winehouse, Sängerin, die den Soul neu erfand, starb am 23. Juli 2011, sie wurde nur 27 Jahre alt. Ihre Musik lebt weiter, Mitch Winehouse liebt sie, er findet sie „fantastisch“ – aber er kann sie nicht hören. „Es tut zu weh, wissen Sie. Sie war meine Tochter, ich rannte immer um sie herum, aber erst jetzt begreife ich, wie brillant sie war.“ Der 61-Jährige ist ein stattlicher, breitschultriger Mann, er sagt selbst, für Amy sei er der „Fels in der Brandung“ gewesen. Aber wenn er spricht über „Aaimiie“ in seinem breiten Cockney-Englisch, dann durch einen Schleier aus Tränen.
Das schrecklichste Gefühl der Welt
Mitch ist nicht anders als die meisten Väter, „von Anfang an vernarrt in meine Tochter“, und etwas erstaunt, wenn ihn jemand nach seiner besonderen Nähe zu ihr fragt. „Wenn du Probleme hättest, wie eine Mauer um dich herum: Jeder Vater würde kommen und die Mauer einreißen, um dir zu helfen.“ Mitch Winehouse, der einfache Londoner East- End-Boy, der Taxi fuhr, um seine Familie zu ernähren, hat „nichts anderes gemacht“. Aber es war nicht genug. Und als Amy zugrunde ging an ihrem Leben, war er nicht da. „Es war das schrecklichste Gefühl der Welt.“
Er hat es sehen müssen, alle haben es gesehen: wie Amy, die schon mit zwölf berühmt werden wollte, krank wurde darüber, dem Publikum ihr Innerstes vorzuwerfen, wie sie verfiel vor den Augen ihrer Fans, wie sie sich selbst hinrichtete mit Alkohol und Drogen. Sie wankte, er hielt sie, sie fiel, er hob sie auf, er schimpfte und drohte, bat, bettelte und betete. Aber als sie starb, da war sie doch genau fünf Wochen trocken gewesen! Er weiß das genau, „ich hatte so viel Hoffnung“. Drei, vier Jahre zuvor, „da hätte sie sterben können“, aber im Juli 2011: „Sie sah wundervoll aus.“ Sie hatte sich erholt. „Wenn sie 2008 gestorben wäre, das hätte ich verstanden, aber das hat sie nicht getan.“
Diese letzten, besseren Bilder will Mitch Winehouse behalten, nicht die ausgezehrten. „Lächeln und lachen, das ist es, was sie meistens tat. Das ist das Bild, das ich von ihr habe.“ Das Foto, das er bei sich trägt, gespeichert in seinem Telefon, zeigt indes eine ernste Amy. Was sie wohl denkt? „Sie ist wunderschön.“ Er war immer so stolz, mit ihr gesehen zu werden. Und doch gab es nichts, was den Vater so glücklich machte wie ihre Bitte: „Knuddel mich, Papa.“ Sie war eigentlich immer betrunken, wenn sie das sagte. Drogen und Alkohol, das musste er lernen, „sind stärker als alles andere“, aber er will das Lallen vergessen, hört nur die wärmenden Worte: „Give me a cuddle, daddy.“
An ihrem ersten Todestag ist Winehouse mit Familie und Freunden in Amys Lieblingsbar gegangen. Es ist ein Ort, der einem Künstler gehört, die Wände hängen voller Bilder von Amy, auf vielen ist auch Mitch zu sehen. Er ist sicher, „es hat ihr gefallen“. Er glaubt, sie war da. „Ich weiß es. Sie macht Sachen mit mir.“ Ist er nicht eben zu spät gekommen? „Sie hat meine Uhr angehalten.“
In den ersten Tagen nach ihrem Tod schrieb der Vater Amy eine SMS: „Wann kommst du nach Hause?“ Das passiert ihm nicht mehr. Manchmal fragt er sich, „wie lange ich das noch ertragen kann“. Er hat selbst mit 16 seinen Vater verloren. „Ich fand das schrecklich. Aber das hier ist hundertmal schlimmer.“
Mitch Winehouse hat über Jahre das Leben seiner Tochter gelebt, nun muss er sein eigenes wiederfinden. Er hat eine Stiftung gegründet, die Kindern und Jugendlichen hilft, die von Sucht bedroht oder betroffen sind, es hilft ihm, dass sie Amys Namen trägt. Er ist sicher, „sie wäre stolz auf ihren Vater“. Und er hat ein Buch geschrieben über das kurze Leben seines Kindes: „Meine Tochter Amy“. Eine liebevolle Biografie, eine verzweifelte Rechtfertigung, jemand hat es ein „Korrekturbuch“ genannt. Weil Winehouse damit die Bilder der torkelnden Sängerin vertreiben will zugunsten seiner eigenen Erinnerung an „ein wunderbares Mädchen mit einem großen Herzen“. Und weil er die Gerüchte auslöschen will, Amy sei an harten Drogen gestorben. „Sie trank vier-, fünfmal übers Limit, das ist zu viel für ein kleines Mädchen.“ Er findet, er musste den Leuten die Wahrheit sagen.
„Fly Me To The Moon“
Vor allem singt Mitch Winehouse. Er geht auf die Bühne wie früher, vor Amys Geburt. Ein freundlicher Mann macht freundlichen Jazz, demnächst wieder mit der Bigband des Südwestdeutschen Rundfunks. „Entweder du stirbst mit deiner Tochter, oder du machst weiter. Ich singe. Ich liebe es zu singen. Ich sage Ihnen was: Wenn man singt – das ist besser als Drogen und Alkohol. Musik macht, dass du dich gut fühlst.“ Im kleinen Kreis haben Mitch und Amy Winehouse zusammen gesungen. „Fly Me To The Moon“ war ihr Lieblingslied. Sie wollten es aufnehmen, als Duett: „ . . .und lass mich für immer singen.“ Sie haben es nicht mehr geschafft.
- Mitch Winehouse: Meine Tochter Amy. Edel, 256 S., 19,95 Euro