Essen. . Das erst Jahr mit Kind: Womit Müter, Väter, Großeltern und Freunde rechnen müssen. Von Horrorgeschichten bei Geburtsvorbereitungskursen, von Nächten, in denen an Schlaf nicht zu denken ist, und von den ersten Schritten, die wie das achte Weltwunder gefeiert werden.

Kaum sprießen die ersten grünen Blätter, sind die Spielplätze wieder so voll wie die Tokioter U-Bahn zur Rush-Hour. In den Sandkisten sitzen Mia und Ben mit dem Eimerchen in der Hand und dem Sand im Mund, am Rande die Mamas mit Tupperdosen voller Apfelscheiben und Reiswaffeln. Sie sind perfekt eingespielte Teams – und das, obwohl sie sich erst seit einigen Monaten kennen.

Eltern zu werden, ist eine Entscheidung fürs Leben. Und das fängt schon mit dem Schwangerschaftstest an: Zwei statt einem Streifen, Anruf bei der Frauenärztin, bitte schnell einen Termin, um ganz sicherzugehen. Dann der erste Ultraschall. Zu sehen ist nur ein Zellknubbel, aber das Herz schlägt, es ist deutlich zu sehen und dank moderner Technik sogar zu hören. Und in die unglaubliche Rührung mischt sich schon bald die Sorge als stiller, aber von da an ständiger Begleiter. Ist das Baby gesund? Tatsächlich verlieren 10 bis 20 Prozent der Schwangeren ihr Kind in den ersten drei Monaten. Viele bemerken nur eine stärkere Blutung, weil sie von der Schwangerschaft noch gar nichts wussten. Für die anderen ist diese Fehlgeburt eine sehr traurige Erfahrung, die auch jede weitere Schwangerschaft belastet.

Langschläfer werden Frühaufsteher

Sind die ersten Monate aber geschafft und das Kind gesund, wächst der Bauch und die Vorfreude mit ihm. Und wenn der Arbeitgeber informiert, der Kinderwagen und die Strampler gekauft sind, steht spätestens der Geburtsvorbereitungskurs auf dem Programm: Wer Horrorgeschichten mag, sollte unbedingt dort mal vorbeischauen. Dort gibt’s immer jemanden, der unbedingt erzählen muss, dass eine Freundin drei Tage in den schlimmsten Wehen lag und eine andere so fiese Schmerzen hatte, dass sie nicht mal den Dammriss bemerkt hat. Dann kann die Geburt ja kommen. Und sie kommt – nach durchschnittlich 267 Tagen Schwangerschaft – und macht auf einen Schlag aus Paaren Eltern, aus Langschläfern Frühaufsteher und aus Partytieren Windelwechsler.

Um sich an alle diese Veränderungen zu gewöhnen, brauchen frischgebackene Eltern vor allem Ruhe, sagt Claudia Franz, die als Hebamme im Duisburger Bethesda-Krankenhaus und freiberuflich arbeitet: „Im Krankenhaus kümmern sich gefühlt 1000 Leute um Eltern und Kind, zuhause aber ist keiner.“

Ideal sei es deshalb, wenn der Vater in den ersten Wochen Urlaub nehmen kann. „Wenn das nicht klappt, können die Oma oder Freunde vieles abnehmen im Haushalt. Denn das Wochenbett dauert nicht nur eine Woche, sondern sechs.“

Da sind die Akkus einfach leer

Den Eltern stecke die Geburt in den Knochen und der Schlafmangel, „da sind die Akkus einfach leer“, so Claudia Franz. Und auch das Stillen koste Kraft und Nerven – vor allem, wenn Mutter und Kind noch nicht aufeinander eingespielt sind. „Natürlich kann ein Stillstart auch mit Problemen einhergehen, zum Beispiel bei einem schlecht saugenden Kind, zu wenig oder zu viel Milch, Geburtsstress, schmerzenden Brustwarzen, usw. Da ist eine gute Unterstützung notwendig“, weiß Susanne Trösken, Stillberaterin im Wittener Marien-Hospital.

Fehlt Hilfe, geben Mütter schneller auf und greifen zum Fläschchen. Und dabei sei Muttermilch immer die erste Wahl fürs Baby: „Es hat seinen Grund, warum Unicef und WHO das Stillen weltweit propagieren. Neben Wasser enthält Muttermilch Kohlenhydrate, Fette, Mineralien, Spurenelemente, Vitamine und mehr. Sie ist bis auf das feinste Detail auf die Bedürfnisse eines Babys abgestimmt, wirkt abführend und ist schnell verdaut“, so Susanne Trösken.

In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Frauen, die auch nach sechs Monaten stillen, in Deutschland mehr als verdoppelt, so die Nationale Stillkommission, die die Bundesregierung berät. Trotzdem seien nach vier Monaten nur noch etwa die Hälfte der Mamas dabei. Ob Frauen ihrem Kind die Brust geben, hängt einer Forsa-Untersuchung nicht nur damit zusammen, ob das Stillen schmerzfrei klappt, sondern auch mit dem Bildungsgrad: Bei den Frauen mit Abitur oder Studium gab nur jede zehnte an, gar nicht gestillt zu haben, bei den Frauen mit Hauptschulabschluss waren es fast 30 Prozent.

Fast jede dritte Akademikerin bleibt kinderlos

Apropos Bildung: Auffallend viele Akademikerinnen bekommen sehr spät ein Kind, fast jede Dritte bleibt kinderlos. Der Anteil der Erstgebärenden über 35 wuchs in 20 Jahren von weniger als einem auf fast vier Prozent, so das Statistische Bundesamt. Ab diesem Zeitpunkt gilt jede Schwangerschaft automatisch als „Risikoschwangerschaft“, weil die Gefahr, ein behindertes Kind zu bekommen, mit dem Alter steigt, aber auch, weil ältere Schwangere häufiger unter Bluthochdruck oder Diabetes leiden. Andererseits, und das schätzen Ärzte bei älteren Schwangeren, kämen diese zu allen Vor­sorge­untersuchungen und achteten darüber hinaus sehr auf ihre Gesundheit.

Vom Alter der Eltern unabhängig ist, was die kleinen Bündel mit ihnen anstellen: Als die kleine Elisa zum ersten Mal kräftig brüllte, „änderte sich unser Leben komplett“, erinnert sich Andrea Piwecki. Drei bis vier Monate brauche man als Eltern, um den neuen Rhythmus zu akzeptieren, den das hilflose, aber sehr nachdrückliche Wesen vorgibt. Füttern, in den Schlaf schaukeln, Windeln wechseln, spazieren, trösten – alles drehte sich nur noch um Elisa. „In der ersten Woche wusste ich nicht mehr, ob es morgens oder nachmittags war“, erzählt die Halternerin. „Die Geburt ist ein krasser Schritt, der das Leben völlig umkrempelt“, hat auch die Duisburgerin Ann-Kristin Lippelt erlebt. Als sie mit Maximilian aus dem Krankenhaus kam, fühlte sich sogar ihr Zuhause neu an. Wenn die ersten schwierigen Wochen vorbei seien und die neue Familie einen Tag-Nacht-Rhythmus gefunden habe, sei es ganz wichtig, sich Freiräume zu schaffen – für Mama und Papa, aber auch für die beiden als Paar.

Freunde brauchen viel Geduld

Das erste Jahr als Eltern ist ein sehr berührendes, weil man jeden Tag miterlebt, wie aus einem Säugling sehr schnell ein Kind wird: Freunde brauchen viel Geduld, wenn das erste Wort und die ersten Schritte wie das achte und neunte Weltwunder gefeiert werden und sich Eltern beim gemeinsamen Filmabend auch noch angeregt über den Windelinhalt ihres Sprösslings austauschen. Aber wie sagte schon Wilhelm Busch so schön? Selbst der Sperling, dieser nichtsnutzige Vogel, ist besorgt um seine Eier.