Paris. . Die Softjazzerin Melody Gardot hat sich von ihren Reisen durch die Welt inspirieren lassen. Auf dem neuen Album „The Absence“ mischt sie Samba, Fado, Soul und Bossa Nova. Dabei gelang es ihre, eine ganz eigene Auffassung von Weltmusik zu erschaffen.
„Wir sollten uns nicht von irgendwelchen Freundschaftsdienstleistern in der virtuellen Welt weißmachen lassen, dass die reale Welt kleiner geworden ist.“ Melody Gardot nippt in Paris an einer Tasse Café au lait, während sie den Entstehungsprozess ihres neuen Albums „The Absence“ reflektiert. Sie redet wie sie singt. Bedächtig, erdig, immer nur eine Nuance über dem Flüsterton. In ihrem Redefluss gibt es auffallend wenige gesetzte, dramaturgische Pausen, dafür umso mehr Sprachenvielfalt. „Guten Tag, wie geht es dir? Gut? Hast Du Feuer? Ich habe Lust auf eine Zigarette“, sagt sie zur Begrüßung in fast akzentfreiem Deutsch, bevor sie französische und portugiesische Wortfetzen zu einem Kauderwelsch der schönklingenden Vokabeln vermengt. Sie will ihren Internationalismus, der ihre neue Platte prägt, scheinbar auch verbal unterstreichen.
Viele glauben, dass die Welt außerhalb Amerikas nicht erlebenswert ist
Selbst ihr Englisch ist vom Sprachrhythmus der Franzosen infiltriert, womit sie umgehend das Klischee der sprachlich desinteressierten Jungamerikaner ad absurdum führt. Zumindest vordergründig. „Leider ist das kein Klischee. Meine Landsleute sind wirklich so. Der Großteil amerikanischer Kongressabgeordneter besitzt nicht mal einen Reisepass, weil sie glauben, dass die Welt außerhalb Amerikas schlicht nicht erlebenswert sei“, sagt sie. Das alles würde im Gespräch über ihre neue Platte eigentlich keine übergeordnete Rolle spielen, wären nicht Reisen, Erleben, Schmecken, Fühlen und Hören der Vielfalt der Welt die Rezeptionen, auf denen „The Absence“ fußt.
Zwei Jahre lang reiste die Gardot mehrfach von Kontinent zu Kontinent, um ihr letztes Album „MyOneAndOnlyThrill“ live vorzustellen. Als sie dabei in Paris ankam, hatte sie ein Schlüsselerlebnis, das die Anmutung ihrer Künstlerpersönlichkeit zementiert. MelodyGardot ist, wenn schon nicht die französischste, dann aber mindestens die europäischste aller amerikanischen Singer-Songwriterinnen. „Ich landete auf dem Pariser Flughafen und hatte direkt nach der Ankunft das Gefühl, hierher zu gehören, neue Sprachen zu lernen und fremde Kulturen aufsaugen zu wollen. Deswegen ging ich nach dem Ende meiner letzten Tour sofort wieder auf Reisen, zog mit wildfremden Leuten durch Städte und Länder, die mir vorher fremd waren, wurde süchtig nach Kunst und Leben. Aus diesen Erfahrungen resultierte schließlich mein neues Album.“
Ob ihre Musik dabei ihren Entdeckergeist bedingte, oder ob der Entdeckergeist ihre Musik beeinflusste, ist eine Frage, die beim Lauschen der Schönheit des Endresultats „The Absence“ egal wird. Die 27-Jährige hat mit ihrem dritten Album ihre Auffassung von Weltmusik geschaffen. In der gibt es keine Fremdkörper, keine vordergründige Exotik, keine ethnischen Spielweisen, die aus politischem oder künstlerischem Kalkül als Fremdkörper in die Jazz- und Soulsprache der Gardot verpflanzt wurden. In Lissabon, Buenos Aires, Paris, Rio de Janeiro und in Marrakesch lernte die junge Frau aus New Jersey andere Begriffe für Sehnsüchte und Hoffnungen kennen, fand dabei aber heraus, dass die Intensitäten ihrer Gefühle überall auf der Welt von ihren Spontanbekanntschaften nicht nur geteilt werden konnten.
Die „Abwesenheit“ eines definierten Stils bringt zugleich Kraft und Sinnlichkeit
„Musik braucht keine Stolpersteine wie Reisepässe, um überall auf der Welt willkommen geheißen werden zu können. Wir machen aus Musik viel zu oft eine regionale Debatte. Ich fand während meiner Reise heraus, dass sich alle unterschiedlichen Musikkulturen dieser Welt gegenseitig bedingen, und deswegen gibt es auf meiner neuen Platte eine große, rhythmische Vielfalt.“ Samba, Fado, Jazz, Bossa Nova, nordafrikanische Taktungen, Tango, Soul – die im Albumtitel suggerierte „Abwesenheit“ eines definierten Stils wird in der kompositorischen Handschrift der Gardot zur wunderbaren Gleichzeitigkeit von Kraft und Sinnlichkeit, von Verlust und Sehnsucht, Sentiment und gefundener Glückseligkeit.
Garniert mit einer Botschaft, die die Gardot zum Schluss serviert: „Die Welt ist groß, es gibt viel zu entdecken. Ich möchte mit meiner neuen Platte zur Neugierde, zur Furchtlosigkeit anregen. Wir leben in einer Welt der Stereotype – vor allem kulturell betrachtet. Ich glaube nicht nur, ich weiß, dass Musik imstande dazu ist, einzelne Personen über den eigenen Tellerrand schauen zu lassen. Nehmen Sie mich selbst als Beispiel. Als Amerikanerin habe ich es gewagt, Neues entdecken zu wollen. Heute fühle ich mich viel empathischer und weiß, dass es viele verschiedene Weltsichten gibt. Das ist beruhigend, weil man sich selbst nicht mehr so überaus wichtig nehmen muss. Der Dialog mit der Welt ist wichtig, und den führe ich mit Musik.“
- Melody Gardot: The Absence (Decca) Live: 1.11. Köln, Philharmonie